Protest von Initiative

Buh-Rufe und Pfiffe - Lichtenrade soll zweigeteilt werden

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Thomas Fülling
Nach den Plänen der Bahn sollen die Züge Lichtenrade ebenerdig durchfahren, abgetrennt durch Schallschutzwände

Nach den Plänen der Bahn sollen die Züge Lichtenrade ebenerdig durchfahren, abgetrennt durch Schallschutzwände

Foto: Bürgerforum Zukunft Lichtenrade,Illustration/Visualisierung Grafikmaschine

Die Bürger von Lichtenrade kämpfen weiter vehement gegen eine Bahntrasse, die ihren Ort in zwei Teile zerschneiden wird.

Zumindest einen Teilerfolg haben die Lichtenrader schon mal erreicht. Wird die sogenannte Dresdner Bahn, die mitten durch den Tempelhofer Ortsteil führt, tatsächlich einmal wiederaufgebaut, wird der Lärmschutz „auf jeden Fall über die gesetzlichen Forderungen hinausgehen“. Das versicherte jetzt Michael Odenwald, Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium, den Anwohnern. Geplant sei der Einbau von Schienenstegdämpfern. Mit diesem System könnten Lärm und Erschütterungen, die von den durchfahrenden Zügen ausgehen, noch einmal erheblich reduziert werden.

Doch den meisten Lichtenradern reicht das aber nicht aus. Auf jeden Fall nicht den mehr als 400 Anwohnern, die am Mittwochabend ins Gemeinschaftshaus am Lichtenrader Damm gekommen sind. Lautstark machten sie klar: „Wir wollen den Tunnel!“ Wer anderer Meinung war, erntete Buh-Rufe und Pfiffe.

Reduzierung der Reisezeiten auf Vorkriegsniveau ist ein Ziel

Seit inzwischen 18 Jahren wird nun schon über den Wiederaufbau der sogenannten Dresdner Bahn gestritten. Der Schienenweg war nach Ende des Zweiten Weltkriegs teilweise demontiert, nach dem Mauerbau dann ganz stillgelegt worden. Der Wiederaufbau der Fernbahnstrecke zwischen Südkreuz und Blankenfelde ist für den Bund und die Deutsche Bahn ein vordringliches Ziel, könnten doch so die Reisezeiten der Züge in Richtung Dresden, Prag und Wien zumindest wieder auf Vorkriegsniveau reduziert werden.

Und auch der Berliner Senat drängt auf die Trasse, ist sie doch die schnellste Schienenverbindung zwischen der Berliner Innenstadt und dem neuen Großflughafen. Alle 15 Minuten, so der Plan, soll einmal der Flughafen-Express vom Hauptbahnhof über Südkreuz nach Schönefeld rauschen. Für die Lichtenrader bedeutet das: Alle sieben Minuten passiert ein Zug den Ortsteil im Süden Berlins. Nach den Plänen der Deutschen Bahn auf einer ebenerdigen Trasse mitten durch dicht bebauten Wohngebiete. Die Anwohner sollen mit bis zu fünf Meter hohen Schallschutzwänden vor Lärm und Erschütterungen geschützt werden.

Bürgerinitiative befürchtet Beeinträchtigung der Lebensqualität

Die Bürgerinitiative (BI) Lichtenrade erneuerte am Mittwochabend ihre grundsätzliche Kritik an der ebenerdigen Trassenführung. Sie zerschneide den Ortsteil in zwei Teile und beeinträchtige dadurch massiv die Lebensqualität der mehr als 50.000 Bewohner. Die als nötiger Ersatz für den Bahnübergang vorgesehener Unterführung am Bahnhof Lichtenrade sei zudem ein Engpass, der Rettungseinsätze von Polizei und Feuerwehr gefährden kann, auf jeden Fall aber den alltäglichen Verkehrsfluss durch den Ort behindert. Zudem würden die vielen Lkw-Fahrten während der Bauzeit das Leben im Ort über Jahre schwer beeinträchtigen.

Nicht zuletzt fürchten viele Anwohner einen massiven Wertverlust ihrer Häuser und Grundstücke, wenn in nur wenigen Metern Entfernung die Züge im Minutenabstand vorbeidonnern. „Mein Haus ist nur sechs Meter von der Bahntrasse weg. Wenn da eine fünf Meter hohe Lärmschutzwand aufgestellt wird, kann ich meine Fenster zumauern“, sagte ein aufgebrachter Anwohner. All diese Nachteile für die Lichtenrader, so argumentiert die BI, könnte durch den Bau eines Tunnels vermieden werden, der möglichst im Schildvortrieb, also nicht in offener Bauweise, errichtet werden sollte.

