Der Schleier um die Verträge zur Teilprivatisierung der Berliner Wasserbetriebe (BWB) hat sich gelichtet, seit der Senat auf Druck des erfolgreichen Volksbegehrens und wegen Veröffentlichungen in den Medien beschloss, die lange geheim gehaltenen Papiere offenzulegen. Vieles bleibt jedoch weiter unklar: So ist kaum nachvollziehbar, auf welcher Basis sich der Senat und die privaten Anteilseigner Veolia und RWE vor einem geheimen Schiedsgericht über Hunderte Millionen Euro streiten.
Entscheidende Grundlagen, die für die Höhe der Wassertarife von großer Bedeutung sind, wurden bis jetzt nicht erläutert. Auch deshalb fordert die Initiative Berliner Wassertisch die Berliner auf, bei der Volksabstimmung in zwei Wochen mit Ja zu stimmen, um alle Nebenabreden offenzulegen und die Verträge anfechten zu können. Der Senat hält das im Volksentscheid zur Abstimmung stehende Gesetz dagegen für verfassungswidrig.
Private fordern 340 Millionen Euro
Streit zwischen den öffentlichen und privaten Anteilseignern entzündet sich immer wieder an der komplizierten Frage, wie hoch das betriebsnotwendige Kapital der Wasserbetriebe bewertet wird. Denn nicht nur der vom Senat festgesetzte Zinssatz auf dieses Kapital – 2010 7,58 Prozent, für 2011 7,1 Prozent – entscheidet über die Gewinnausschüttungen an die privaten Anteilseigner Veolia und RWE sowie an das Land Berlin. Für noch wichtiger als den Zinssatz erachtet ein mit den Vorgängen vertrauter Ökonom die Frage, wie hoch die Basis berechnet wird, auf die der Zins erhoben wird. Zuletzt wurde das betriebsnotwendige Kapital bei 3,67 Milliarden Euro beziffert.
Es gebe jedoch erhebliche Spielräume, um die Kapitalbasis nach oben zu rechnen und die Gewinne entsprechend hoch ausfallen zu lassen. Auch deswegen sei es möglich, bei einem Umsatz von rund 1,2 Milliarden Euro Gewinne von fast 280 Millionen Euro an die Eigentümer auszuschütten, so der Wirtschaftsexperte. Um Druck für noch mehr Transparenz zu machen, müsste die Volksabstimmung in zwei Wochen erfolgreich sein, sagen die Initiatoren. Der Senat setzt unterdessen darauf, dass die Initiative die notwendige Zustimmung von mehr als 600.000 Stimmen verfehlt. Als ein Beispiel für weitere Unklarheiten in der Debatte über die Verträge zur Teilprivatisierung verweisen die Aktivisten auf einen Streit, den der Senat seit zwei Jahren mit Veolia und RWE vor einem Schiedsgericht austrägt. Die Privaten fordern vom Land Berlin 340 Millionen Euro. Der Senat wiederum geht davon aus, dass er von RWE und Veolia noch 298 Millionen Euro bekommt. Wie ist das möglich?
Beide Seiten sind sich über die Folgen einer Vertragsergänzung von 2003 uneinig. Seinerzeit wurden die Regeln verändert, wie die Wasserbetriebe ihre Pumpwerke, Leitungen und Kläranlagen abschreiben. Nicht mehr der Anschaffungswert sollte zugrunde gelegt werden, sondern die Summe, die für mögliche künftige Neubauten solcher Anlagen nötig wären, die sogenannten Wiederbeschaffungszeitwerte. Weil die Materie überaus komplex ist, hatten Senat und Private eine Klausel vereinbart. Man wollte im Nachhinein überprüfen, ob einer Seite durch die Änderung Nachteile entstanden seien, die auszugleichen wären. Offensichtlich sind sich die Wirtschaftsprüfer und Anwälte beider Seiten keineswegs einig, mit welchen Werten die Anlagen der Wasserbetriebe anzusetzen sind. Nur so lässt sich erklären, dass die Bewertungen der Fachleute um Hunderte Millionen Euro voneinander abweichen.
