Claudia Schmid kommt pünktlich. Die Berliner Chefin des Verfassungsschutzes zieht an diesem Vormittag einen Rollkoffer hinter sich her in das Berliner Abgeordnetenhaus und lächelt in die Runde der Wartenden. „Mir geht es wunderbar“, sagt sie und eilt vorbei. Dass sie zu diesem Zeitpunkt schon nicht mehr die Leiterin des Verfassungsschutzes ist, lässt sie sich nicht anmerken. Die Frau mit den kurzen Haaren und der randlosen Brille gibt sich kontrolliert, so wie man es von ihr gewohnt ist. „Claudia Schmid hat mich um ihre Versetzung gebeten. Diesem Wunsch habe ich entsprochen“, wird Innensenator Frank Henkel (CDU) wenige Minuten später im Ausschuss für Verfassungsschutz sagen. Schmid sehe sich nicht mehr in der Lage, den Senator „in vollem Umfang zu unterstützen“, lautet die Begründung für ihr Versetzungsgesuch.
Damit hat der Skandal um die Aufklärung möglicher Behördenmängel rund um den NSU-Terrortrio auch in Berlin zu ersten personellen Konsequenzen geführt. Schmid stolperte über zwei widerrechtliche Schredderaktionen in ihrer Abteilung.
Zuvor hatten bundesweit bereits vier andere Verfassungsschützer ihr Amt verloren. Im Juli warf Heinz Fromm, Präsident des Bundesverfassungsschutz, das Handtuch. Auch Sachsens Verfassungsschutzchef, Reinhard Boos, war im Juli zurückgetreten. Davor hatte bereits Thüringen den Behördenleiter Thomas Sippel in den vorläufigen Ruhestand geschickt. Nordrhein-Westfalens Verfassungsschutzchefin Mathilde Koller hatte aus persönlichen Gründen, wie sie sagte, um ihre Versetzung in den Ruhestand gebeten.
Ironie der Geschichte
Claudia Schmid bedankt sich an diesem Mittwoch kurz für die nette Würdigung des Innensenators. „Ich wünsche Ihnen viel Erfolg bei der künftigen Kontrolle des Verfassungsschutzes“, sagt sie. Danach herrscht betretenes Schweigen. Schmid, selbst FDP-Mitglied, stand dem Verfassungsschutz zwölf Jahre lang vor. Sie war 2000 von Innensenator Eckart Werthebach (CDU) an die Spitze der Abteilung berufen worden. Es sei eine Ironie der Geschichte, dass ausgerechnet Schmid wegen einer solchen Affäre aus dem Amt scheide, sagt SPD-Rechtsexperte Thomas Kleineidam schließlich in die Stille des Saales 311 hinein.
Claudia Schmid galt einst als Vorzeige-Frau des Verfassungsschutzes in Deutschland. Bei ihrem Amtsantritt als Leiterin des Berliner Verfassungsschutzes im Januar 2001 war die Juristin die einzige Frau an der Spitze eines deutschen Geheimdienstes und die zweite überhaupt. Nach diversen Skandalen hatte die damalige große Koalition die Auflösung des Berliner Amtes beschlossen und dieses als Abteilung in die Innenbehörde integriert, um mehr Kontrolle über die Verfassungsschützer ausüben zu können. In den darauffolgenden Jahren arbeitete der Verfassungsschutz weitgehend geräuschlos. Diesen Verdienst schreiben die Verfassungsschutzexperten im Parlament Claudia Schmid zu. Ihre Arbeit und ihr sachlicher Umgang wurden parteiübergreifend geschätzt, sie hatte einen guten Ruf. Im August 2011 wurde Schmid gar als neue Chefin des Bundesamtes für Verfassungsschutz gehandelt, als Nachfolgerin von Heinz Fromm.
Nun stolperte die 55-Jährige wie ein halbes Jahr zuvor schon Fromm über das Versagen der Sicherheitsbehörden. In diesem Sommer hatte Schmids Referatsleiter für Rechtsextremismus Akten, die die rechtsextreme Band „Landser“ betrafen, zur Vernichtung freigegeben, obwohl sie vom Landesarchiv zur Aufbewahrung angefordert waren. Zusätzliche Brisanz erhielt der Vorfall dadurch, dass ein Berliner V-Mann, der aus dem Umfeld des NSU-Terrortrios stammte, als Experte für rechtsextreme Musik angeworben worden war. Seine Informationen wurden jedoch offenbar nicht weitergeleitet.
Am Dienstag war eine weitere Schredderaktion bekannt geworden. Diesmal von Akten zum rechtsextremen Netzwerk „Blood & Honour“. Auch diese Akten wurden, allerdings schon vor zwei Jahren, ohne rechtliche Grundlage vernichtet.
