Das Wetter wird schlechter, die Flüchtlinge am Lageso stehen im Regen. Immer mehr erkranken. Die Wut bei den Helfern vor Ort steigt.
Ob das Wetter in Deutschland oft so sei, fragt Kalil und schaut zum Himmel. Da, wo er herkomme, würde es um diese Jahreszeit fast nie regnen. Und dann macht Kalil einen Witz, bei dem er selber nicht weiß, ob er lachen oder weinen soll: „In Homs regnet es nur Bomben.“
Homs liegt im Westen Syriens, ganz in der Nähe der Stadt flog das russische Militär Ende September seine ersten Luftangriffe. Da war Kalil schon in Berlin. Seine Geschichte klingt wie die der meisten Flüchtlinge: von der Türkei mit dem Boot nach Europa, weiter im Lastwagen, tagelang auch zu Fuß. Irgendwie nach Deutschland kommen. Ein einmonatiger Höllentrip für umgerechnet 4000 Euro. Und dann: warten. Kalil, Informatiker, 32 Jahre alt, wartet seit 17 Tagen darauf, dass seine Wartenummer am Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso) in Berlin-Moabit aufgerufen wird.

Während Kalil erzählt, füllt sich der Platz vor der Warteschlange. Der Regen ist stärker geworden, die Menschen suchen unter den dürren Ästen einiger Bäume Schutz. Viele tragen durchsichtige Regencapes aus Plastik. Die Schuhe sind dreckig, die Hosenbeine schlammbespritzt. Überall haben sich große Pfützen gebildet. Kinder springen lachend hinein und kassieren eine Standpauke. Eine Gruppe Frauen hat sich unter dem Röntgenmobil verkrochen. Kalil hat eine goldene Rettungsdecke ergattert und sich darin eingewickelt. Die Schirmmütze auf seinem Kopf fixiert das Outfit. Eine Mischung aus Astronaut und Actionfigur.
Zu den zahllosen Sorgen kommt eine neue dazu
Rund 2000 Flüchtlinge sollen in dieser Woche in der Hauptstadt ankommen. Sie alle landen zwecks Erstregistrierung irgendwann am Lageso. Zu all den Strapazen, die sie hier durchmachen, dem wochenlangen Warten, der Sorge um einen Schlafplatz und die Familie in der Heimat, hat sich eine weitere gesellt: das Wetter. „Die Leuten frieren wie die Schneider“, sagt Adelheid Lüchtrath. Die Ärztin arbeitet ehrenamtlich in der medizinischen Versorgungsstelle. Im Flur vor dem Behandlungszimmer sitzen rund 20 Flüchtlinge, es wird gehustet und geschnieft.
„Die Zahl der Menschen mit Grippe, Erkältung oder Durchfallerkrankungen ist hoch und wird weiter steigen, das ist klar“, sagt Lüchtrath. Kein Wunder sei das, wer stundenlang im Regen stehe und körperlich so geschwächt sei, werde eben schnell krank. „Wir haben Angst, das sich als nächstes ein Norovirus ausbreiten könnte“, so Lüchtrath.
Doch Härtefallanträge können die Ärzte nur bei extrem schwer Kranken ausstellen. Alle anderen bekommen Medikamente und stellen sich wieder in die Schlange. Nur wer registriert ist, erhält den sogenannten „Grünen Schein“, der bei Besuch in einer Praxis vorgelegt werden kann. Und auch dieser gilt nur für „akute Erkrankungen“. Wer dauerhaft behandeln werden muss, kommt schnell in Schwierigkeiten. „Die Ärzte wollen Geld. Und der Senat ist ja dafür bekannt, dass er seine Rechnungen nicht bezahlt“, so Lüchtrath. „Wären wir nicht hier, gäbe es gar keine medizinische Versorgung.“
Regenschirme sind stark nachgefragt
Wieder mal wird deutlich: Ohne Freiwillige sähe es am Lageso düster aus. In der Kleidervergabe der Caritas sind zur Mittagszeit die Regenschirme ausgegangen. Julia und Jim ziehen los zur nächsten Drogerie. Von ihrem Spendengeld kaufen die Helfer so viele Schirme wie sie können – 20 Stück in Pink und Türkis. Am Lageso werden sie ihnen buchstäblich aus den Händen gerissen. Der Wetterumschwung hat viele Flüchtlinge offenbar überrascht.

„Letztens wollten wir bereits warme Kleidung verteilen“, sagt Julia, „doch da wollten die Leute sie gar nicht haben.“ Jetzt würden Spenden dieser Art aber dringend benötigt, „Sommersachen brauchen wir nicht mehr.“ Durch das Wetter sei die Stimmung zwar schlechter geworden, sagt Jim, insgesamt würde die Versorgung der Flüchtlinge aber noch gut funktionieren.
Doch im Hintergrund brodelt es. Die Initiative „Moabit hilft“, die seit zwei Monaten eine führende Rolle bei der Versorgung der Flüchtlinge am Lageso einnimmt, hat ihre Unterstützung reduziert. Seit Dienstag hilft man dem Krankenhauskonzern Vivantes, der im Auftrag des Berliner Senats Essen verteilt, nicht mehr bei der Essensausgabe.
Streit um eine vermeintliche Anzeige
Der Grund: Laut „Moabit hilft“ habe Vivantes den Verein „Freunde der Jugend und Familie e.V.“, der am Lageso ebenfalls Speisen verteilt, beim Gesundheitsamt „angezeigt und ausgebootet“. Vivantes dementiert. Weder der Konzern noch Mitarbeiter hätten Maßnahmen des Gesundheitsamtes gegenüber den Vereinen oder anderen Ehrenamtlichen veranlasst, teilt eine Sprecherin mit.
Doch der Ärger um die vermeintliche Anzeige ist nur ein Aspekt. Die Wut von „Moabit hilft“ richtet sich vor allem gegen den Senat. Die Liste der Anschuldigen, die am Donnerstag unter dem Stichwort „Es reicht!“ öffentlich gemacht wurde, ist lang: keine witterungsgeeigneten Warteräume, keine offizielle medizinische Versorgung, kein Schutz, kein Konzept, null Information.
Kurz: Die Initiative hat keine Lust mehr, den Alleinunterhalter am Lageso zu spielen. „Irgendwann ist mal Feierabend“, sagt Chef-Organisator László Hubert. Am 17. Oktober ruft „Moabit hilft“ zu einer Demonstration am Alexanderplatz.
Es ist nicht der erste Wutausbruch. Geholfen hat es bislang wenig.