Porträt

Ein Potsdamer Klimaforscher als Umweltberater des Papstes

| Lesedauer: 12 Minuten
Andrea Huber
Klimaforscher Hans Joachim Schellnhuber hat im Juni 2015 die  Umweltenzyklika des Papstes „Laudato si“ im Vatikan präsentiert

Klimaforscher Hans Joachim Schellnhuber hat im Juni 2015 die  Umweltenzyklika des Papstes „Laudato si“ im Vatikan präsentiert

Foto: Amin Akhtar

Hans Joachim Schellnhuber ist Mitglied der Päpstlichen Akademie der Wissenschaften und hat an der viel diskutierten Umweltenzyklika mitgewirkt.

Nicht alles ist relativ. Von seinem Sommerhaus in Caputh lief Albert Einstein gern zu Fuß durch den Wald zum Potsdamer Telegrafenberg. Dort arbeitete der Physikprofessor im Astrophysikalischen Observatorium oft an seiner Relativitätstheorie. Heute sitzt Klimaforscher Hans Joachim Schellnhuber in diesem Gebäude.

An die Tür seines Büros hat er ein Einstein-Zitat gepinnt, wonach die Welt nicht von den Menschen bedroht ist, die böse sind, sondern von denen, die das Böse zulassen. „Das stimmt“, sagt er, und im Ton klingt ein Ausrufezeichen an. Fast schmächtig sieht der groß gewachsene Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) hinter dem riesigen Schreibtisch aus.

Sein Büro ist ein prachtvoll sanierter Raum mit hoher Stuckdecke, in dem säuberlich aufgeschichtete Papierstapel liegen – Unterlagen für Schellnhubers neues Buch, das den dramatischen Titel „Selbstverbrennung“ tragen wird. Wie sein Vorbild Albert Einstein ist auch Hans Joachim Schellnhuber theoretischer Physiker, gerade wurde er in die Päpstliche Akademie der Wissenschaften berufen und hat an der viel diskutierten neuen Umweltenzyklika „Laudato si“ mitgearbeitet. „Einstein war immer eine prägende Figur in meinem Leben, schon als Schüler habe ich seine Bücher gelesen“, erzählt der Professor in einem weichen Tonfall, der die niederbayerische Herkunft verrät.

Der Klimaforscher hat das Wetter im Blick

Er springt auf, will zum Spaziergang starten. Der Klimaforscher hat das Wetter im Blick, das sich an diesem Julitag wieder einmal aprilhaft zeigt. Bevor wir zur Tour durch den Wissenschaftspark Albert Einstein starten, lädt Schellnhuber noch auf das Dach des Astrophysikalischen Observatoriums von 1879 ein, das heute Sitz des PIK ist. Von hier oben bietet sich eine grandiose Aussicht auf die historischen Institutsgebäude mit ihren vielen Kuppeln.

Sportlich klettert der 65-Jährige für das Foto zwischen zwei Geländerstangen hindurch, im Hintergrund ist der Große Refraktor zu sehen. „Damals das zweitgrößte Teleskop der Welt“, erzählt er. Seine Blicke schweifen über das Gelände: „Das ist sicher der schönste Campus Deutschlands.“ Schellnhuber fühlt sich wohl in seiner Welt, er zeigt sie gerne.

Wir machen uns auf den Weg zum Einsteinturm, einem expressionistischen Bau in Weiß. Auch der Turm ist ein Anziehungspunkt für die internationalen Besucher, die sich im Wissenschaftspark umtun. Zu ihnen gehörte schon Prince Charles. Der britische Thronfolger mit Sinn für Nachhaltigkeitsfragen ließ sich vom PIK-Chef über den Campus führen. Zu England hat Schellnhuber ohnehin eine besondere Beziehung. Nicht nur, weil er in Oxford lehrte – 2004 ernannte ihn die Queen außerdem zum „Commander oft the Most Excellent Order of the British Empire“. Schellnhuber steckt voller solcher Geschichten.

Weltenrettung als Flickenteppich

Als der gebürtige Bayer 1991 nach Potsdam kam, um das PIK aufzubauen, war es nicht nur die große Vergangenheit des Telegrafenbergs, die ihn reizte. Vor allem war es das Thema: Früher als andere hat Schellnhuber dessen Bedeutung erkannt, inzwischen hat die Klimafolgenforschung Weltkarriere gemacht. Dass das PIK heute weltweit eines der führenden Forschungsinstitute zum Thema ist, das ist sein Verdienst.

Mit schnellen Schritten durchmisst der Klimaforscher in Jeans und schwarzem Hemd unter einem blauen Sakko das Gelände. Beim Gehen hat er die Hände in klassischer Gelehrtenmanier hinter dem Rücken verschränkt. Immer wieder blickt er nach oben. „Es wird bald regnen, aber wir bleiben noch trocken“, lautet seine Prognose.

