Berlins Innensenator Frank Henkel (CDU) hat nach den Skandalen in mehreren Verfassungsschutzbehörden eine Zentralkartei für V-Leute gefordert. „Es muss unter anderem über die Frage gesprochen werden, ob man V-Leute nicht doch zentral führt, damit die Dinge, die jetzt passiert sind, nicht noch einmal geschehen“, sagte Henkel im Interview mit Morgenpost Online. Außerdem kündigte er an, dass die Bundesländer auf der kommenden Innenministerkonferenz einheitliche Regeln im Umgang mit V-Leuten verabschieden werden.
Morgenpost Online: Herr Henkel, Sie sind jetzt seit einem Jahr im Amt und haben von Beginn an mit mehreren Problemen zu tun. Wie bewerten Sie das erste Regierungsjahr?
Frank Henkel: Es war ein sehr arbeitsreiches Jahr. Ich musste mich, mehr als ich dachte und wollte, um Lasten aus der Vergangenheit kümmern. Das betrifft nicht nur die V-Mann-Affäre aus dem Jahr 2002 oder die Aktenvernichtung, sondern auch die Ausschreibung des Postens des Polizeipräsidenten, die Personalsituation in meiner Behörde und das Problem mit den Überstunden. Ich hätte gern mehr Zeit für eigene Akzente gehabt. Dennoch ist in diesem Jahr eine Menge passiert.
Was meinen Sie?
Die Stelle des Polizeipräsidenten wird jetzt besetzt, wir haben 250 zusätzliche Polizisten in der Ausbildung und die Speicherfristen für die Videoüberwachung von 24 auf 48 Stunden verlängert. Wir sind verstärkt gegen die Rockerkriminalität vorgegangen, wir haben schwierige Lagen bewältigt wie den 1. Mai mit der friedlichsten Walpurgisnacht aller Zeiten oder die Demonstration von Rechtspopulisten vor Moscheen. Außerdem habe ich mich übers Jahr hinweg stets für ein rechtssicheres NPD-Verbotsverfahren eingesetzt. Eine wehrhafte Demokratie muss entschlossen handeln.
Also sind Sie der Meinung, dass unterm Strich die Regierung eher positiv dasteht?
Wir setzen das um, was wir im Koalitionsvertrag vereinbart haben, aber auch das, was wir im Wahlkampf versprochen haben. Ich habe immer gesagt, wir räumen da auf, wo Berlin nicht funktioniert. Wenn ich mir dieses Jahr anschaue, dann fällt meine Bilanz so aus, dass das Glas eher halbvoll als halbleer ist.
In den Rückblicken wird der Schwerpunkt woanders liegen. Es wird um zwei Senatorenrücktritte, die erneute Flughafenverschiebung und den Schredderskandal beim Verfassungsschutz gehen. Ist das eine Folge der überraschenden CDU-Regierungsbeteiligung vor einem Jahr?
Nein. Der Start war holprig, das will ich gar nicht schönreden. Die personelle Entwicklung im Senat habe ich mir natürlich anders vorgestellt. Aber es bringt ja nichts, mit dem zu hadern, was passiert ist. Um Berlin voranzubringen, müssen wir nach vorn schauen.
Da kann ein Blick zurück hilfreich sein…
Über die verschobene Eröffnung des BER ist längst alles geschrieben. Für uns in der Regierung gilt, alles zu tun, damit er ans Netz gehen kann. Wir brauchen diesen Flughafen und wir brauchen ihn als internationales Drehkreuz.
Bislang haben Sie sich beim Flughafen bedeckt gehalten. Wie bewerten Sie die Lage?
Ich glaube, dass wir mit dem neuen Technikvorstand einen erfahrenen Mann gewonnen haben, der weiß, worauf es ankommt. Bei aller gebotenen Vorsicht vor dem Hintergrund der bisherigen Erfahrungen, bin ich guter Dinge, dass der jetzt im Raum stehende Termin gehalten werden kann.
Ist das auch so, wenn Sie das Wort „Brandschutzanlage“ hören?
Dann denke ich das auch. Technikchef Horst Amann ist in der Lage, mit schwierigen Problemen umzugehen. Mir ist jedenfalls nicht bekannt, dass angesichts der Probleme beim Brandschutz der Termin nicht zu halten sei. Dafür gibt es im Augenblick keinen Hinweis.
Sie selbst sind wegen der Kommunikationspannen um den NSU-Komplex in die Kritik geraten. Was haben Sie daraus gelernt?
