Matthias Legde führt einen Kampf, den er eigentlich nur verlieren kann. Denn die wilden Zeiten sind schon längst vorbei. Als Konzerte im „Schokoladen“ noch bis tief in die Nacht dauerten, die Bässe über die Straße hämmerten und das Partyvolk unter freiem Himmel stundenlang Spaß hatte. So war das früher, hier, an der Ackerstraße in Mitte.
Seit 1990 gibt es das Kulturprojekt Schokoladen. Unter einem Dach sollen Konzerte, Kunst, Theater und alternatives Leben vereint werden. Lärmbeschwerden gab es so gut wie nie, sagt Matthias Legde, der in dem Verein arbeitet, der den Schokoladen betreibt. Irgendwann, sagt er, habe sich dann eine Nachbarin beschwert. Die Frau war neu in den Bezirk gezogen, direkt in die pulsierende Innenstadt. Da, wo das Leben tobt und die Szene feiert. Die neue Anwohnerin wollte zentral leben, mitten im Trubel der Großstadt – und nachts ruhig schlafen. Sie klagte. Gegen den Schokoladen und die nächtlichen Konzerte. „Die Polizei kam dann regelmäßig“, sagt Matthias Legde. Die Konzerte wurden abgebrochen. „Bestimmt ein Dutzend Mal.“ Seitdem endet jede Veranstaltung um 22 Uhr. „Wir hatten ja keine andere Wahl“, sagt Legde. Die Besucherzahlen sind um zwei Drittel eingebrochen. Und auch für die Gäste, die noch kommen, könnte bald Schluss sein.
Wichtiger Tourismusfaktor
Denn die Betreiber des Schokoladens kämpfen auch noch an anderer Front. Der Vermieter klagt auf Räumung der Gewerbeflächen, will das Gebäude sanieren. Am 23. September wird über die Klage entschieden. Mit den Lärmbeschwerden der Anwohnerin hat das nichts zu tun. Trotzdem sieht Matthias Legde einen Zusammenhang: „Alternative Kultur wird aus der Innenstadt verdrängt.“ Und der Schokoladen ist kein Einzelfall.
Viele Berliner Clubs sind von Investoren bedroht oder sehen ihren Betrieb durch Lärmbeschwerden aus der Nachbarschaft gefährdet. Auf Anfrage des CDU-Abgeordneten Christian Goiny stellte die Senatsverwaltung eine Liste der betroffenen Clubs auf. Auf ihr finden sich bekannte Namen, wie das „Yaam“, das „Lido“ und der „Rote Salon“. Auch das „Kiki Blofeld“ wird genannt. Dort ist am 11. September Schluss.
Alle Clubs liegen in der beliebten Innenstadt. Die Behörden reagieren auf Lärmbeschwerden aus der Nachbarschaft mit strengeren Auflagen. So musste das „Kater Holzig“ in Mitte Lärmschutzfenster einbauen, damit die Bässe nicht mehr bis in die angrenzenden Wohnungen hineinhämmern. „Jeder soll zu seinem Recht kommen“, sagt der zuständige Ordnungsstadtrat Carsten Spallek (CDU). „Die Anwohner und die Clubs.“ Der Politiker beobachtet in seinem Bezirk allerdings eine gestiegene Erwartungshaltung der Menschen – gerade bei Zuzüglern. Die zahlten hohe Mieten, um im angesagten Szene-Kiez zu wohnen. Wer viel Geld ausgibt, wolle in der Regel dafür auch einen angemessenen Lebensstandard geboten bekommen. Ohne nächtlichen Partylärm. Spallek sagt, dass die Bereitschaft zu Klagen deutlich gestiegen sei. „Einige haben womöglich nicht bedacht, worauf sie sich bei der Wahl des neuen Wohnorts einlassen“, sagt der CDU-Politiker. Wer in die Oranienburger Straße ziehe, dürfte sich nicht über Lärm nach 22 Uhr wundern. Oder sogar darüber beschweren.
