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Warum ein Berliner Rentner Pfandflaschen sammelt

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Christian Thiele und Lukas Schulze

Foto: Lukas Schulze / dpa

Wenn Menschen in Städten leere Flaschen aufsammeln, denkt man: Sie sind bedürftig. Das stimmt nicht immer. Das zeigt ein Beispiel aus Berlin.

Gut vier Jahre nach ihrem Start ist die Internet-Plattform Pfandgeben.de nach Ansicht des Initiators zu einem Selbstläufer geworden. Fast 2100 Flaschensammler hätten sich bundesweit registriert, sagte Jonas Kakoschke. Haushalte und Unternehmen, die leere Pfandflaschen abgeben möchten, wählen die Handynummer einer der angemeldeten Sammler, die das Leergut dann abholen. Die Idee entstand während seines Studiums. Es gebe immer wieder neue Anmeldungen, erklärte Kakoschke. Nach Bedürftigkeit prüft er die Anmelder nicht: „Ich bin nicht in der Position, das zu bewerten.“

Frank Epsch poliert mit leeren Flaschen seine Rente auf. Der Berliner macht immer dann Kasse, wenn andere ihre Cola-, Brause- und Bierflaschen geleert, aber nicht in die Pfandautomaten der Supermärkte gesteckt haben. Seit ein paar Jahren erhält der 70-Jährige sogar Anrufe, wenn in Firmen oder Haushalten Berge mit leeren Flaschen angefallen sind und keiner sie wegschaffen will. Frank Epsch ist einer von vielen, die auf der bundesweiten Internet-Plattform Pfandgeben.de ihren Service anbieten.

Allzu oft klingelt sein Klapphandy zwar nicht. Es ist trotzdem stets aufgeladen. Bis zu 20 Stammkunden kontaktieren ihn jeden Monat. Bis zu 50 Euro verdiene er somit dazu, rechnet er vor. 625 Euro Rente erhält er jeden Monat. Weitere 100 Euro kämen durch Flaschensammeln in Parks dazu, erzählt Epsch, während er genüsslich an seiner Zigarette zieht. „Ich könnte gut von der Rente leben, aber Urlaub wäre nicht drin.“ Bald geht es nach Madeira. Auf Kuba war er schon.

Flaschensammler melden sich über ihr Handy an

Fast 2100 Pfandsammler haben sich bislang auf der Internetseite registriert. „Es kommen immer wieder neue dazu“, berichtet Jonas Kakoschke. Die Idee kam ihm während seines Studiums. Vor knapp vier Jahren ging seine Plattform an den Start. „Es ist mittlerweile zu einem Selbstläufer geworden“, erzählt er.

Das Prinzip ist einfach: Flaschensammler melden sich über ihr Handy an. Die Nummer ist auf der Homepage unter der jeweils gewünschten Stadt zu finden. Wer Flaschen abgeben möchte, der wählt eine Handynummer – und im Idealfall meldet sich jemand am anderen Ende der Leitung. Das ist nicht immer der Fall. „Nicht alle melden sich bei uns ab“, bedauert Kakoschke.

Den Ehrenamtlichen der Plattform Pfandgeben.de fehlt jedoch die Zeit, den Datenberg mit Telefonnummern regelmäßig nach Karteileichen zu durchforsten. Den wahren Namen muss ohnehin niemand angeben, der sich als Flaschen-Abholer anbietet. Hinter Profilnamen wie Pfandhai, Pfandpiratin, Pfandholer, Pfandskerl, Pfandpapa, Flasche leer und Maik Mehrweg verberge sich mitunter auch die Angst, von Nachbarn oder vom Jobcenter erkannt zu werden, weiß Kakoschke.

„Reich wird man damit nicht“

Diese Sorgen plagen auch den 52-jährigen Mann aus Pankow. Er bezieht Hartz IV. „Muss ja nicht sein, dass mir das Geld gekürzt wird“, sagt er und will deshalb seinen Namen für sich behalten. Eine einzige Stammkundin habe er jedoch nur. Von ihr hole er alle zwei bis drei Wochen leere Flaschen ab, erzählt der Mann. „Wenn ich unterwegs bin, schau ich auch in die Papierkörbe. Reich wird man damit nicht.“

Diese Erfahrung teilt der 23-Jährige, der sich am Telefon mit Justin meldet. Er wolle bald einen Job antreten und danach studieren, noch sei er arbeitslos. „Ich bin nicht zwingend bedürftig“, schiebt er schnell hinterher. In der Regel verdient er zwischen 10 und 20 Euro pro Einsatz. Ein Versicherungsunternehmen und ein Rechtsanwalt zählen zu seinen Kunden. „Ich gehe auch deshalb sammeln, weil mich soziale Kontakte interessieren.“ Beim Abholen ergebe sich immer ein Gespräch.

Aufträge per Telefon bequemer und sicherer

Für Sammler sind Aufträge am Telefon nicht nur bequemer als das Durchstöbern von Papierkörben, sondern auch sicherer: Am Flughafen Tegel wurden im vergangenen Jahr 38 und am Flughafen Schönefeld 22 Hausverbote für unerwünschte Flaschensammler erteilt – das sind deutlich mehr als 2013. An den Berliner Bahnhöfen der Deutschen Bahn sank dagegen die Zahl der Hausverbote von 27 auf 7 in 2014, wie aus einer unlängst veröffentlichten Antwort des Berliner Senats auf eine Parlamentarische Anfrage der Piratenfraktion hervorgeht.

Cristina aus Barcelona sammelt ebenfalls Flaschen in Berlin. Seit neun Jahren lebt die 35-Jährige in der Hauptstadt. Im vergangenen Sommer habe ihr Telefon oft geklingelt, im Winter seltener. Mit Flaschensammler Frank Epsch eint sie eines: „Ich bin nicht auf das Sammeln angewiesen.“ Mit dem zusätzlichen Geld gönne sie sich etwas, wie Massagen oder ein gutes Essen, erzählt sie. „Für meinen Job schäme ich mich nicht.“

( dpa )