Flüchtlinge

„Alman ist super“, heißt es im Containerdorf

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Judith Luig
Familie Muriti wohnt in zwei Zimmern des Containerdorfes. Die kleine Medina auf dem Arm ihrer Mutter ist Berlinerin – sie wurde vor fünf Monaten in Charlottenburg geboren

Familie Muriti wohnt in zwei Zimmern des Containerdorfes. Die kleine Medina auf dem Arm ihrer Mutter ist Berlinerin – sie wurde vor fünf Monaten in Charlottenburg geboren

Foto: Massimo R odari / Massimo Rodari

Erst kürzlich wurde die Unterkunft eröffnet. Die Dankbarkeit der neuen Bewohner ist groß. Nachbarn kommen mit Hilfsangeboten.

„Alman ist super.“ Sheptim Muriti legt eine Hand an den leuchtend gelben Schrank an der Wand. „Super“, sagt er noch mal und zeigt auf den neuen Tisch. Dann lacht er und zuckt mit den Schultern. „Mein Deutsch“, erklärt er und deutet mit Zeigefinger und Daumen eine kleine Menge an. Er sagt etwas auf Albanisch zu seinem ältesten Sohn, der auf dem Bett liegt und liest. „Nicht so gut“, dolmetscht der.

Aber Sheptim Muriti möchte trotzdem sehr gerne kommunizieren, dazu hat er die Reporter, die er auf dem Flur entdeckt hat, ja extra zu sich in die beiden Familienzimmer gebeten, die er seit ein paar Tagen mit seiner Frau, zwei Söhnen und zwei Töchtern bewohnt.

„Fünf Monate“, sagt Sheptim Muriti. Seit fünf Monaten lebt er nun mit seiner Familie in Deutschland. „Arbeiten“, sagt er und zeigt auf sich. „Baby“, sagt er und zeigt auf seine Frau, die gerade die kleine zwei Monate alte Tochter Medina auf dem Arm schaukelt. Das kleine Mädchen ist übrigens Berlinerin. „Charlottenburg“, erklärt der Vater und zeigt stolz auf das Kind. „Papiere sind da, alles in Ordnung.“ Er lacht. „Alles super hier.“

Es gibt ein Spielzimmer, ein Gemeinschaftsraum und einen Seminarraum

Es ist in der Tat alles in Ordnung in der Gemeinschaftsunterkunft am Ostpreußendamm. Vor wenigen Tagen ist das erste der beiden Häuser eröffnet worden. Die Spülen in den gemeinschaftlich nutzbaren Küche blitzen, genau so wie die Stahl-Oberflächen der Arbeitstische. Die Zimmer, die Familien bewohnen, haben eine interne Verbidungstür, Flure und Treppen sind gefließt. Duschen haben Ankleidezimmer, für Behinderte gibt es behindertengerechte Toiletten. Ein Spielzimmer gibt es auch, einen Gemeinschaftraum und einen Seminarraum, in dem die Bewohner bald Deutsch lernen sollen.

Das Haus ist aus Containern zusammengestellt, aber innen merkt man nichts davon. Da sieht es aus wie in einem schönen, hellen Neubau. Sechs Containerbauten gibt es in Berlin, Containerdörfer nennt man sie. Aber dieser hier ist anders. Es gibt deutlich mehr Platz. Im Hof entsteht eine Grünfläche, die ersten Räder parken vor dem Haus. Bald wird der Spielplatz eröffnet, Basketball soll man hier auch spielen können.

Hier ist kein Elend, aber die Bilder vom Elend sind in den Köpfen

Von Lichterfelde aus gesehen scheint die Flüchtlingskatastrophe sehr weit weg. Die Bilder von den überfüllten Zügen, den Toten im Meer, den Toten im Laster, von Verzweiflung und Not, sie passen nicht zu diesem Eindruck von zwei nagelneuen, bunten Bauten mit durchbrochener Fassade auf einem Grundstück von 15.000 Quadratmetern Größe, mit seinen Bäumen ringsherum, seinen großzügigen Flächen und der bürgerlichen Nachbarschaft.

Aber die Bilder sind da. Die Menschen, die hier leben, haben sie mit sich gebracht. Denn es sind ihre eigenen Erlebnisse.

Am Ostpreußendamm 108 hat vor wenigen Tagen die, wenn man so will, luxuriöseste Unterkunft für Flüchtlinge eröffnet. Die meisten der Menschen, die hier in den nächsten Wochen einziehen sollen, sind schutzbedürftig oder sogar besonders schutzbedürftig.

Die Bewohner am Ostpreußendamm leben schon länger in Berlin

Hochschwangere Frauen finden hier Zuflucht, Familien und Einzelpersonen, die besonders traumatisiert sind durch ihre Flucht, Menschen mit Krankheit oder Behinderung, Menschen, deren Alltag besondere Anforderungen an sie stellt, die einfach etwas mehr Platz brauchen. Hier ist keine Notunterkunft oder eine Erstaufnahme, wer an den Ostpreußendamm kommt, der ist schon länger in Berlin. Manche sogar seit Jahren.

