Büros, Hotels und Shopping-Center waren gestern. Projektentwickler entdecken nun den Wohnungsbau in Berlin – verstärkt auch im Westen der Stadt. Denn dieses Segment ist dank steigender Mieten höchst interessant.
Ausgerechnet die aktuelle Schuldenkrise in Europa sorgt dafür, dass die Auftragsbücher der Bauträger in der Region Berlin und Potsdam so prall gefüllt sind wie lange nicht mehr. In den Jahren 2008 bis 2010 wurden bereits Gebäude im Wert von 3,7 Milliarden Euro errichtet. Weitere 12,3 Milliarden Euro sollen noch in den kommenden Jahren bis 2015 investiert werden. Insgesamt haben regionale und internationale Projektentwicklungsgesellschaften mehr als 16 Milliarden Euro und damit rund 3,5 Prozent mehr in Bauvorhaben angelegt als noch im Vorjahr, und zwar vorzugsweise wieder in der City-West. Grund ist, dass Kapitalgeber angesichts der unsicheren Situation auf den Finanzmärkten mittlerweile verstärkt in Immobilien flüchten, die als weitgehend krisensicher gelten.
Das geht aus einer Studie hervor, die das Analysehaus BulwienGesa am Dienstag vorgelegt hat. Die Studie, die vom Hochtief-Konzern und der TLG Immobilien in Auftrag gegeben wurde, erfasst professionelle Bauträger mit Projekten ab 1000 Quadratmetern. Überraschend deutlich zeigt sich in der aktuellen Studie die Vorliebe der Bauträger für den Wohnungsbau. 40 Prozent der zwischen 2008 und Mitte 2011 fertiggestellten Projekte sind Wohnimmobilien, bei Bauflächen sind es sogar 64 Prozent, beim Planungsvolumen immerhin 37 Prozent. Bei Büro- und Einzelhandelsflächen wird das Planungsvolumen dagegen deutlich geringer.
„Sowohl institutionelle als auch private Investoren setzen angesichts der Unsicherheit auf den internationalen Finanzmärkten verstärkt auf das sichere Wohnsegment“, sagte Carsten Sellschopf, Leiter der Berliner Niederlassung von Hochtief. „Demzufolge steigen auch die Mieten.“
In Berlin lag die durchschnittliche Nettokaltmiete von Neubauwohnungen nach den Ergebnissen der Studie 2010 bei 8,25 Euro pro Quadratmeter. Mit 4,4 Prozent stieg sie stärker als 2009 (1,3 Prozent). Auch das Spitzenmietniveau hat um rund 1,5 Prozent angezogen und liegt jetzt bei 13,30 Euro. Von überhitzten Mietpreisen könne jedoch keine Rede sein. „Wir haben bei den Neubaumieten im Jahr 2010 überhaupt erst wieder das Niveau erreicht, das wir 1998 bereits einmal hatten“, so Andreas Schulten, Vorstandsmitglied der BulwienGesa AG. Eine Umfrage unter den Investoren habe auch gezeigt, dass diese weiterhin von deutlich steigenden Mieten ausgehen.
„Die Gefahr einer Immobilienblase besteht jedoch nicht“, so der Analyst. Schließlich verzeichne Berlin stetig steigende Haushaltszahlen, in den Innenstadtlagen gebe es zudem kaum noch Leerstand, und auch die wirtschaftliche Dynamik der Stadt sei gut. „Die Nachfrage nach Wohnraum wird also weiterhin hoch sein“, sagt Schulten. In einer Umfrage unter den Projektentwicklern hätten diese als Hauptgrund für ihre Investition auch die Erwartung genannt, dass die Mieten weiter deutlich steigen werden. Schulten glaubt zugleich nicht, dass angesichts der Nachfrage nach preiswertem Wohnraum in der Innenstadt auch wieder günstige Wohnungen entstehen: „Bauen in der Innenstadt ist teuer – deshalb sind es die Mieten auch.“
Berlins erster echter Wohn-Tower am Alex
Der Alexanderplatz mit den Einkaufstempeln „Alexa“, „Die Mitte“ und dem Klassiker Kaufhof ist bei Berlinern und Touristen als Shopping-Adresse gleichermaßen beliebt. Als Wohnort dagegen ist der quirlige Platz, den 300.000 Menschen dank der vorzüglichen U- und S-Bahnanbindung täglich passieren, bislang nicht bekannt. Der US-amerikanische Projektentwickler Hines will das jetzt ändern. Auf dem Areal direkt am Einkaufszentrum „Die Mitte“ – das Hines vor zwei Jahren ebenfalls errichtet hat – soll nun Berlins erster echter Wohn-Tower mit einer Höhe von rund 150 Metern entstehen. Der Grund für die Neuentdeckung des Alexanderplatzes zu Wohnzwecken ist indes nur auf den ersten Blick überraschend: Weil sich für einen Büroturm jahrelang kein Mieter fand, will der Investor sein Glück jetzt mit Wohnungen versuchen. Damit ist er nicht allein.
