Bonn-Berlin

Bundeswehr-Reform heizt Umzugsdebatte an

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Joachim Fahrun

Foto: dpa / dpa/DPA

Das Bundesverteidigungsministerium soll ganz von Bonn nach Berlin umziehen, fordern Experten. Das weckt neue Begehrlichkeiten an der Spree.

1500 Beamte auf der Bonner Hardthöhe weniger. Die Personalstärke des Verteidigungsministeriums fast halbiert. In Petra Merkels Ohren klingt verlockend, was die Bundeswehr-Strukturkommission unter Leitung von Frank-Jürgen Weise vorgeschlagen hat. Die Berliner Sozialdemokratin ist Vorsitzende des Bundestags-Haushaltsausschusses. „Wir Haushaltspolitiker haben ja ein weites Herz für so etwas.“ In Zeiten des Spardrucks werde es für die Bundesregierung nicht leicht sein, die Empfehlungen der Kommission des Chefs der Bundesagentur für Arbeit zu ignorieren, so die Bundestagsabgeordnete aus Charlottenburg-Wilmersdorf.

Eine Folge der Schrumpfkur in der mehr als 3000 Mitarbeiter umfassenden Wehr-Bürokratie im Bonner Hauptsitz des Ministeriums von Karl-Theodor zu Guttenberg soll nach dem Willen der Experten eine Konzentration am Dienstsitz Berlin sein. Die Strukturkommission will an diesem Dienstag ihren Bericht mit Reformvorschlägen zur Bundeswehr vorlegen.

Schon wittern diejenigen Morgenluft, denen die Aufteilung der Ministerien und Regierungsfunktionen zwischen der Hauptstadt Berlin und der Bundesstadt Bonn seit je nicht einleuchten mag. Denn im Berlin-Bonn-Gesetz, das 1994 zur Umsetzung des Hauptstadtbeschlusses beschlossen wurde, sind für sechs Ministerien die Hauptsitze für Bonn bestimmt, die übrigen müssen Nebenstellen in Bonn unterhalten. Und so kommt es, dass auch das Bundeskanzleramt noch 27 Mitarbeiter in Bonn beschäftigt, das Auswärtige Amt 335, Das Ministerium für Verkehr und Bau, das ebenfalls seinen Hauptsitz in Berlin hat, sogar 765.

Ein Umzug ist nicht zwangsläufig

Berlins Senatssprecher Richard Meng unterstrich die Forderung, alle Ministerien an die Spree zu holen. Es sei an der Zeit, weitere Schritte zu unternehmen, sagte Meng. Im Bundestag ist die Erwartung jedoch eher gebremst. In den vergangenen Monaten habe sich in Sachen Bonn-Berlin eher weniger bewegt als in den frühen Jahren, heißt es. Einen Automatismus, das Berlin-Bonn-Gesetz wegen eines verkleinerten Verteidigungsministeriums zu ändern, gebe es nicht, sagt die SPD-Bundestagsabgeordnete Merkel. Auch eine halb so große Dienststelle am Rhein entspräche dem Buchstaben des Berlin-Bonn-Gesetzes. Im Paragraf 3 ist im Absatz drei die Rede von „Erhalt und Förderung politischer Funktionen in der Bundesstadt Bonn in folgenden Politikbereichen“, unter Punkt e) "Verteidigung“.

In Bonn arbeiten 2545 Vollzeitbeschäftigte für den Verteidigungsminister. In Berlin sind es 516. Selbst wenn der empfohlene Personalabbau nur Bonn träfe, wären am Rhein immer noch doppelt so viele Ministeriale tätig wie in Berlin.

Gegen eine komplette Verlagerung des Ministeriums hat sich die nordrhein-westfälische Lobby am Montag sogleich in Stellung gebracht. Vor allem in der Union, die 1991 mehrheitlich gegen den Hauptstadtbeschluss zugunsten Berlins stimmte, regt sich Widerstand. „Ich bin damit nicht einverstanden“, sagte der Vorsitzende des Bundestagsinnenausschusses, Wolfgang Bosbach, dem „Kölner Stadtanzeiger“. Das Verteidigungsministerium sei ein Schlüsselressort. „Wenn dieser Dominostein fällt, wird es nur eine Frage der Zeit sein, bis die anderen Steine auch fallen“, meinte der CDU-Politiker. Das Berlin-Bonn-Gesetz, das die Aufteilung der Ministerien auf beide Städte regelt, müsse Geschäftsgrundlage bleiben. Ein vollständiger Umzug aller Ressorts wäre mit Milliardenkosten verbunden.

Bonns Oberbürgermeister Jürgen Nimptsch (SPD) erklärte zu den Vorschlägen der Weise-Kommission: „Die bisherigen Aussagen der Bundesregierung zu dieser Frage sind eindeutig: Die Bundeswehr bleibt in Bonn vertreten, wo sie 1955 gegründet wurde.“ In welcher Form dies geschehe, sei zweitrangig. Für Bonn sei wichtig, dass die Zahl der Arbeitsplätze erhalten bleibe. Die nordrhein-westfälische Landesregierung hat die Bundesregierung vor einem Komplettumzug des Verteidigungsministeriums nach Berlin gewarnt. Die Festlegungen im Bonn-Berlin-Gesetz, die die Aufteilung der Bundesministerien zwischen den Strandorten Berlin und Bonn regeln, dürften „nicht zur Disposition gestellt werden“, sagte Nordrhein-Westfalens Ministerin für Bundesangelegenheiten, Angelica Schwall-Düren (SPD), der „Financial Times Deutschland“. Regierungssprecher Steffen Seibert sagte vor Journalisten in Berlin: „Die Koalition bekennt sich zum Berlin-Bonn-Gesetz.“ Es sei sinnvoll, in alle Richtungen zu denken und „dann zu prüfen, was sinnvoll und möglich ist“.

