Berlin hat 2500 öffentliche Gärten und Parks. Dennoch landet die Hauptstadt im Bundesvergleich im hinteren Mittelfeld

    Berlin behauptet von sich selbst, die grünste Hauptstadt Europas zu sein. Und angesichts der mehr als 2500 öffentlichen Grün- und Erholungsanlagen mit einer Gesamtfläche von 65 Quadratkilometern ist man geneigt, dieser Aussage Glauben zu schenken. Doch steht Berlin auch im Vergleich mit anderen deutschen Metropolen als grüner Primus da? Viele Städte behaupten schließlich, besonders viel Vegetation zu bieten, Berlin ist da keine Ausnahme. Hannover etwa wirbt für sich sogar als grünste Großstadt Deutschlands – genauso wie Halle an der Saale. Beide Städte berufen sich dabei auf ihre öffentlichen Erholungsgebiete. Doch was ist mit bepflanzten Dächern, Privatgärten, Stadtbäumen oder begrünten Hinterhöfen? Die Berliner Morgenpost wollte es genau wissen und hat dazu Satellitenbilder ausgewertet.

    Wie grün Deutschlands Städte wirklich sind, zeigt erst ein Blick aus dem Weltall. Um einen genauen Überblick zu bekommen, hat die Berliner Morgenpost 185 Satellitenfotos ausgewertet und zu einem detaillierten Bild zusammengesetzt. Dabei wird das Grün nicht nur sichtbar, sondern auch zähl- und vergleichbar. Auch, wenn die Berliner stolz sind auf den Grunewald, den Tiergarten, den Treptower Park oder auch das Tempelhofer Feld: Laut Satelliten-Check ist ausgerechnet das als trist verschriene Siegen in Nordrhein-Westfalen die Nummer eins unter allen 79 Großstädten mit mehr als 100.000 Einwohnern. Berlin landet dagegen nur auf dem 63. Platz. Allerdings gehört Siegen auch zu den kleinsten der deutschen Großstädte. Doch auch der Vergleich der 14 Städte in Deutschland mit mehr als 500.0000 Einwohnern fällt nicht unbedingt wie erwartet aus: Hamburg ist hier mit Dreiviertel der Fläche grüne Spitze. Berlin landet lediglich im Mittelfeld (Rang 8) – hinter Hannover (Rang 7) und knapp vor Köln (Rang 9).

    59 Prozent der Stadtflächesind begrünt

    Doch der Morgenpost-Satelliten-Check zeigt auch: Deutschlands Großstädte sind allgemein deutlich grüner, als bei bisherigen Vergleichen angegeben. Das gilt insbesondere für Berlin. Von der insgesamt 893,36 Quadratkilometer großen Stadtfläche ist laut konventioneller Rechnung nur ein Drittel Grünfläche. Doch den Satelliten entgeht keine größere bepflanzte Fläche. Erstmals sind in der Auswertung neben öffentlichen Grünflächen, Feldern und Wäldern auch die grünen Oasen auf privaten Grundstücken berücksichtigt – egal ob auf der Erde oder auf dem Dach. In Berlin liegt der Anteil der tatsächlich begründeten Fläche deshalb ungleich höher – bei rund 59 Prozent.

    Doch auch die Satellitenauswertung hat ihre Tücken. Zur Abwertung kann zwar weniger üppige Bepflanzung innerhalb der Siedlungen führen, aber auch große Wasserflächen und ein vergleichsweise hoher Anteil landwirtschaftlicher Flächen. Viele Äcker sind in der betrachteten Sommersaison von Juni bis Juli einfach nicht grün. Hamburg profitiert dagegen von den riesigen Plantagen mit Obstbäumen, die vom Alten Land bis weit ins Stadtgebiet hinein reichen. Auch in der Gesamtwertung schafft es die Hansestadt damit auf einen achtbaren Platz im Mittelfeld.

    Entscheidend für die meisten Städter ist jedoch, dass ihnen die Grünflächen auch zur Erholung zur Verfügung stehen. Und dafür tut die Stadt eine Menge. So wurden in Berlin nach dem Mauerfall 16 neue Parks und Gärten eröffnet. Weitere Erholungsflächen sind in Planung. So soll der bislang gesperrte Spreepark zu einer öffentlich zugänglichen Grünanlage werden. Und durch die Internationale Gartenausstellung (IGA) im nächsten Jahr werden auch die Gärten der Welt um das Wuhletal und um den Kienberg erweitert.

    Klimaschneise und Lebensraum für Flora und Fauna

    „Wichtig ist aber, einmal sämtliche Grünflächen in der Stadt zu betrachten – auch wenn sie zum Teil ganz unterschiedliche Funktionen erfüllen“, sagt Andreas Faensen-Thiebes vom Berliner Landesverband des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND). Denn für den erholungssuchenden Großstädter hätten landwirtschaftliche Flächen möglicherweise keine große Bedeutung – für das Stadtklima und den Artenschutz dagegen schon. Faensen-Thiebes mag deshalb auch nicht uneingeschränkt loben, dass Berlin zahlreiche Freiflächen zu Parks umgestaltet. Denn zugleich seien vielerorts Freiflächen etwa im Bereich des ehemaligen Mauerverlaufs, aber auch Kleingärten und ehemalige Industriebrachen bebaut worden. Nach Angaben der Senatsverwaltung schrumpfte etwa der Bestand an Kleingartenflächen seit 2004 um zehn Prozent. „Der Zugewinn an Erholungsfläche ist unstrittig“, betont der Stadtbiologe. „Doch für Tiere und Pflanzen waren etwa die ehemaligen Bahnhofsareale am Gleisdreieck oder das Flughafengelände in Tempelhof auch schon vorher wertvoll – und fürs Stadtklima ebenfalls“, betont er. Denn das Großstadtgrün sorgt nicht nur für das subjektive Wohlbefinden der Bewohner. Pflanzen wirken als Feinstaubfilter, speichern Kohlendioxid und beugen in dicht bebauten Gebieten Hitzestress vor. Begrünte Dächer und Hauswände können die Gebäude im Sommer deutlich abkühlen. Dicht bewachsene Flächen dienen als Frischluftschneisen im Häusermeer. Unversiegelte Böden speichern Wasser und können so Überschwemmungen bei Starkregen verhindern. Und Stadtbäume helfen, den Straßenlärm zu dämpfen.

    „In den 70er- und 80er-Jahren hat Berlin viele Grünflächen durch den Bau von Großsiedlungen sowohl im Ost- als auch im West-Teil verloren“, so der Stadtökologe und verweist auf Marzahn-Hellersdorf, das Märkische Viertel oder auch die Gropiusstadt, die allesamt auf Landwirtschaftsflächen errichtet wurden. „Angesichts des Einwohnerzuwachses ist zwar nachvollziehbar, dass wir wieder mehr Wohnungen bauen müssen“, so Faensen-Tiebes. Doch jedes Fleckchen Erde sei eben nur einmal bebaubar. „Wenn Berlin weiter Werbung mit seinem vielen Grün machen will, müssen wir auch künftig sorgsam damit umgehen“, fordert er.

    Eine interaktive Karte und die Rangliste aller 79 deutschen Großstädte finden Sie unter http://interaktiv.morgenpost.de/
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