Aus Sicht der Aktivisten des Berliner Wassertisches, die durch eine erfolgreiche Unterschriftensammlung den in zwei Wochen anstehenden Volksentscheid durchgesetzt haben, macht ein solcher Konflikt die Spielräume deutlich, die Senat und Private trotz erfolgter Offenlegung der Verträge immer noch haben, um die Wassertarife zulasten der Bürger zu beeinflussen. „Der Senat hat nie die ganze Wahrheit gesagt und immer etwas weggelassen“, ist die Wassertisch-Aktivistin Gerlinde Schermer überzeugt. Das Verschweigen von Sachverhalten sei bisherige Praxis. „Ich habe kein Vertrauen, dass das, was bisher offengelegt wurde, alles ist“, sagt die frühere SPD-Abgeordnete, die schon zu ihrer Zeit im Berliner Parlament in den 90er-Jahren gegen den Teilverkauf der Wasserbetriebe kämpfte und die damit den Zorn so mancher Fraktionskollegen auf sich zog.
Abschreibungsregeln geändert
Die Abschreibungsregeln, die nun zu dem Millionen-Disput zwischen Senat sowie RWE und Veolia geführt haben, waren damals geändert worden, um den Privaten ihre Rendite zu garantieren. Diese war ihnen zugesichert worden, als sie 1999 zusammen 49,9 Prozent der Wasserbetriebe für 1,7 Milliarden Euro vom damals noch von CDU und SPD geführten Senat erwarben.
Wasser-Aktivistin Schermer, als Steuerberaterin mit Bilanzierungs- und Abschreibungsregeln durchaus vertraut, hat einen weiteren Punkt gefunden, wo aus der Änderung der Abschreibungsmethoden Mehreinnahmen für die Wasserbetriebe und damit potenziell auch für die privaten Anteilseigner entstanden sind. Die Wasserkunden hätten allein durch die neuen Abschreibungsregeln bis 2010 mindestens 500 Millionen Euro mehr bezahlt als nach dem alten System. Unklar sei nun, wie ein großer Teil dieser Mehreinnahmen verwendet würden.
Was geschieht mit Rücklagen?
Der Senat hat dem Abgeordnetenhaus seit 2005 immer wieder über die Rücklagenbildung der Wasserbetriebe berichtet, von den zusätzlichen Einnahmen würden 60 Prozent für zu zahlende Steuern zurückgelegt. Aus Unterlagen der Wasserbetriebe geht jedoch hervor, dass die Berliner Wasserbetriebe nur mit Steuerforderungen von 43 Prozent rechnen. Aus Sicht Schermers ist es deshalb völlig unklar, wofür eine Summe von 300 Millionen Euro, die die Wasserbetriebe von ihren Kunden durch diesen Bilanzierungskniff zusätzlich kassiert hätten, verwendet werden soll.
„Auf welcher Grundlage sich über solche Beträge gestritten wird“, sei jedoch „aus den vorliegenden Unterlagen nicht sichtbar“, sagt Gerlinde Schermer. Sie hat sich ihre Zahlen mühsam aus verschiedenen Quellen zusammengerechnet.
Der Landeschef der Linken, Klaus Lederer, der sich für seine Jura-Dissertation ausgiebig mit der Wasser-Privatisierung befasst hat, würde die Teilprivatisierung auch gerne rückgängig machen. Aber die Forderung, weitere Akten offenzulegen, führe nicht zu diesem Ziel. Das Abschreibungsrecht lasse den Wasserbetrieben einigen Spielraum, auch wie sie ihr betriebsnotwendiges Kapital berechnen. Das sei zwar „schwer zu verstehen“, bedeute aber nicht, „dass es noch Geheimnisse gibt“.
Weil die Investoren und das Land Berlin unterschiedliche Interessen hätten – das Land müsse auf bezahlbare Preise achten, die Privaten wollten den Gewinn maximieren –, seien Konflikte unausweichlich. Der vom Berliner Wassertisch initiierte Volksentscheid sei nicht das richtige Mittel, er setze nur auf das „Misstrauen gegen die Herrschenden“. Stattdessen sollte die Initiative dem Senat den Rücken stärken bei seinem Bestreben, die Anteile zurückzukaufen und die Verträge neu zu verhandeln.