Der frühere Berliner Kaufhauserpresser „Dagobert“ ist Kanzlerin Angela Merkel (CDU) jeden Tag ganz nah. Er habe Merkel als Bildschirmschoner auf einem Laptop, sagt er, „sie hat ein so markantes Gesicht“. Ihr Mienenspiel sei so lebhaft, schwärmt der heutige Karikaturist Arno Funke. Die Frau lasse sich gut zeichnen.
Der Mann mit den vielen Gesichtern, der am 14. März 1950 in Neukölln zur Welt kam, wird am heutigen Sonnabend 65 Jahre alt – und er hat noch viel vor. „Meine Rente ist so gering, ich muss sowieso weiter arbeiten – macht mir ja auch Spaß. Ich kann mich nicht hinsetzen und vor mich hindösen“, so Funke. Ob er noch Schulden wegen damals abzahlen müsse? „Ich hab mich mit Karstadt geeinigt, nicht darüber zu reden“, sagt er und schweigt.
Der gelernte Schilder- und Lichtreklamehersteller, der auch als Discjockey, Fahrer und Bauhelfer jobbte, sorgte in den frühen 90er-Jahren bundesweit für Aufsehen, als er mit ausgeklügelten Tricks und etlichen gescheiterten Geldübergaben die Polizei in Atem hielt. Um Geld zu erpressen, hatte Funke in den Karstadt-Filialen in Hamburg, Bremen, Hannover sowie Bielefeld zudem Brand- und Sprengsätze gezündet. Im April 1994 wurde der Sohn eines Berliners und einer Norwegerin gefasst und knapp ein Jahr später, genau an seinem 45. Geburtstag, verurteilt. In einem zweiten Prozess wurde 1996 die Strafe auf neun Jahre festgesetzt. Gleichzeitig wurde er im Urteil auch verpflichtet, fünf Millionen D-Mark (rund 2,5 Millionen Euro) Schadenersatz zu zahlen. Im Sommer 2000 kam Funke vorzeitig frei.
Den Spitznamen „Dagobert“ ist der Geläuterte nie losgeworden. Polizei und Medien nannten ihn so, weil er per Zeitungsannonce mit dem Satz „Onkel Dagobert grüßt seine Neffen“ das Signal zur Geldübergabe geben wollte. Und er bediente sich dabei Ideen von Daniel Düsentrieb, dem legendären Erfinder aus dem Comic „Donald Duck“. Dafür deponierte er dann eine Streusandkiste über einem offenem Gully oder baute eine ferngesteuerte Lore für die Übergabe.
Zeichner bei einem Satiremagazin
Viele Deutsche sympathisierten mit Funke – nicht nur, weil er mit seinen findigen Tricks die Polizei zum Narren hielt, sondern auch, weil bei seinen kriminellen Aktionen niemand verletzt wurde. Dass dies auch nach der Explosion einer Rohrbombe im Dezember 1993 in einem Kaufhausfahrstuhl in Kreuzberg während der Öffnungszeiten so war, dürfte jedoch eher ein glücklicher Zufall gewesen sein. Seine erste Bombe hatte Arno Funke im Mai 1988 im KaDeWe am Wittenbergplatz hochgehen lassen. Der verursachte Schaden betrug 250.000 D-Mark, die mit der Explosion von dem Unternehmen erpresste Geldsumme war exakt doppelt so hoch. Doch nach vier Jahren war die erpresste halbe Million Mark bereits ausgegeben – Funke wurde rückfällig.
„Ich kann die Vergangenheit schlecht ändern“, sagt er. Er sei krank gewesen durch das jahrelange Einatmen giftiger Dämpfe bei der Arbeit – das habe ihn zu seinen Taten getrieben. Das Gericht hatte ihm eine hirnorganisch bedingte Depression und verminderte Schuldfähigkeit bescheinigt. Heute sagt Funke: „Ich hatte Pech und Glück – das hält sich die Waage.“ Nach der Haft bekam er einen festen Vertrag als Zeichner beim Satiremagazin „Eulenspiegel“ und startete neu.
Damit Jugendliche nicht auf die kriminelle Bahn geraten, dürften sie nicht sich selbst überlassen werden, meint Funke. „Eltern, Schule müssen eingreifen.“ Es sei schwierig, Kinder vor falschem Umgang zu bewahren. „Bei manchem lässt Testosteron das Gehirn schrumpfen.“ Mit einer Prise Koketterie ergänzt er: „Früher ging das Denken schneller, andauernd vergisst man was. Ich bin nicht mehr so frisch in der Birne – das frustriert mich“, sagt Funke, der als hochintelligent gilt. „Ich weiß nicht, wer das Märchen von der Altersweisheit ins Spiel gebracht hat.“
Der Urberliner schrieb auch Bücher mit selbstironischer Anspielung wie „Ente kross“. An einem neuen Titel arbeite er bereits seit Jahren, sagt er – „ich werde immerzu abgelenkt“. Aber offensichtlich von sich selbst. Funke berichtet freudestrahlend, wie er an einer 3-D-Kamera bastele – das technische Tüfteln sei ihm wohl in die Wiege gelegt worden. 2013 war er auch im RTL-Dschungelcamp in Australien.
Funke betätigt sich zudem als Hobbykoch – am liebsten asiatisch. Aber ein rheinischer Sauerbraten könnte es auch mal wieder sein. Er gehe auch dreimal in der Woche joggen. Und einen Segelschein zu machen – das wäre auch schön.
Mit dem Rucksack durch Norwegen
Und dann müsse er mit dem politischen Geschehen auf dem Laufenden sein – sonst fehlten Ideen fürs Zeichnen. Mit Pinsel und Farbe hantiere er jedoch nur noch im Ausnahmefall, erzählt Funke. Am Computer könne er effektiver arbeiten und besser Entwürfe ändern. Der lockere Plauderer wird ernst: Dass die Schere zwischen Arm und Reich immer größer werde, findet Funke frustrierend. Ebenso, dass Firmen ihre Gewinne aus Deutschland wegbrächten und keine Steuern zahlten. Dann habe der Staat kein Geld – mit der Folge, dass zu wenige Polizisten auf der Straße seien.
Zu seinem Geburtstag würde sich der umtriebige Berliner am liebsten verdrücken. „66 zu werden, finde ich viel interessanter“, sagt er außerdem. Von seinem Lieblingsprojekt habe er seine Partnerin noch nicht überzeugen können – zu einer neuen Tour mit Zelt und Rucksack durch Norwegen.