Bauprojekt

Geheimnisvolle Mega-Villa spaltet Schwanenwerder

| Lesedauer: 9 Minuten
Katrin Lange

Der Bau einer Villa auf der Havelinsel Schwanenwerder spaltet die Gemüter, denn der Bau wird weder landhausig noch wilhelminisch, noch sonstwie historisierend. Sondern futuristisch modern. Viele Alteingesessene sind empört. Doch es gibt auch Nachbarn, die sich auf den Anblick des modernen Hauses freuen.

Nur noch fünf Minuten bis Kladow. Gemächlich schiebt sich die Fähre am Strandbad Wannsee vorbei. Das Plätschern der Wellen vermischt sich mit dem Gemurmel an Deck. Die Insel Schwanenwerder rückt näher, versteckt hinter dichtem Grün. Auf einmal kommt Bewegung in die sommerliche Trägheit auf dem Schiff.

Die Blicke gehen wie auf Kommando in eine Richtung. Der grüne Uferstreifen von Schwanenwerder tut sich auf – und zum Vorschein kommt erst ein Stück grauer Beton, dann immer mehr – aufgetürmt und verschachtelt in drei Gebäudeteilen. Die Fahrgäste sammeln sich auf der Seite mit Inselblick, zücken Handykameras und Fotoapparate. Es zoomt und klickt. Alle versuchen, ein Foto zu bekommen oder wenigstens einen Eindruck von dem, was Gegner als Marinebunker und Befürworter als beeindruckende Architektur der Moderne bezeichnen.

„Das Amt kann allein entscheiden“

Bevor die ungewöhnliche Luxusvilla mit Wohn-, Gäste- und Bootshaus, Pool und fünf Garagenplätzen an der Inselstraße 34 überhaupt fertig ist, hat sie schon eine lange Geschichte geschrieben. Eine Geschichte gespickt mit Gerüchten, Geheimnissen und Argwohn – nicht nur was die zukünftigen Bewohner angeht, sondern auch die Genehmigung des Bauprojekts.

Der Entwurf stammt aus dem weltbekannten Berliner Architekturbüro Graft, das schon mit Schauspieler Brad Pitt zusammengearbeitet hat. Die Vermutung, er wolle mit Angelina Jolie nach Schwanenwerder ziehen, lag zunächst nah, wurde aber hinlänglich dementiert. Zwei Privatleute aus Zehlendorf sind die Bauherren – mehr ist nicht bekannt. Im Herbst ist der Komplex fertig, dann könnten die Möbelwagen Licht ins Dunkel bringen.

Abweichung von der Gestaltungssatzung

Offene Fragen gibt es auch hinsichtlich der Baugenehmigung. Erteilt wurde sie von Steglitz-Zehlendorfs Baustadtrat Uwe Stäglin (SPD). Der musste sich gerade von der CDU-Fraktion in der Bezirksverordnetenversammlung die Frage gefallen lassen, ob es sich bei der Errichtung des Bauwerks „um eine Maßnahme optischen Sozialstrukturausgleichs“ handle, „um Schwanenwerder endlich dem Neuen Kreuzberger Zentrum näherzubringen“. Kritik kommt auch von den Grünen, die Stäglin ankreiden, dass er „die brachialen Abweichungen von der Gestaltungssatzung für Schwanenwerder“ im Alleingang entschieden und nicht im Stadtplanungsausschuss diskutiert hat.

Der Baustadtrat sieht sich nicht in der Schuld. „Wenn ein Bauvorhaben in das Planungsrecht passt, kann das Amt allein entscheiden“, sagt Stäglin. Und die Villa sprenge nicht den Rahmen, den das Baurecht zulässt.

Angst um die Ursprünglichkeit der Insel

Auf Schwanenwerder jedoch ist die Unruhe, spätestens seit dieser Neubau Gestalt annimmt, groß. Einige Bewohner fürchten um die Ursprünglichkeit ihrer Insel. Sie haben sich im Verein Natura Havel zusammengeschlossen, um Einhalt zu gebieten: den Kettensägen, die immer wieder Bäume fällen, den Betonmischern, die mit Baustoff anrollen. Vor 100 Jahren zählte das 25 Hektar große Eiland, seit der Kaiserzeit eine der vornehmsten Adressen, acht Parzellen mit acht Villen. Heute sind es etwa 40 Grundstücke und etliche Häuser mehr. Sie sind längst nicht mehr alle im historischen Landhausstil errichtet, sondern auch futuristisch mit viel Glas oder grünen, halbrunden Dächern.

Die zunehmende Bebauung haben sich die Alteingesessenen mehr oder weniger zähneknirschend gefallen lassen. Doch der gigantische Neubau an der Inselstraße 34 hat die Bewohner in zwei Lager gespalten: die Entsetzten und die Erwartungsvollen. Zur letzteren Partei gehört der direkte Nachbar. Helmut Huber – seit 1972 auf der Insel – steht mit aufgekrempelten Hemdsärmeln vor seinem Grundstück und plaudert mit einem anderen Inselbewohner. „Ich habe die Zeichnungen von dem Haus gesehen, mir hat der Entwurf gefallen“, sagt er. Gerade die moderne Architektur habe ihn „positiv überrascht“. Jedoch wisse niemand, wie es aussieht, wenn der Komplex fertig ist, gibt der braun gebrannte Mann zu bedenken. „Entscheidend ist doch, was am Ende dabei rauskommt.“ Diese Ansicht teilt auch eine Anwohnerin schräg gegenüber. „Ich finde es gut, wenn sich etwas Neues entwickelt“, sagt die junge Frau. Ein bisschen moderne Architektur tue der Insel gut. Wie ein riesiges Schiff sehe das Haus aus, sagt sie und fügt hinzu: „Ich bin gespannt, wie es einmal wird.“