In „Selbstverbrennung“ wird es um sein Lebensthema gehen, um eine Summe seiner wissenschaftlichen, politischen und persönlichen Erfahrungen. Längst reicht Schellnhubers Einfluss über wissenschaftliche Zirkel hinaus – sein Forschungsfeld ist von politischer Bedeutung: Er sitzt dem Wissenschaftlichen Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen vor, kennt die Kanzlerin schon seit 1994.

Kein Befürworter der Atomenergie

Wir sind am Rand eines Volleyballfeldes angelangt, das versteckt im Grünen liegt. Schellnhuber, der gerade zu einem kleinen Exkurs über die Kanzlerin und ihre Atomenergiepolitik ansetzen wollte, unterbricht sich und zeigt auf eine Bank: „Mittags setze ich mich gerne hierhin, weil die Sonne ab 13 Uhr direkt auf die Bank fällt. Hier kann man wunderbar nachdenken.“

Schellnhuber, selbst kein Befürworter der Atomenergie – „auch wenn ich weiß, dass sie im Prinzip beherrschbar ist, aber nur zu einem hohen Preis“ –, schätzt die Physikerin Merkel und findet ihren Atompolitik-Schwenk bemerkenswert: „Die Kanzlerin hat 2011 aufgrund der neuen Faktenlage nach Fukushima entschieden, dass es jetzt den Ausstieg gibt. Das muss man können.“ Für Naturwissenschaftler ist eine solche Haltung zwingend geboten, findet Schellnhuber: „Es ist das Grundethos des Physikers, sich von der Natur ständig widerlegen zu lassen. Ich provoziere die Natur geradezu, damit sie mich widerlegt.“

Für die Klimapolitik ist 2015 in Schellnhubers Augen ein entscheidendes Jahr, nicht nur wegen der päpstlichen Umweltenzyklika, in der Papst Franziskus sich für eine nachhaltige Politik starkmacht. Auch mit Blick auf die Pariser UN-Klimakonferenz im Dezember spricht Schellnhuber von einem Schlüsseljahr. Er wird als Mitglied der deutschen Delegation nach Paris fahren.

Schellnhuber bleibt Realist

Nach den Berechnungen des PIK kann die Atmosphäre noch maximal 1000 Gigatonnen Kohlendioxid aufnehmen, wenn die Erderwärmung auf zwei Grad begrenzt werden soll. Schellnhuber spricht mit großem Ernst darüber, dass viele Regionen unbewohnbar werden, wenn weiter Emissionen in bisherigem Umfang ausgestoßen werden.

„Das Spiel mit der Schöpfung“ nennt der bekennende Agnostiker „frivol“. Und deshalb – hier richtet sich der Wissenschaftler wieder an die Politik – müsse der Ausstieg aus der fossilen Wirtschaft bis zur Jahrhundertmitte gelingen. Unermüdlich wiederholt Schellnhuber bei seinen Auftritten rund um den Globus – rund 100 Vorlesungen hält er pro Jahr – sein Credo, wirbt für den Ausbau erneuerbarer Energien und effizientere Energienutzung.

Doch bei allem Kampfgeist bleibt der Naturwissenschaftler Realist: „Wenn es uns noch gelingt, die Welt zu retten, dann wird das auf unordentliche Weise geschehen. Es wird ein Flickenteppich werden.“ Sprich: Jedes Land wird andere Wege finden müssen. Der Handel mit Kohlenstoff-Zertifikaten kann ein Puzzleteil sein, andere Länder werden auf technische Fortschritte setzen, wieder andere Konsum nachhaltiger gestalten.

Umweltenzyklika des Papstes hat Gewicht

Der Umweltenzyklika des Papstes hat Gewicht, glaubt Schellnhuber. „Das ist ein Jahrhundertwerk, das hat an vielen Stellen auch eine große poetische Kraft, das sollten Sie lesen“, empfiehlt er der Reporterin. Es war an Schellnhuber, der Weltpresse im Juni die Enzyklika vorzustellen. „Die erste Powerpoint-Präsentation im Vatikan seit 2000 Jahren. Das waren meine 15 Minuten Ruhm“, sagt der Forscher, lacht wie ein Schuljunge über seinen Scherz. So spricht einer, der vom Wert seiner Arbeit überzeugt ist.

Kritiker werfen ihm gelegentlich vor, er wolle das Wachstum in der dritten Welt drosseln, um seine Klimaziele zu erreichen. Solche Kritik ärgert Schellnhuber, er gestikuliert jetzt energisch. Ökologische Nachhaltigkeit und die Frage der sozialen Gerechtigkeit gehören für ihn zusammen – hier liegt der in einer protestantischen Familie im Landkreis Passau aufgewachsene Forscher mit dem Papst auf einer Linie. Über den konventionellen Weg, also mit fossilen Brennstoffen, die nicht überall zur Verfügung stehen und teuer sind, werden Entwicklungs- und Schwellenländer nach seiner Überzeugung „nie reich“. Gerade sie müssten auf erneuerbare Energien setzen. Zumal gerade die ärmsten Länder der Welt vom Klimawandel am stärksten betroffen seien.