Ein Sprecher des Verteidigungsministeriums sagte, ein hausinterner Arbeitsstab werde die Vorschläge bis Januar 2011 prüfen. Dazu gehöre auch eine eventuelle Änderung des Berlin-Bonn-Gesetzes. Grundsätzlich bekenne man sich aber zu dieser auch im Koalitionsvertrag von Union und FDP bekräftigten Vereinbarung.

Ruhestand in Bonn

Politisch scheint die Arbeitsteilung zwischen Berlin und der unter anderem als Sitz der Dax-Konzerne Post und Telekom prosperierenden Stadt am Rhein also nach wie vor zementiert. Es sind eher die Macht des Faktischen und die Pensionierungswellen, die das Gewicht zugunsten Berlins verschieben. Denn schon seit Jahren gilt: Wer es als Ministerialbeamter zu etwas bringen, will, sollte in Berlin arbeiten, wo der politische Betrieb spielt. „In Bonn gehen die Leute in den Ruhestand, in Berlin werden sie eingestellt“, sagt der Mitarbeiter einer Berliner Nebenstelle.

Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: Im Jahr 2000 waren in Bonn 11.313 Ministerialbeamte tätig, in Berlin 7564. Sechs Jahre später hatten sich die Belegschaften schon fast angeglichen: In Bonn waren es 9148, Berlin zählte 8726. Dann zog Berlin vorbei. Im Teilungskostenbericht des Bundesfinanzministeriums ist für 2009 die Zahl von 9660 Stellen in Berlin und 8470 für Bonn verzeichnet. Neben den fast 900 Stellen, die sich die Bundesministerien in den vergangenen zehn Jahren genehmigt haben und die fast ausschließlich in Berlin angesiedelt wurden, hat es auch eine reale Verschiebung von Funktionen nach Berlin gegeben.

Die Kosten des Doppelbetriebs und der Beamten-Pendelei beziffern die Beamten des Berlin-Freundes, Finanzminister Wolfgang Schäuble, mit 10,6 Millionen Euro für 2010, das wären 1,8 Millionen Euro mehr als 2009. Der Anstieg beruhe vor allem auf Investitionen in die technische Infrastruktur für die „Netze des Bundes“. Die Beamten sollen lieber über Videokonferenzen miteinander oder mit ihren Chefs in Berlin kommunizieren als im Beamten-Shuttle hin- und herzufliegen.

Teure Doppelstrukturen

Allerdings verbringen die Ministerialen auch im Jahr 20 nach der Wiedervereinigung noch immer zahlreiche Stunden in der Luft. 24.000 „aufteilungsbedingte Dienstreisen“ werden im Teilungskostenbericht für 2010 erwartet. Die Kosten belaufen sich auf 5,6 Millionen Euro, mehr als vier Millionen Euro davon für Flüge, wobei die Arbeitszeit der meist beamteten Vielflieger nicht als verloren bewertet wird. Aber die berechneten Kosten lagen um 830.000 Euro höher als die im Vorjahr.

Am meisten unterwegs sind die Verteidigungs-Beamten, die zwischen der Bonner Hardthöhe, dem Berliner Dienstsitz im Bendlerblock und dem Bundestag mit seinen Ausschüssen pendeln. Guttenbergs Mitarbeiter gingen 5100-mal pro Jahr auf Reisen, weil ihre Behörde auf zwei Dienstsitze verteilt ist. Kein anderes Ministerium betreibt einen solchen Aufwand, um seine Doppelstrukturen zu pflegen.

Vor allem den Leitungsebenen der Ministerien ist die Aufteilung schon lange ein Dorn im Auge. Sie behelfen sich, indem bestimmte Abteilungen mit nicht unmittelbar politischen Funktionen aus dem offiziellen Ministerium ausgegliedert und zu Bundesämtern erklärt werden. So hat das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung „nichtministerielle Aufgaben“ an das Bundesverwaltungsamt delegiert. Die eifrigsten und offensten Verfechter eines Totalumzugs der Bundesregierung sind seit Jahren die Linken. Ohne die Zustimmung der damaligen PDS aus dem Osten des wiedervereinigten Deutschlands hätte es schon 1991 im Bonner Bundestag keine Mehrheit für den Regierungsumzug nach Berlin gegeben. Seitdem bringen die Linken im Bundestag regelmäßig Anträge für ein Ende der Pendelei ein. Zuletzt wurde der Vorstoß 2007 abgeschmettert. Jetzt liegt wieder ein Entwurf für ein „Beendigungsgesetz zum Berlin-Bonn-Gesetz“ im Parlament. Aber selbst die Abgeordneten anderer Parteien, die das Anliegen teilen, werden wie bisher nicht dafür stimmen. „Solche Anträge bringen nichts, wenn man keine Mehrheit hat“, sagt Sozialdemokratin Merkel: „Das muss man anders einfädeln.“ Man arbeite daran.