„Wo findet man so etwas schon?“

Als solle die Aufmerksamkeit nicht zu sehr auf die Baustelle gelenkt werden, schallt der Lärm der Maschinen nur gedämpft über die Insel. Zwei junge Frauen kommen die Inselstraße entlang. Ja, man rede schon über das Haus, sagen die Mitarbeiterinnen des Aspen-Instituts, das seinen Sitz auf der Insel hat. Aber die Meinungen gingen auseinander. Selbst die beiden Programmdirektorinnen sind sich nicht einig. Während die eine klipp und klar sagt: „Das passt nicht auf die Insel“, sagt die andere: „Ich finde es schon beeindruckend, allein die beiden Bootsgaragen, in die man mit aufgestellten Masten hineinfahren kann – wo findet man so etwas schon?“

Wenn es nach den Mitgliedern des Vereins Natura Havel ginge, hätte der Neubau auf Schwanenwerder nichts zu suchen. „Die Bebauung verschandelt die gesamte Uferkulisse der Insel und hat in weiten Teilen in Wannsee und Kladow für Entsetzen gesorgt“, sagt ein Vereinsmitglied. Die Anlage gleiche vom Wasser aus gesehen einer Bunkeranlage der deutschen Kriegsmarine des Zweiten Weltkriegs an der französischen Atlantikküste. Als „reine Katastrophe“ bezeichnet der Vereinsvorsitzende Stefan Bandelin das Gebäude. Er werde sich wohl nie mit ihm anfreunden können. Doch noch schlimmer findet er den Vertrauensverlust in das Bauamt. „Wie soll man einem Amt vertrauen, wenn es derartige Baugenehmigungen erteilt?“, fragt Bandelin. Er zitiert aus der geltenden Bauordnung, die nur Häuser bis zu 30 Metern Länge zulässt. „Der Neubau ist etwa 90 Meter lang – das hätte nicht genehmigt werden müssen.“

Ja zu moderner Architektur

Diese Großzügigkeit im Umgang mit dem Baurecht verwundert nicht nur Inselbewohner, sondern auch die Bezirkspolitiker. Deshalb verlangten sie jetzt Aufklärung von Baustadtrat Stäglin. Auf die Frage, ob der massive Neubau den planungsrechtlichen Vorschriften entspreche oder ob Ausnahmen und Befreiungen notwendig gewesen seien, erklärte Stäglin, dass er sich bei der Genehmigung im Rahmen des Planungsrechts bewegt habe. Das etwa 1000 Quadratmeter große Gebäude auf dem 10.000 Quadratmeter großen Grundstück entspreche dem möglichen Nutzungsmaß. Befreiungen von der Gestaltungssatzung habe er lediglich für die Dachform und die Fenster erteilt. Diese Ausnahmen halte er für städtebaulich vertretbar. „Wenn ich A zu einer modernen Architektur sage, muss ich auch B zu einer Befreiung von der Gestaltungssatzung sagen“, so Stäglin.

Eine weitere Ausnahme, nämlich die für das Baufenster, also den Standort des Hauses, begründet Stäglin mit der vorangegangenen Rodung von 200 Bäumen. Die hatte ein Vorbesitzer einfach fällen lassen – und dafür eine Ordnungsstrafe kassiert –, bevor er das Grundstück weiterverkauft hat.

Die Bezirkspolitiker sparten nicht an Kritik. „Warum musste sich das Amt ohne Not über die Gestaltungssatzung hinwegsetzen?“, fragt der CDU-Fraktionsvorsitzende Torsten Hippe. Im Gegenteil – das Amt hätte alle Möglichkeiten gehabt, diese Scheußlichkeit zu verhindern. Hippe drohte Stäglin damit, sollte so etwas noch einmal vorkommen, wolle er ihn von seinem Posten als Stadtrat entbinden lassen. Mildere Töne schlägt der FDP-Fraktionschef Rolf Breidenbach an. Architekten und Bauherren müssten alle Freiheiten gelassen werden, wenn sie sich an die Vorgaben halten, sagt Breidenbach. Allerdings hätte er wie seine Kollegen von CDU und Grünen gern gewusst, warum die Befreiungen von der Gestaltungssatzung nicht zur Diskussion standen. Uwe Stäglin bleibt dabei: „Man mag unterschiedlicher Meinung sein, ob das Vorhaben relevant genug für eine Debatte im Ausschuss gewesen wäre“, sagt der Baustadtrat. Er sehe jedenfalls das Orts- und Landschaftsbild nicht durch die moderne Architektur nachteilig beeinflusst.

Land verkauft drei Grundstücke

Stefan Bandelin vom Verein Natura Havel weiß, dass der Neubau an der Inselstraße 34 „mit den legalen Mitteln der Sondergenehmigungen“ zustande kam. Mit juristischen Schritten sei dagegen nichts zu machen. Allerdings ist der Verein jetzt auf der Hut. Der Bauboom auf Schwanenwerder geht weiter. Gerade bereitet das Bauamt von Steglitz-Zehlendorf den Verkauf von drei landeseigenen Grundstücken von insgesamt 60.000 Quadratmetern im Süden der Insel vor, die vorher der Jugenderholung dienten und jetzt als Bauland zahlungskräftige Besitzer finden sollen. Eine erste öffentliche Auslegung der Pläne wurde vom Verein Natura Havel mit Anmerkungen über 60 Seiten quittiert. Darin gibt es auch ein Gutachten über die bedrohten Vogelarten, die derzeit noch in dem Waldgebiet leben. „Wir werden das Verfahren genau beobachten“, sagt Stefan Bandelin. Damit so etwas wie an der Inselstraße 34 nicht noch einmal vorkomme.