Wowereit-Nachfolge

Michael Müller will sich „nicht wegducken“

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Joachim Fahrun und Christine Richter

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Senator Michael Müller will Regierender Bürgermeister von Berlin werden. Wenn er das schafft, will er Akzente setzen – im Wohnungsbau, bei der Integration und im BER-Aufsichtsrat. Ein Interview.

Berliner Morgenpost: Herr Müller, Sie wirken so gelöst wie seit Langem nicht. Sind Sie sich Ihres Sieges im Rennen um die Nachfolge von Klaus Wowereit als Regierender Bürgermeister so sicher?

Michael Müller: Nein, das Rennen ist spannend und offen. Ich habe eine gute Chance, aber ich weiß, dass noch viel zu tun ist. Ich bin nicht siegessicher, aber mit mir und meiner Kandidatur im Reinen.

Sie müssen mit Ihren beiden Konkurrenten einen Konsens halten, weil Sie ja 2016 gemeinsam die Berliner Abgeordnetenhauswahl bestehen müssen. Ist das nicht das Problem, dass man keinen richtigen Wahlkampf führen kann, weil ein SPD-Landeschef Jan Stöß schlecht sagen kann: „Michael Müller, was haben Sie für einen Mist gemacht als Senator?“

Wir tragen alle drei Verantwortung, da kann man wohl schlecht sagen, nur einer sei an irgendetwas schuld. Am Gesamterscheinungsbild der Berliner SPD haben alle ihren Anteil. Und wir sind alle drei Sozialdemokraten, da gibt es viel Verbindendes. Auf dieser Grundlage machen wir deutlich, welche Erfahrungen wir einbringen, welche Akzente wir setzen und wofür wir das zur Verfügung stehende Geld ausgeben wollen. Insofern geht es um die Frage, wer Berlin besser regieren kann und welche konkrete Politik die nächsten Jahre in der Stadt verlässlich gestalten soll.

Sie sind am längsten dabei, Sie sagen, Sie sind der Erfahrenste der drei. Nun waren Sie ja nicht nur erfolgreich.

Wer glaubt, in der Politik ginge es immer nur nach oben, der ist falsch gewickelt. Ich bin 30 Jahre in der SPD, 15 Jahre in Spitzenämtern, da kann man nicht nur gewinnen. Aber glauben Sie, dass ich ohne Erfolge heute noch hier wäre? Und die Erfahrungen aus Niederlagen helfen ja für die nächsten Aufgaben. Siehe beim Volksentscheid Tempelhof. Die Wohnungen auf dem Feld wären mir immer noch sehr wichtig, aber wir haben den Volksentscheid verloren. Zu beidem stehe ich. Wir lernen daraus und organisieren unsere Bürgerbeteiligung und Partizipation dann auch anders. So wie jetzt mit dem Beteiligungsbeirat für das Tempelhofer Feld.

Kritiker sagen, Sie haben die S-Bahn-Ausschreibung verschludert, das wird Berlin viele Millionen Euro kosten.

Das ist Quatsch. Schon meine beiden Vorgänger haben sich mit dem Thema S-Bahnverträge und Neuausschreibung auseinandergesetzt. Es holt uns jetzt ein, dass es damals einen politischen Zeitverzug gegeben hat. Jetzt kommen wir mit dem Ausschreibungs- und Vergabeverfahren voran. Das Problem ist, dass die Berliner S-Bahn nicht von der Stange zu haben ist, sondern individuell gebaut werden muss. Das dauert leider. Wir haben aber Verträge mit der Bahn, die den Betrieb bis zur Neuauslieferung sicherstellen.

Aber auch die Brücken in Berlin werden nicht saniert, Straßen sind marode, Baustellen werden nicht freigegeben, die Kontrolle der Ferienwohnungen kann nach Aussagen der Bezirke wegen Personalmangels nicht erfolgen: Eine Erfolgsbilanz, die Sie als Regierender Bürgermeister qualifizieren würde, ist das ja nicht.