Ich hätte besser und schneller informieren sollen. Die zweite Lehre ist, dass ich künftig einmal mehr nachfrage, wenn ich brisante Informationen erhalte.
Nachdem Sie das Wissen um den V-Mann nicht weitergeleitet hatten, kam es nur Wochen später bei der Aktenvernichtung erneut zu einer ähnlichen Panne?
Die Fälle sind anders gelagert. Mir wurde in beiden Fällen Vertuschung vorgeworfen. Wer das behauptet, sagt die Unwahrheit. Welches Interesse sollte ich haben, Dinge, die vor meiner Amtszeit geschehen sind, zu verschweigen? Die eigenen Versäumnisse räume ich nach wie vor ein. Ich verstehe, dass Abgeordnete schnell informiert werden wollen. Im Gesetz steht, dass eine umfassende Information erfolgen soll. Als ich von der Aktenvernichtung erfuhr, gab es zu diesem Zeitpunkt noch offene Fragen. Die wollte ich beantwortet wissen. Daher finde ich, die drei Wochen, die wir uns dafür Zeit gelassen haben, sind kein Zeitraum, der zu kritisieren ist. Ich bin dennoch dankbar, dass wir jetzt eine Regelung gefunden haben, die klar macht, wann eine Information zu erfolgen hat.
Haben Sie inzwischen einen Überblick darüber, wie viele Akten nicht im Landesarchiv ankamen und vernichtet wurden?
Der Sonderermittler Dirk Feuerberg ermittelt mit Hochdruck daran. Er ist sich sicher, dass er es bis Ende des Jahres schafft, sodass wir das Parlament und die Öffentlichkeit Anfang Januar darüber informieren können.
Mittlerweile gab es fünf Rücktritte bei den Ämtern für Verfassungsschutz auf Bundes- und Landesebene. Was ist da schiefgelaufen?
Ich will mich auf Berlin beschränken. Nach der Frage, wer wann Akten geschreddert hat, sehe ich beim Verfassungsschutz ein strukturelles Problem. Wir müssen herausfinden, welche Strukturen nicht funktioniert haben und warum sie nicht funktioniert haben. Es sind Änderungen nötig, vielleicht auch personelle. Aber im Grundsatz haben die Abteilung und die Mitarbeiter in den letzten zwölf Jahren einen sehr guten Job gemacht, es gab keine Skandale.
Die alten Skandale beim Verfassungsschutz kommen jetzt heraus.
Was geschehen ist, muss man sich genau ansehen. Aber es wird auf jeden Fall Änderungen geben. Es gibt fünf neue Stellen für die Bekämpfung des Rechtsextremismus. Außerdem soll ein eigenes Referat Rechtsextremismus geschaffen werden.
Herr Henkel, wie wollen Sie das schlingernde Koalitionsboot wieder auf Kurs bringen?
Die Stimmung in der Koalition ist konstruktiv und vertrauensvoll, auch die Atmosphäre ist gut. Aber wir werden ja nicht am Klima in der Koalition gemessen, sondern an unseren Leistungen. Deshalb verspreche ich mir vom nächsten Jahr, dass wir weniger Probleme zu beseitigen haben und verstärkt dazu kommen, die Ziele des Koalitionsvertrages umzusetzen. Wir haben ja schon einige erreicht. Das Straßenausbaubeitragsgesetz ist abgeschafft, das jahrgangsübergreifende Lernen ist nicht mehr Pflicht, der Weiterbau der A100 kommt und die Tangentialverbindung Ost ist auf den Weg gebracht.
Die Umfragen zeigen in anderes Bild. Die große Koalition aus SPD und CDU in Berlin hat im bundesweiten Vergleich die schlechteste Zustimmung aller Landesregierungen.
Es ist keine Frage, dass die aktuellen Ereignisse das Ergebnis überschatten. Für mich ist wichtig, dass wir halten, was wir versprochen haben. Mir ist auch keine Umfrage bekannt, in der die Koalition keine Mehrheit hat.
Können Sie Bundeskanzlerin Angela Merkel für die Zeit nach der Bundestagswahl auch eine große Koalition empfehlen?
Große Koalitionen im Bund waren bei näherer Betrachtung nicht das Schlechteste für das Land. Meine Erfahrungen damit sind jedenfalls gut. Am Ende entscheidet jedoch der Wähler. Uns geht es vor allem darum, so stark zu werden, dass eine Regierungsbildung nur unter der Führung Angela Merkels möglich ist. Wenn ich mir den Fehlstart von Peer Steinbrück anschaue, scheint das auch das Ziel des SPD-Kandidaten zu sein.