Berlin

Savoir-vivre in Berlin

| Lesedauer: 5 Minuten
Anja Meyer

Zuerst kamen die Hugenotten, dann folgten die Touristen: Wie französisch ist die deutsche Hauptstadt?

Nicht nur die Hugenotten haben ihre Spuren an der Spree hinterlassen. Schließlich nahm der deutsch-französische Austausch deutlich zu, nachdem Bundeskanzler Konrad Adenauer und Präsident Charles de Gaulle am 22. Januar 1963 den Élysée-Vertrag unterzeichnet hatten. Ein Grund, den 22. Januar seit dem Jahr 2004 als Deutsch-Französischen Tag zu feiern. Laut französischem Konsulat sind inzwischen 11.413 Franzosen in Berlin registriert, Schätzungen zufolge dürften mindestens 20.000 Franzosen in der deutschen Hauptstadt leben. Die Exilfranzosen haben ihre Kultur, Traditionen und Gastronomie mitgebracht – in fast jedem Kiez gibt es französische Cafés, Restaurants oder Kitas. Ein Besuch im französischen Berlin.

Nostalgie im Supermarkt

Mit seiner 43 Meter hohen Glaskuppel ist die Galeries Lafayette ein markantes Gebäude. Für Berlins Franzosen ist es die heimliche französische Botschaft. Ein Besuch im Untergeschoss bedeutet kulinarische Vertrautheit. Von der Gourmet-Theke über Wein bis zu alltäglichen Lebensmitteln finden Besucher die Produkte, die sie aus ihrer Heimat kennen. Daneben bietet eine kleine Buchhandlung ausschließlich französische Literatur. Oben gibt es Mode, Accessoires und Kosmetik internationaler Marken. Ursprünglich sollte nur französische Mode verkauft werden – doch die ist vielen Deutschen zu schmal. Am 29. Februar feiert die Galeries Lafayette 20-jähriges Bestehen. Eigentlich wollte die Kaufhauskette schon in den 20er-Jahren nach Berlin expandieren, dann kam die Wirtschaftskrise. In der Nachwendezeit nahmen die Familien Meyer und Moulin, die das Unternehmen seinerzeit leiteten, die Pläne wieder auf – auch als Symbol der deutsch-französischen Verständigung.

Friedrichstraße 76–78, Mitte. Telefon: 209480. www.galerieslafayette.de

Sprache und Kultur am Kudamm

Am Prachtboulevard Kurfürstendamm liegt das französische Kulturzentrum Maison de France. Die französische Militärregierung errichte das Haus nach dem Zweiten Weltkrieg, 1950 öffnete das Institut Français. Seit 1991 wird es von Frankreich unterhalten – mit dem Ziel, die französische Sprache und Kultur in Berlin und Brandenburg zu fördern. Dazu organisieren die Mitarbeiter Lesungen, Konferenzen, Konzerte, Theater und Ausstellungen. Das Herzstück des Kulturzentrums ist die Mediathek mit mehr als 26.000 Medien aus Frankreich, darunter Literatur, Tagespresse, Film und Musik.

Kurfürstendamm 211, Charlottenburg. Telefon: 8859020. https://berlin.institutfrancais.de

Frankophile Cineasten

Auch wenn das Cinema Paris im Maison de France liegt, hat es organisatorisch nichts mit dem Institut Français zu tun. Das Kino mit den bequemen roten Samtsesseln gehört zur Yorck-Gruppe, die die Räume seit 1994 vom französischen Staat gemietet hat. Damit unterliegt es einer Quote: Jeder zweite Film muss eine französische Produktion sein, ein Viertel muss im Original laufen. Laut Theaterleiter Jan Rost zeigt das Cinema Paris sogar 70 Prozent französische Produktionen, 30 Prozent laufen im Original mit Untertitel. Die Nähe zum Institut Français nutzt das Cinema Paris, beide kombinieren häufiger Veranstaltungen. Vor 15 Jahren riefen sie zusammen mit der französischen Botschaft die Französische Filmwoche in Berlin ins Leben.

Kurfürstendamm 211, Charlottenburg. Telefon: 8813119. www.cinema-paris.de

Rustikales aus der Alpenregion

Augusta hieß die Großmutter von Sébastien Gorius. Und weil sie ihm das Kochen beibrachte, war es keine Frage, dass Gorius sein 2014 eröffnetes Restaurant in Schöneberg nach ihr benannte: La Cantine d’Augusta. Das Interieur ist typisch Berlin, das Essen französisch. Der aus Grenoble stammende Geschäftsführer kombiniert Spezialitäten aus seiner Heimat mit einer Käsetheke und einer Weinhandlung. „Alle Produkte stammen von kleinen Herstellern aus Frankreich, die ich persönlich kenne“, erzählt Sébastien Gorius. Besonders stolz ist er auf die Käseauswahl, die von seinem Freund Bernard Mure-Ravaud aus Grenoble stammt. Er wurde 2007 als Weltmeister der Käsehersteller ausgezeichnet. Etwa 30 Prozent der Gäste, die in der Cantine d’Augusta essen gehen, sind laut Gorius Franzosen.

Langenscheidtstr. 6a, Schöneberg. Telefon: 96597617. www.lacantinedaugusta.com

Alles für die Jugend

Die Gründung des Deutsch-Französischen Jugendwerks (DFJW) wurde im Élysée-Vertrag vereinbart, um die Beziehungen junger Menschen beider Länder zu intensivieren. Heute hat sich das binationale Jugendwerk zu einer wichtigen Institution etabliert: Mehr als 8,2 Millionen Jugendliche und junge Erwachsene aus beiden Ländern haben an Austauschprogrammen teilgenommen. Am deutschen Standort des DFJW in Berlin sitzt zudem das Info-Café Paris-Berlin: Ein Ort, an dem sich junge Leute über Begegnungen mit Franzosen, Praktika oder Studium informieren können. Außerdem organisieren die Mitarbeiter des Cafés kulturelle Veranstaltungen wie Ausstellungen, Kinoabende oder Konzerte. Einmal im Monat gibt es einen französischen Kochabend.

Molkenmarkt 1, Mitte. Telefon: 28875700. www.dfjw.org

Frankreich aus dem Backofen

Die französische Bäckerei Aux délices normands ist nicht die einzige, wohl aber die bekannteste in Berlin. Didier Canet hat sie 1995 gegründet, im vergangenen Sommer eröffnete er die sechste Filiale. In den Bäckereien in Zehlendorf, Charlottenburg und Stahnsdorf werden typisch französische Backwaren wie Croissants, Baguettes und kleine Pâtisserien verkauft. Besonders beliebt sind Törtchen wie die Tarte au citron. Exilfranzosen wissen, dass sie in der Boulangerie Backwaren aus der Heimat finden, die sie in Berliner Bäckereien vergeblich suchen wie die Galettes des rois – ein Dreikönigskuchen aus Blätterteig mit einer kleinen Keramikfigur drin. Wer die Figur findet, ist für einen Tag König in der Familie.

Berliner Straße 49, Zehlendorf. Telefon: 8114017. www.auxdelicesnormands.de