Moment mal! Wir bauen statt 3000 jetzt 10.000 Wohnungen im Jahr in Berlin, haben die ganze Mietenpolitik vom Kopf auf die Füße gestellt, innerhalb von 16 Monaten werden Schulneubauten umgesetzt, Parks wurden eröffnet am Gleisdreck und am Mauerpark, wir haben den öffentlichen Verkehr ausgebaut und die Elektromobilität. Das gehört zur guten Bilanz. Es gibt schwierige finanzielle Rahmenbedingungen und Personalengpässe, nicht nur in den Bezirken. Das kann man sich nicht schönreden. Für die Straßensanierung beispielsweise brauche ich Tiefbauingenieure, die ich im Moment einfach nicht bekomme. Die gehen lieber in die private Wirtschaft. Deswegen ist meine Konsequenz: Wir als Land Berlin müssen Personal entwickeln, selbst mehr ausbilden und die Auszubildenden dauerhaft übernehmen. Derzeit übernehmen wir die Auszubildenden nur für ein Jahr. Das ist falsch.

Dann hat SPD-Chef Stöß also doch recht, wenn er in seinem 100-Tage-Programm mehr Personal für der Verwaltung verspricht.

Mir gefallen diese pauschalen Aussagen nicht. Aber wo es um Dienste für die Bürger, im Bürgeramt, in der Elterngeldstelle geht oder auch um Bebauungspläne, brauchen wir mehr Mitarbeiter. Wir haben schon mit den letzten Haushaltsberatungen Stellen geschaffen, zum Beispiel für die Planungsämter. Von heute auf morgen herbeibeschließen kann man Fachkräfte allerdings nicht.

Herr Stöß darf dies fordern, er ist ja erst seit zwei Jahren SPD-Chef und kein Senatsmitglied. Aber Sie regieren bereits drei Jahre, waren vorher SPD-Fraktions- und Landesvorsitzender. Müssen Sie sich nicht vorwerfen lassen, zu spät zu reagieren?

Politik ist ein Prozess. Wir haben mit großer Unterstützung der Stadtgesellschaft konsolidiert. Ich halte es für absolut wichtig, dass Berlin jetzt solide Finanzen hat. Hätten wir diese nicht, würden wir heute über Sparrunden reden, nicht aber über Investitionen. Darum haben wir in den letzten Jahren umgesteuert. Wir bestehen nicht mehr auf der Zahl von 100.000 Vollzeitstellen, was lange die Zielzahl war. Wir bilden wieder selbst aus, und wir stellen wieder ein.

Was bekommen die Berliner, wenn Sie Regierender Bürgermeister werden?

Ich knüpfe an erfolgreiche Arbeit an. Wir haben die Arbeitslosigkeit halbiert und die Finanzen konsolidiert. Berlin ist eine weltoffene, kreative Metropole. Aber ich werde weitere Akzente setzen hin zu einer wirklich solidarischen Stadtgesellschaft. Wir haben immer noch zu viele Arbeitslose. Wir müssen den Wohnungsbau weiter verstärken. Die Integrationsarbeit vor Ort gilt es zu organisieren. Und wir müssen verlorengegangenes Vertrauen zurückgewinnen. Das gute Regieren, Bürgernähe und das Abarbeiten von Problemen, bis sie gelöst sind, das steht bei mir im Vordergrund.

War das bei Wowereit nicht der Fall?

Wir sind unterschiedliche Politiker-Typen mit unterschiedlichen Ansätzen. Wir setzen auch unterschiedliche Schwerpunkte. Ich kann sehr glaubhaft darstellen, dass es mit mir als Stadtentwicklungssenator zum Beispiel ein echtes Umdenken und wirkliche Konsequenzen in der Wohnungs- und Mietenpolitik gibt. Wir bauen viel in allen Gegenden der Stadt, wir greifen regulierend bei den Mieten ein.

