Keine Information, stundenlanges Warten, schlafen auf der Wiese: Vor der Berliner Erstaufnahmestelle für Flüchtlinge herrscht Chaos.

Kinderaugen können auch nach Wochen der Flucht und Tagen im Dreck noch leuchten. Wo Antonia Racky und Linda Wöhler Luftballons und Hula-Hoop-Reifen verteilen, sind ihnen die dankbaren Blicke der Kleinsten sicher. Die beiden Studentinnen haben bei ihren Familien Spenden eingesammelt und kümmern sich seit Freitag um die vielen Kinder vor der völlig überlasteten Erstaufnahmestelle für Flüchtlinge in Moabit.

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„Etwas Glitzerndes geschenkt zu kriegen, geht immer“, sagt Antonia. Durch die Web-Seite der Initiative Kinderbetreuung weiß sie, was gebraucht wird, um den mehreren Hundert Menschen in der Grünanlage vor dem Landesamt für Gesundheit und Soziales die Stunden und Tage des Ausharrens bei brütender Hitze erträglicher zu machen. Solches Engagement wird langfristig benötigt. Sozialsenator Mario Czaja (CDU) geht von bis zu 35.000 neuen Asylanträgen in diesem Jahr in Berlin aus.

Tagelanges Warten

Offizielle sind zwischen den wartenden Menschen so gut wie nicht zu sehen. Informationen gibt es nicht. „Warum hängen sie nicht einen Lautsprecher auf und sagen, was man machen soll“, beklagt ein junger Mann aus Syrien. Er habe eine Karte bekommen, wisse aber nicht, ob die nun auch für morgen gelte und er dann eine Chance auf Foto und Registrierung habe, falls er heute nicht mehr an die Reihe komme. Er sei Arzt, sagt er, sei in den vergangenen Tagen aus Athen nach Berlin gekommen und habe Deutsch in mehreren Kursen gelernt. Allerdings sagen fast alle Flüchtlinge vor der Aufnahmestelle, dass sie aus dem Bürgerkriegsland kämen. Kaum jemand gibt sich als Asylsuchender aus den Balkanstaaten zu erkennen, die eine schlechtere Chance haben, ein Bleiberecht in Deutschland zu erhalten. Seit fünf Tagen warte er vor dem Amt, sagt ein anderer junger Mann mit Basecap.

Immer wieder drängen sich Helfer mit Taschen voller Sandwiches und Wasserflaschen durch die Menge und werden bestürmt. Auch die neue Wasserbar mit mehreren Hähnen ist dicht umlagert. Die Menschen sind angesichts der Umstände einigermaßen gelassen. Viele sind offenbar zu erschöpft, um sich aufzuregen. Oder sie haben noch Schlimmeres erlebt auf ihrer Flucht nach Berlin.

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In einer Ecke liegen apathische Kinder auf einer schmutzigen Decke. Sie sind erkennbar nicht gesund. Helfer von der katholischen St. Richard-Gemeinde aus Neukölln haben sie mit einer Gruppe von 15 Syrern und Ägyptern gebracht. Das Wochenende verbrachten sie im Gemeindehaus. Die Caritas hatte die Gruppe am Freitag eingesammelt, nachdem die Aufnahmestelle geschlossen hatte und die Gemeinde um Nothilfe gebeten. Nun gab es einen Termin mit dem Amt. Jetzt sollen die Fälle bis Mittwoch bearbeitet werden, berichtet ein Helfer. Bis dahin werden die Menschen in der Gemeinde und in einem Mehrgenerationenhaus der Caritas schlafen.

Es würde sehr helfen, wenn das Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso) die Registrierung auch dezentral machen würde, um den Menschen die Stunden an der Turmstraße zu ersparen. Eine Sprecherin der Sozialverwaltung sagt, es seien jetzt mobile Teams unterwegs, um die Menschen auch in der neuen Erst-Unterkunft in Karlshorst zu registrieren. Insgesamt seien jetzt 79 Mitarbeiter für die Erstaufnahme und Registrierung der Flüchtlinge zuständig. Helfer berichten vom Engagement der Lageso-Mitarbeiter, die neben hohen Papierstapeln mit Hochdruck schufteten. Dennoch dauert der Prozess quälend lange. Manchmal hängen viertelstundenlang die gleichen Nummern auf den Zetteln an der Stellwand, die den Menschen anzeigen, ob sie dran sind. Wer zu erschöpft ist, an der Absperrung auszuharren, kriegt das oft nicht mit.

Kinderwagen fehlen

Die Versorgung der Menschen an der Turmstraße lastet aber im Wesentlichen auf den Schultern von Freiwilligen. Die Initiative „Moabit hilft“ hat eine Internet-Seite geschaltet (www.berlin-hilft-lageso.de), auf der regelmäßig aktualisiert wird, was die Flüchtlinge am dringendsten benötigen. Besonders begehrt seien neben Helfern Kinderwagen, Schlafsäcke, Maxi Cosis und Trinkflaschen für die Babys, sagt Koordinatorin Diana Henniges. Aus Sicht der Helfer manifestiert sich vor der Aufnahmestelle ein „Totalversagen der Behörde“. Die Initiative habe lange darauf hingewiesen. „Jetzt kollabiert das System.“

Sozialsenator Czaja sagte am Montag, die Erstaufnahmestelle bekomme mehr Personal und werde erweitert, um die Aufnahme der Flüchtlinge zu verbessern. Wer nicht registriert wird, dem werde dennoch vom Lageso ein Übernachtungsplatz angeboten. „Die Gesamtsituation ist nicht einfach“, sagte Czaja. Es werde mit allen verfügbaren Kräften daran gearbeitet, die Lage für die Menschen zu verbessern.

Nach Informationen der Berliner Morgenpost könnte das leer stehende Rathaus Wilmersdorf zur Flüchtlingsunterkunft werden. Die Sozialverwaltung erklärte, die Verwendung der Immobilie werde prüft - wie andere auch.