Tourismus-Manager Burkhard Kieker hält die Clubs zwar nicht für bedroht, aber man müsse sie pflegen. Sie lockten junge Touristen nach Berlin. Verständnis für die Beschwerden hat Kieker nicht. „Wer nach Berlin zieht und sich dann über die Clubs beschwert, hat nicht richtig nachgedacht“, sagt der Chef von Berlin-Tourismus-Marketing (BTM). Doch das rabiate Durchsetzen der eigenen Interessen ist kein Schicki-Micki-Mitte-Problem. Auch in Prenzlauer Berg wird es für die Clubs immer schwieriger. Der legendäre Knaack-Club musste im vergangenen Dezember schließen. Auf Druck der Anwohner, die in die neuen Eigentumswohnungen in der Nachbarschaft gezogen sind.
Betreiber suchen Verbündete
Auch die Kulturbrauerei an der Schönhauser Allee wird vom Senat als „Problem-Club“ bewertet. Immer wieder beschwerten sich Anwohner dort über lärmende Partygäste auf der Straße. „Gerade im Sommer ist das ein Problem“, sagt Claudia Lehman vom Soda-Club. Die Lösung: Ein größerer Eingangsbereich und eine zweite Tür. So sei der starke Publikumsandrang besser zu bewältigen, sagt Lehmann. Eine optimale Lösung gebe es allerdings fast nie. Man setzt auf Kommunikation: „Wir stehen in engem Kontakt zu den Anwohnern, dem Bezirk, dem Ordnungsamt und der Polizei.“
Die Berliner Clubkommision kennt die Probleme. Rund 120 Clubs, Partyveranstalter und Kulturschaffende sind in dem Netzwerk organisiert. Für Lärmbeschwerden von Anwohnern haben sie eigene Lösungen erarbeitet. „Wir versuchen, alle Akteure zusammenzubringen“, sagt Lutz Leichsenring von Club-Kommission. Und: „Die Politik muss verstehen, dass die Clubszene als Wirtschaftszweig ein wichtiger Faktor für Berlin ist.“
Jens-Holger Kirchner würde dem wohl zustimmen. Der Pankower Stadtrat und Grünen-Politiker findet es „haarsträubend“, was mit dem Knaack-Club passiert ist. Der habe den Ruf des Bezirks bis weit über die Berliner Grenzen hinaus geprägt. Und musste trotzdem schließen. Allein im vergangenen Jahr gab es in Prenzlauer Berg 67 Beschwerden wegen Lärmbelästigung durch die Partyszene. Ein Jahr zuvor waren es nur 33. „Die wilden Zeiten sind hier wohl vorbei“, sagt Kirchner. Wie sein Kollege Spallek in Mitte berichtet auch Kirchner von einer Tendenz, Streitfragen sofort gerichtlich zu klären. So hätte die „Bar zum schmutzigen Hobby“ 50.000 Euro in den Schallschutz investieren müssen. Zu viel. Sie zog um, nach Friedrichshain.
Der „Dunckerclub“ fehlt in der Auflistung der Senatsverwaltung. Doch auch dort sind Lärm und Krach ein Thema. Nebenan wird gebaut. Eigentlich sollte das Wohnhaus schon im Sommer fertiggestellt werden. Die Betreiberin hat Angst, dass sich die Geschichte des Knaack-Clubs bei ihnen wiederholt. Damals ignorierten die Verantwortlichen den Neubau in der Nachbarschaft. Im Dunckerclub hat man aus diesen Erfahrungen gelernt. „Wir haben schon im vergangenen Jahr versucht, über das Bauamt Kontakt mit unseren neuen Nachbarn aufzunehmen“, sagt Managerin Sabine Ennet. Bisher gab es keine Reaktion.
Die gab es allerdings in Kreuzberg. Als das legendäre „SO36“ vor zwei Jahren dicht gemacht werden sollte. Auch dort hatte sich ein Anwohner beschwert. Der Club musste eine Schallschutzmauer bauen. Für 100.000 Euro. „Im Kiez haben daraufhin viele für uns gespendet, Plakate wurden aufgehängt, und sogar die Toten Hosen haben für das SO36 ein Konzert gegeben“, sagt Veranstalterin Lilo Unger. So konnte der Bau finanziert werden. „Kreuzberg ist ein besonderer Bezirk, und im Gegensatz zu anderen Clubs hatte die sich abzeichnende Schließung des SO36 auch eine große mediale Aufmerksamkeit erfahren. „Wir hatten da natürlich auch ein bisschen Glück“, sagt Unger. Darauf hoffen auch die Betreiber des Schokoladens in der Ackerstraße in Mitte.