Jeder Berater würde Ihnen sagen, wenn Sie 2016 die Wahl gewinnen wollen, dann brauchen Sie zwei, drei Themen, mit denen Sie identifiziert werden. Welche sind das?

Mieterstadt, Stadt der Arbeit, solidarische Stadt. Viele Menschen erwarten jetzt, dass wir einfach mal seriös und verlässlich unseren Job machen und nicht blumige Versprechen für die nächsten 30 Jahre oder für die ersten 100 Tage formulieren. Wir haben bei Bildung, Personal, Infrastruktur viel zu erledigen. Das werde ich konsequent tun.

Ist das nicht ein bisschen schwach? Wir gingen davon aus, dass Sie bisher auch schon seriös gearbeitet haben. SPD-Fraktionschef Raed Saleh kann sagen, er ist der Migrant, der Aufsteiger. Gewänne er, hätte Berlin weltweit Aufmerksamkeit. Jan Stöß sagt, er will vieles erneuern, was nicht so gut gelaufen ist. Sie sagen, es läuft alles so einigermaßen, die Leute wollen keine Veränderung. Das erinnert an den Stil der Kanzlerin. Sind Sie die Angela Merkel von Berlin?

(lacht) Die wurde auch lange unterschätzt! Aber was folgt aus den Geschichten meiner Mitbewerber eigentlich für ein politisches Programm? Wir drei sind seit Jahren in der Verantwortung, wir können gar nicht alles neu erfinden. Wir haben eine gemeinsame Grundlage und einen Koalitionsvertrag, darauf können wir unterschiedliche Akzente setzen. Ich stehe für die Schaffung von Arbeitsplätzen, für bezahlbaren Wohnraum und für eine solidarische Stadtgesellschaft. So klar und deutlich habe ich das von den anderen noch nicht gehört.

Raed Saleh sagt, er steht fürs solidarische Miteinander vor allem mit Migranten. Jan Stöß will noch mehr günstige Wohnungen bauen als Sie ...

… Er sagt nur nicht, wie das bezahlt werden soll. 5000 pro Jahr geförderte Wohnungen sind schön, kosten aber 1,5 Milliarden Euro.

Es können ja nicht alle gewinnen. Bleiben alle auf ihren Posten? Bindet man die Unterlegenen in den Senat ein?

Es geht für die SPD darum, 2016 eine Wahl zu gewinnen. Da muss sich jeder überlegen, ob er ein funktionierendes Team ohne Not zerschlägt. Das ist nicht meine Politik.

Mal konkret: Haben Sie schon mit Finanzsenator Ulrich Nußbaum gesprochen? Er ist ja nicht Ihr Freund.

Es ist stadtbekannt, dass wir inhaltliche Auseinandersetzungen geführt, aber bei vielen Themen eine gute gemeinsame Basis gefunden haben. Wir haben unterschiedliche Rollen, die Situation ist geklärt. Aber ich rede jetzt nicht über irgendwelche Posten.

Am 12. Dezember tagt der Flughafen-Aufsichtsrat. Ohne den Vorsitzenden Wowereit, der am 11. Dezember zurücktritt. Werden Sie in den Aufsichtsrat gehen?

Wenn ich Regierender Bürgermeister werde, gehe ich in den Aufsichtsrat. Das ist zwingend. Man kann sich nicht wegducken, wenn eine Aufgabe schwer wird. Wir bestellen und bezahlen diese Leistung am BER gemeinsam mit Brandenburg und dem Bund. Da muss man auch mit den führenden politischen Köpfen im Kontrollgremium vertreten sein. Aber ich will schauen, ob man noch mehr Finanz- und Baukompetenz in den Aufsichtsrat bekommt. Ob ich Aufsichtsratsvorsitzender werde, muss man mit Brandenburg abstimmen. Ich setze auf eine enge Kooperation mit Brandenburg bei allen Fragen. Und da muss es auch um mehr gehen als um den Lärmschutz.