Die Debatte um den Klimawandel wird nicht immer wissenschaftlich geführt – wo handfeste Interessen bedroht sind, wird Kritik schon einmal schrill. Schellnhuber berichtet von E-Mails, in denen er als Satan bezeichnet wird, der den Papst auf ein falsches Gleis führe. Neben solchen „Verbohrten“ schreiben ihm aber auch Lobbyisten böse Nachrichten, die ihre wirtschaftlichen Interessen durch die Erkenntnisse der Klimaforschung bedroht sehen. Wir laufen gerade durch einen Wald, und Schellnhuber breitet die Arme aus: „Soll ich deswegen die Wahrheit nicht aussprechen?“ Ein Mann mit einer Mission.

Den Sohn bringt er zur Schule

Kurze Zeit später erreichen wir das Hauptgebäude des Meteorologisch-Magnetischen Observatoriums. Schellnhuber unterbricht den politischen Gedankengang, um wieder von der Geschichte des Telegrafenbergs zu erzählen: „Das ist die Mutter aller Observatorien, ein wunderbares Gebäude. Seit weit über 100 Jahren wird hier stündlich das Wetter beobachtet.“ Auch dazu hat er eine Anekdote parat. Nach dem Fall der Mauer habe der Deutsche Wetterdienst das Haus vom DDR-Wetterdienst übernommen, aber wegen der Betriebskosten schnell wieder abgestoßen.

Architekturliebhaber Schellnhuber hat das denkmalgeschützte Gebäude für das PIK gesichert. Für zwei Millionen Euro ist es saniert worden, „ein echtes Schnäppchen“, sagt er und guckt verschmitzt. Beim Wetterdienst ärgern sie sich wohl, dass sie das architektonische Juwel nicht mehr besitzen.

Nur 80 Mitglieder, die Crème de la Crème

Ein letztes Ziel steht noch aus: Der Neubau des PIK, das mit seinen rund 330 Mitarbeitern, von denen 200 Wissenschaftler aus ganz verschiedenen Disziplinen kommen, auf Wachstumskurs ist. Zwischen den Bäumen wächst der Neubau in Form eines dreiblättrigen Kleeblattes aus dem Boden, fügt sich mit seiner Verkleidung aus dunklem Lärchenholz in die Umgebung ein. Die Formensprache des Baus findet der Klimaforscher „toll“ und „eigen“. Schellnhuber blickt in den Himmel, noch regnet es nicht. Den Papst nennt er eine Lichtgestalt, weil der die existenzielle Bedeutung des Klimawandels erkannt hat. „Franziskus hat freundliche Augen, man sieht ihm an, dass er die Menschen liebt“, schwärmt Schellnhuber.

Ist die Berufung in die Pontifikal-Akademie nur eine weitere Ehrung unter seinen vielen anderen? „Das ist die elitärste wissenschaftliche Akademie der Welt. Sie hat nur 80 Mitglieder, die Crème de la Crème der Wissenschaften. Auch Stephen Hawking zählt dazu“, sagt der PIK-Chef ohne falsche Bescheidenheit. „Die Aufnahme ist eine Riesenauszeichnung, zumal ich mit 65 eigentlich noch zu jung dafür bin.“ Sagt er und lächelt. Nicht zuletzt sieht der Wissenschaftler sie als Plattform, um darüber wichtige Themen zu spielen. Er schätzt außerdem, dass die Akademie „im schönsten Haus Europas“, direkt in den Vatikanischen Gärten, ihren Sitz hat. Schönheit ist dem Schöngeist so wichtig wie Wahrheit. Jedenfalls fast, wie er schnell hinzufügt.

„Schnickschnack“ wie Kneipenbesuche

Auf einem Büroschrank steht das Foto eines Jungen, Schellnhuber zeigt es, als wir uns verabschieden. Sieben Jahre alt ist sein Sohn, den er mit seiner Frau Margret Boysen hat, die künstlerische Leiterin am PIK ist. Dass Schellnhuber viel unterwegs ist, trägt die Familie „heldenhaft“, sagt er. So oft es geht, bringt er den Sohn in die Schule, versucht, sich die Wochenenden frei zu halten und „Schnickschnack“ wie Kneipenbesuche aus seinem Leben zu verbannen. Selbst aufs Fußballspielen verzichtet er, „obwohl das meine Knochen noch hergeben würden“. Die Zeit teilt er zwischen Beruf und Familie auf.

Bleibt bei allem politischen Engagement überhaupt noch Luft zum Forschen? Die Antwort kommt schnell: „Wenn man hier im Geiste Einsteins arbeitet, dann muss man forschen, sonst wird man unglücklich.“ Aktuell beschäftigt er sich mit der Eiszeit und der Versauerung der Ozeane. „Das wird das nächste Riesenthema“, glaubt er. Draußen beginnt es jetzt zu regnen.