Serie "Das ist Berlin"

Schön und nicht teuer – das gibt es in Pankow

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Thomas Fülling

In Pankow kann man, wenn man Glück hat, das Umögliche erleben: Auf dem Land und mitten in der Großstadt zugleich zu leben. Aktiven Bürgern gelingt es, verwahrloste Industrie-Brachen der DDR zu neuem Leben zu verhelfen. Und immer öfter zieht es Menschen aus dem hippen Prenzlauer Berg hierher.

An der Berliner Straße, gleich neben dem S- und U-Bahnhof Pankow, steht ein großes Verkehrsschild. Der eine Pfeil darauf weist nach links Richtung Prenzlauer Berg, der andere nach rechts Richtung Wedding. Pankow, also der Ortsteil Pankow, liegt nicht nur geografisch dazwischen: Längst nicht so hip, so angesagt wie Prenzlauer Berg, aber auch nicht von schweren sozialen Verwerfungen betroffen wie der einstige Arbeiterkiez Wedding. Fragt man alteingesessene Pankower – die nennen ihr Viertel auch gern Alt-Pankow – nach einer Kurzcharakteristik, fallen recht oft die Worte „ruhig“ und „beschaulich“. Diese Attribute brachten Pankow in den 1990er-Jahren den Ruf ein, langweilig und etwas verschnarcht zu sein.

Stillgelegte Fabriken nach der Wende

Nicht ganz zu Unrecht, sagt Wolfgang Albrecht-Schoeck. Den Architekten und Designer hat es 1999 von Darmstadt nach Pankow verschlagen. „Mit dem Fahrrad bin ich damals in jede Toreinfahrt rein“, erinnert sich der heute 66-Jährige an die Suche nach einem Atelier. Was ihm damals auffiel, waren die vielen stillgelegten Fabrikhallen und verfallenen Häuser. Pankows Ratsherren hätten sich lange Zeit viel zu wenig um eine Nachnutzung dieser Brachen gekümmert, meint Albrecht-Schoeck. Er selbst wurde schließlich fündig in der Gaillardstraße. Dort entdeckte er zwischen zwei Mietshäusern einen der wenigen noch erhaltenen Bauernhöfe Pankows. Noch bis in die 1960er-Jahre wurde dort frische Milch verkauft, später waren in den Ställen Tischler und Schlosser für die Schulen untergebracht. Bald gab es für Behörden-Handwerker keine Verwendung mehr, die Gebäude waren dem Verfall preisgegeben.

Für Albrecht-Schoeck und seine Ehefrau, die Denkmalpflegerin Barbara Keil, ist das Gehöft heute ein „idealer Platz zum Arbeiten und Leben“. „In einer Stadt wie Berlin mittendrin zu sein und trotzdem ein Landhaus zu haben – was will man mehr?“, beschreibt er die Vorzüge seines neuen Wohnorts. Die waren schon vor 150 Jahren Anreiz für viele Großstädter, nach Pankow zu ziehen. Der Pferdestall ist heute Wohnung und Atelier zugleich, auf der einst als Schuttabladeplatz genutzten Freifläche zur Straße hin wächst ein Bauerngarten. In scheinbar wilder Unordnung blühen Herbstblumen neben Heilpflanzen und Küchenkräutern. Eingerahmt werden die Beete von einem Flaschenspalier. Unter den Gewächsen ist übrigens auch die aus Amerika stammende Gaillardia, die passende Blume für die nach dem Pankower Gemeindevertreter Karl Friedrich Heinrich Gaillard (1859–1911) benannte Straße.

Wolfgang Albrecht-Schoeck und Barbara Keil stehen neben vielen anderen engagierten Bürgern für ein Pankow im Aufbruch. Bekannt wurden sie mit Aktionen wie der „KunstMailMeile“ 2004, „Trommeln für Pankow“ 2005 oder dem gerade zu Ende gegangenen Kunst-Workshop „Alte Mälzerei – 2. Leben“, mit denen sie auf Missstände aufmerksam machen, aber auch Entwicklungschancen zeigen wollten. Bei der „KunstMailMeile“ hatten etwa 70 Künstler aus 20 Nationen leer stehende Läden und Wohnungen in der Florastraße mit ihren Arbeiten belebt. „Nach der Aktion konnten 20 Geschäfte vermietet werden“, sagt Albrecht-Schoeck.