Laut Analysehaus BulwienGesa sind im Entwicklungszeitraum von 2008 bis 2015 rund 5,5 Millionen Quadratmeter Nutz- und Wohnfläche in der Hauptstadtregion Berlin und Potsdam bereits fertig gestellt, im Bau oder noch in der Planungsphase. „Der Wohnbereich nimmt mit einem Anteil von 45,1 Prozent am Gesamtprojektvolumen die Spitzenposition ein“, so Carsten Sellschopf von Hochtief. „Das Projektvolumen bei den Wohnungsbauten ist 2011 um 25 Prozent von zwei Millionen auf rund 2,5 Millionen Quadratmeter gestiegen“, so Sellschopf weiter. Wohnimmobilien stellen damit erstmals das stärkste Immobiliensegment in der Metropolregion dar. Allein in diesem Jahr investieren Bauträger rund 1,1 Milliarden Euro in Wohnprojekte, im kommenden Jahr sollen es laut Studie 1,2 Milliarden Euro sein.
Unternehmen wie die NCC Deutschland, Kondor Wessels, Charmatin-Meermann, Interhomes AG oder die Groth Gruppe setzen dabei vor allem auf einen Faktor: „Steigende Mieten“, wie Andreas Schulten, Vorstandsmitglied der BulwienGesa AG, durch die Befragung von Unternehmern herausgefunden hat. Demnach erwarten die Investoren deutlich steigende Mieten, die wiederum die Garantie für steigende Kaufpreise sind. Eine baldige Trendumkehr erwartet Schulten indes nicht. Die durchschnittlichen Wohnungsmieten im Neubaubereich lagen nach den Berechnungen der Analysten 2010 in Berlin bei 8,25 Euro (Potsdam: 8,65 Euro), im Spitzenbereich bei 13,30 Euro (Potsdam: 11 Euro).
Auffällig sei auch, dass die aktuellen Bau-Vorhaben eine deutliche „West-Drift“ aufweisen, wie Schulten es formuliert. Während in den 90er-Jahren vor allem im Speckgürtel gebaut wurde, ein paar Jahre später dann in die östlichen Innenstadtbereich von Mitte, Prenzlauer Berg und Friedrichshain, sei seit zwei Jahren auch der Berliner Westen wieder aktuell. „Hier gibt es einen deutlichen Nachholbedarf“, so der Analyst. Beispiele dafür sind das Haus Cumberland am Kudamm mit 200 hochwertigen Wohnungen und Penthäusern, das Projekt von Bauwert auf dem Gelände der ehemaligen Kleingartenkolonie Württembergische Straße mit 210 Neubau-Wohnungen. An der Emser Straße Ecke Lietzenburger Straße sollen 32 Luxuswohnungen entstehen. Und an der Truman Plaza sowie im gegenüberliegenden ehemaligen US-Hauptquartier in Zehlendorf soll auch hochwertiger Wohnraum entstehen. Die sogenannte Reurbanisierung, die Wiederentdeckung der Stadtmitte als Wohnort hat jedoch einen für Mieter und Käufer mit begrenzten Finanzmitteln negativen Effekt: „Innerstädtisches Wohnen ist teuer“, so Schulten. Dies gelte insbesondere beim Neubau, der aufgrund der hohen Grundstückspreise nur mit entsprechenden Mieten refinanzierbar sei.
Das gestiegene Interesse der Anleger am Wohnungsmarkt gilt nicht nur den Neubauten, sondern auch den Bestandsgebäuden. Der Grund: „Besonders bei den Neuvermietungen in den sehr guten Lagen werden mittlerweile bis zu 18 Euro erreicht“, so Rackham Schröder, Geschäftsführer bei Engel & Völkers Commercial Berlin. Das locke vermehrt Investoren an. Die Zahl der verkauften Wohn- und Geschäftshäuser – klassischer Berliner Altbau mit Läden – sei im Vergleich zum Vorjahr um 21 Prozent auf 1580 gestiegen.