Scharfe Kritik aus dem Bundestag
Dazu gab es am Mittwoch scharfe Kritik aus dem Bundestag. Das Verhalten Schmids sei eine Frechheit gewesen, sagte der Vorsitzende des NSU-Untersuchungsausschusses im Bundestag, Sebastian Edathy (SPD). Schmid habe bereits im Sommer von der Aktenschredderung aus dem Jahr 2010 gewusst, diese Information aber nicht an Parlament oder Senat weitergegeben. „Das ist ein unglaublicher Vorgang.“ An einen freiwilligen Rückzug glaube Edathy nicht „Ich habe nicht den Eindruck, dass es ihre eigene Initiative war.“ Vielmehr scheine es, als sei sie diesen Schritt auf Betreiben Henkels gegangen.
Der Rücktritt Schmids bedeutet den vorläufigen Höhepunkt der Berliner Verstrickung in den NSU-Skandal. Henkel war in den vergangenen Wochen stark in die Kritik geraten, weil immer neue Versäumnisse bekannt wurden. So hatte der Innensenator monatelang das Parlament nicht über die Existenz des V-Mannes unterrichtet, auch die erste Schredderaktion behielt die Behördenleitung zunächst für sich. Erst als die Frist zur Stellungnahme für den NSU-Untersuchungsausschuss ablief, informierte er die Abgeordneten eilig.
An diesem Mittwoch nun wollte Henkel das Heft des Handelns wieder zurückgewinnen und einen Befreiungsschlag landen. Er bemühte sich um entschlossene Gesten und klare Antworten. „Ich kann die Vorgänge nicht verteidigen“, räumte er erneut Fehler in den eigenen Reihen ein. „Der Verfassungsschutz hat ein ernsthaftes strukturelles Problem, das kann nicht ohne Konsequenzen bleiben.“ Henkel kündigte auch die Ablösung des Referatsleiters Rechtsextremismus an. Er hatte die verheerende erste Schredderaktion eigenhändig vorbereitet und ist seit Bekanntwerden des Skandals krank. Zudem soll es strukturelle Reformen geben. Bei der Besetzung frei werdender Stellen werde er verstärkt auf Rotation setzen, so Henkel. Auch die offenbar nicht eindeutigen Vorschriften zum Schreddern von Akten sollen neu gefasst werden.
Eine Frage der eigenen Fehler
Mit den beiden Personalentscheidungen hat Henkel die eine Hälfte des Skandals in Angriff genommen. Die andere wartet noch auf endgültige Aufklärung. Dabei geht es um die Frage der eigenen Fehler. Ins Zentrum der Kritik rückt dabei immer mehr Staatssekretär Bernd Krömer (CDU). Er soll Henkel dazu geraten haben, das Parlament und die Öffentlichkeit zunächst nicht zu informieren. Mitarbeiter der Behörde beschreiben das Wirken Krömers in der Verwaltung als „Kulturschock“. Vorgänger Körting galt als ausgleichende Persönlichkeit, die sich um eine angenehme Arbeitsatmosphäre bemühte. Das Duo Henkel/Krömer spricht dagegen kaum mit den Mitarbeitern. Als eine der ersten Amtshandlungen schaffte Henkel die Runde der Abteilungsleiter ab.
Für die Berliner CDU ist das erste Jahr der Regierungsbeteiligung verheerend verlaufen. Nach nur zwölf Tagen verließ Justiz- und Verbraucherschutzsenator Michael Braun (CDU) sein Amt wegen – mittlerweile aus dem Weg geräumter – Vorwürfe im Zusammenhang mit dubiosen Geschäften mit Schrottimmobilien. Im September ging Wirtschaftssenatorin Sybille von Obernitz (parteilos, für die CDU) wegen unüberbrückbarer Differenzen, und CDU-Fraktionschef Florian Graf räumte ein, bei seiner Doktorarbeit getrickst zu haben. Im Mai hatte zudem die amtierende Polizeipräsidentin Margarete Koppers den Innensenator zunächst nicht darüber informiert, dass rund um die Mai-Demonstrationen mehrere Rohrbomben gefunden wurden, die allerdings nicht explosionsfähig waren.
Ob er die politische Verantwortung für den Skandal übernehme, wurde Henkel am Mittwoch gefragt. „Was denken Sie, was ich den ganzen Tag in meinem Büro in der Klosterstrasse mache? Ich nehme meine Verantwortung wahr“, antwortete Henkel und verließ Berlin Richtung Celle zu einem BKA-Treffen. So hatte er keine Zeit, in seine Behörde zu gehen. Die Innenverwaltung beging am Mittwoch den „Tag des Personals“.