„Das Gesetz lässt nichts anderes zu“

Inzwischen drängt die Zeit. Das Eisenbahn-Bundesamt (EBA) steht unmittelbar vor dem Abschluss des Planfeststellungsverfahrens. Genehmigen dürfte die Bundesbehörde, wenngleich voraussichtlich mit zahlreichen Auflagen, die ebenerdige Trasse. Eine Alternative hat die Bundesbehörde im Prinzip nicht, denn eine andere Lösung hat die Deutsche Bahn als Vorhabenträger nicht beantragt.

„Wir haben uns als Bahn an das Gesetz zu halten, und dass lässt nicht anderes zu“, verteidigte der Berliner Bahn-Bevollmächtigte Alexander Kaczmarek das Vorgehen der Bahn. Auch der Wiederaufbau der Hamburger oder Anhalter Bahn sei in Berlin ohne Tunnel erfolgt. „Wenn man mehr will, muss es dazu eine politische Entscheidung geben“, so Kaczmarek.

Auf eine politische Entscheidung zu ihren Gunsten setzten auch die Lichtenrader. Zwar hat sich die aktuelle rot-schwarze Regierungskoalition dazu bekannt, sich beim Bund für einen Tunnel einzusetzen. Angesichts drohender Zusatzkosten und eines noch späteren Fertigstellungstermin will zumindest der Senat nicht mehr drauf ankommen lassen. Nach Aussagen von Verkehrsstaatssekretär Gaebler würde der Bau einer ebenerdigen Schienentrasse durch Lichtenrade 128 Millionen Euro kosten, der Tunnel in offener Bauweise 223 Millionen Euro (als plus 95 Millionen Euro) und der von der BI geforderte Tunnelbau mit Schildvortrieb 360 Millionen Euro (plus 232 Millionen Euro).

Grundsätzlich wäre auch ein Tunnel denkbar

Weil für die Tunnelvarianten ein neues Planfeststellungsverfahren begonnen werden müsste, würde sich zudem die Inbetriebnahme der Trasse von 2023 um mindestens acht Jahre nach hinten verschieben. Grundsätzlich gebe es die Bereitschaft des Landes, sich an den Mehrkosten für den Tunnelbau zur Hälfte zu beteiligen. „Die Entscheidung über solche Ausgaben kann aber nicht der Senat, sondern muss das Abgeordnetenhaus treffen“, sagte Gaebler und schob damit die Entscheidung zurück zu den Politischen Parteien.

Die Grünen-Bundestagabgeordnete ‚Renate Künast entgegnete, dass etwa das Land Baden-Württemberg bereit ist, Mehrkosten von mehr als einer Milliarde Euro für den Bau eines Tunnels am Bahnknoten Offenburg zu übernehmen. „Da wird im Interesse der Bürger Geld in die Hand genommen“, so Künast.

Auch der Tempelhof-Schöneberger Bundestagsabgeordnete Jan-Marco Luczak (CDU) sieht die Verantwortung beim Senat. „Wenn es kein klares Bekenntnis vom Land Berlin zum Tunnel gibt, brauche ich im Bundesverkehrsministeriumgar nicht mehr anklopfen“, sagte er der Berliner Morgenpost. Auch beim Bund scheint es derzeit keine große Bereitschaft für den teuren Tunnelbau zu geben, befürchtet man dort doch einen Präzedenzfall, der Auswirkungen auf weitere Bahnbauprojekte hat.

Die Initiative will gegen die ebenerdige Trasse klagen

Der BI-Vorsitzende Manfred Beck kann den Kosten-Schacher nicht verstehen. „Beim Flughafen BER wurden Millionen und Abermillionen an Betrüger und Nichtskönner verteilt. Und hier sollen die Zeche die Bürger bezahlen“, sagte er. Die Tunnellösung sei die beste für die Menschen. „Und wir treten für die Menschen ein.“

Das letzte Wort werden wie so oft bei Großprojekten die Richter haben. Die BI erneuerte die Drohung, gegen den Bau einer ebenerdigen Variante zu klagen. Hoffnung macht ihnen der Umstand, dass die letzte Anhörung im Planfeststellungsverfahren etliche Jahre zurückliegt. Von dem Bau werden aber viele Menschen betroffen sein, die bislang keine Chance hatten, ihre Einwände vorzutragen.