Mit Kunstaktionen gegen den Leerstand

Für einigen Aufruhr sorgte auch die Bauschilderaktion 2005, als ihre Initiative a.g.a.b.u („Alles ganz anders bei uns“) an acht Brachen, darunter an der baufälligen Alten Mälzerei in der Mühlenstraße, der ehemaligen Elektrokeramikfabrik an der Florastraße, oder der abbruchreifen DDR-Kaufhalle an der Breiten Straße, fiktive Bauschilder mit provokanten Visionen aufstellte. „Das hat uns einigen Ärger beschert, aber an sieben von acht Brachen tut sich inzwischen etwas“, sagt Albrecht-Schoeck nicht ohne Stolz. So werde noch in diesem Jahr mit dem Umbau der denkmalgeschützten Alten Mälzerei zu einem hochwertigen Wohnquartier begonnen, auf dem Areal der Elektrokeramikfabrik sollen Stadthäuser errichtet werden. Das Parkdeck, das anstelle der DDR-Kaufhalle direkt neben dem kleinen, aber feinen Bleichröder-Park gebaut werden soll, hält indes nicht nur Albrecht-Schoeck für stadtplanerisch verfehlt.

Zwei Drittel der Altbauten modernisiert

Der jüngste Entwicklungsschub für Alt-Pankow ist aber nicht allein auf ein engagiertes Bürgertum zurückzuführen. Auch die Politik hat die Notwendigkeit erkannt, mehr für die Entwicklung des Ortsteils zu tun. So wurde der westliche Teil von Alt-Pankow, das 68 Hektar große Areal zwischen den Bahnhöfen Pankow und Wollankstraße zum Sanierungsgebiet erklärt. Förderschwerpunkte: Modernisierung des alten, gewachsenen Wohnungsbestandes, Entwicklung des Ortskerns zu einem Standort für Kultur und Einzelhandel, Beseitigung von Mängeln an öffentlichen Grün- und Freizeitflächen. Das Programm zeigt Wirkung: So wurden in den vergangenen Jahren gut 65 Prozent des Altbaubestandes modernisiert, mehrere Schulen und Kitas saniert sowie viele neue Spielplätze geschaffen. Heute ist Alt-Pankow wieder eine begehrte Adresse.

Es ziehen auch immer mehr Menschen aus dem benachbarten Prenzlauer Berg zu – Familien mit Kindern, denen es dort zu laut, zu aufgeregt und auch zu teuer geworden ist, entdecken den früher eher belächelten Nachbarkiez für sich. Sandra Zinke ist 2003 nach Alt-Pankow gezogen. „Aus der alten Wohnung musste ich raus. Erst habe ich mich natürlich in Prenzlauer Berg nach einer neuen umgeschaut. Doch bei jedem Besichtigungstermin standen 50 bis 60 Leute vor der Tür, das hat mir irgendwann gereicht“, erinnert sie sich. Ihr neues Zuhause ist nun ein renovierter Altbau an der Florastraße. „Das Haus ist geradezu ideal: Viele Familien mit kleinen Kindern leben hier“, sagt sie. Regelmäßig würden sich die Eltern und ihr Nachwuchs im Innenhof treffen. Da gibt es Bänke und Spielgeräte. „Nur ein Buddelkasten fehlt uns noch, aber das kriegen wir auch noch hin“, sagt Sandra Zinke. Für sie ist Pankow mit seinen ausgedehnten Parks und zahlreichen Spielplätzen „eine wunderschöne Ecke, um mit Kindern zu wohnen“. Nur zum Einkaufsbummel, da fahre sie dann doch lieber wieder rüber nach Prenzlberg.