Betrieben wird die Einrichtung durch die MILaa gGmbH, eine Tochter des Evangelischen Diakonievereins Berlin-Zehlendorf e.V. „MILaa“ steht für „Miteinander leben aber anders.“

Gisela Netzeband hat während des kurzen Besuchs bei der Flüchtlingsfamilie diskret im Flur gewartet. Sie ist Geschäftsführerin von „MILaa“. Die Dankbarkeit, die die albanische Familie so dringend zum Ausdruck bringen wollte, ist ihr vertraut. „Das erleben wir immer wieder“, erklärt sie. Netzeband ist sehr zufrieden mit den ersten Tagen der neuen Unterkunft. „Nun müssen in die große Seele des Hauses die Seelen der Bewohner integriert werden“, sagt sie.

Die Container hier sind etwas größer als gewöhnlich

Dafür wird unter anderen Wolfgang Keller zuständig sein, der Einrichtungsleiter. Er will dabei, das erklärt er er sehr deutlich, den Bewohnern so viel Raum geben, wie möglich. „Wir wollen den Leuten nichts überstülpen“, sagt er. Zum Beispiel, was die Gestaltung der Flure angeht. Vielleicht werden sie gemeinsam Bilder malen, um ihr Haus zu schmücken. Vielleicht aber auch nicht.

Übrigens meint er das mit dem Raum nicht nur übertragen: Während der durchschnittliche Container 2,50 Meter breit ist, haben die meisten Container am Ostpreußendamm 2,80 Meter Breite. 30 Zentimeter, das klingt erstmal nicht besonders, macht aber doch einen Unterschied.

Quer über den Hof gelangt man zum zweiten Haus, das erst in ein paar Tagen fertig werden wird. Von dort aus grenzt das Gelände an die Nachbarhäuser. Wie reagierten deren Bewohner denn auf die Container? „Die haben uns freundlich und aufmerksam begrüßt“, sagt Netzeband. Während der gesamten Entwicklung des Baus gab es immer wieder Gespräche mit den Anwohnern, und jetzt, wo die ersten Bewohner einziehen, kommen auch schon viele Hilfsangebote aus der Nachbarschaft.

Zur Demo gegen das Containerdorf kamen nur acht Personen

Um die Ecke ist eine Turnhalle, da haben 300 Flüchtlinge den Winter verbracht, nun ziehen eben 300 andere Flüchtlinge in die Container. Natürlich habe auch die Nachricht, dass hier Schutzbedürfte Zuflucht finden, bei der Akzeptanz geholfen. Eine Demo gegen die Unterkunft habe es gegeben, aber zu der seien nur acht Teilnehmer gekommen. Zu der Gegendemo jedoch mehrere hundert, erzählt Keller.

Was wird hier also in den kommenden Wochen und Monaten geschehen? Werden die Flüchtlinge darauf warten, dass sie anerkannt werden und in eigene Wohnungen ziehen? Oder die, die schon wissen, dass sie nicht bleiben können, werden die auf die Weiterreise warten?

Nicht alle Holfsangebote sind wirklich hilfreich

Nein, sagt Netzeband, nicht nur um warten gehe es hier. „Die Menschen sollen bei uns die Möglichkeit bekommen anzukommen.“ „Atem zu holen“, erklärt Keller. „Sich ausruhen von dem Überlebenskampf.“

Nächste Woche wird sich das Haus füllen. Dann wird es auch ein Treffen der Ehrenamtlichen geben, die sich hier engagieren möchten. Das Stadtteilzentrum Steglitz hat sich bereits sehr eingebracht.

Momentan ist die Bereitschaft zu helfen enorm hoch in der Bevölkerung. Aber nicht alle Hilfsangebote sind auch tatsächlich hilfreich. Eine Dame, erzählt Keller, habe sich besonders der Kinder annehmen wollen. Sie wollte ihnen gerne den Zoo zeigen. „Aber dann mussten wir ihr erklären, dass man die Kinder nicht einfach ohne ihre Eltern einladen kann. Und, dass es die Eltern auch beschämt, wenn andere Leute ihren Kindern etwas bieten können, was sie ihnen selbst gern geben würden.“ Die Dame habe das sofort verstanden. Aber nicht jeder begreift, dass die gut gemeinte Spende abgelegter Kleider gar nicht in jedem Falle willkommen ist.

Ein Moment der Ruhe im großen Chaos der Heimatlosigkeit

Netzeband und Keller zeigen sich auf jeden Fall sehr beglückt darüber, dass die Nachbarn so viel Initiative zeigen. Vielleicht hilft auch, dass der Bau der Firma Algeco aus Modulen besteht. „Container heißt auch immer: Es ist nicht für die Ewigkeit“, erklärt Netzeband.

An Ewigkeit ist bei der momentanen Situation aber ohnehin nicht zu denken. Es ist schon gut zu wissen, dass es zumindest an manchen Ecken doch funktionieren kann. Zum Beispiel jetzt, hier am Ostpreußendamm, scheint es für bald 300 Flüchtlinge das Versprechen auf einen Moment der Ruhe zu geben in dem großen Chaos von Flucht und Heimatlosigkeit.