Firmen manipulieren den Algorithmus von Google, um Konkurrenten auszuschalten. Für Start-ups kann das der Ruin sein. Ein Fall aus Berlin.
Als Benjamin Patock Ende Dezember die Zahlen seines Webshops „Noblego.de“ aufruft, erwartet ihn eine böse Überraschung: Unbekannte hatten auf Hunderten Webseiten Zehntausende Links zu seiner Seite gesetzt. Normalerweise freut sich der Firmengründer über jeden Verweis zu seinem Onlineladen.
Doch 10.000 neue Links auf einmal sind kein Gefallen, im Gegenteil: Sie sind eine völlig neue Form des unfairen Angriffs im Netz, gegen den es vorerst kein Gegenmittel gibt.
Über Noblego versucht Patock zusammen mit Geschäftspartnern seit März 2012, online Zigarren zu verkaufen. Er ist nicht der erste mit der Idee, doch dank innovativer Shopinhalte und Verzicht auf Versandkosten ist Noblego recht erfolgreich. Diesen Erfolg versuchen anonyme Täter nun mittels einer perfiden Online-Attacke zu torpedieren.
Wer verstehen will, wie der Angriff funktioniert, muss einen Blick auf den deutschen Suchmaschinenmarkt werfen. Er muss die Funktionsweise von Google verstehen und eine ganze Szene von Suchmaschinenexperten betrachten, die ihr Geld damit verdienen, Googles Suchalgorithmus zu erforschen und ihn für ihre Zwecke auszunutzen.
Niemand scrollt über die ersten zehn Treffer hinaus
„Es wird unsportlich“ titelte Patock Mitte Januar in seinem Firmenblog und lieferte eine Analyse der Attacken auf seinen Shop. Im Gespräch erklärt er: „Die Link-Attacke ist nur ein Teil einer ganzen Serie von Angriffen. Doch sie ist die raffinierteste, es gibt keine einfache Abwehr.“
Die Angreifer beherrschen ihr Geschäft. Sie zielen direkt darauf, Googles Suchalgorithmus zu täuschen – und eine absichtliche Bestrafung von Patocks Zigarrenladen hervorzurufen, der dann online praktisch unsichtbar wird.
Google hat in Noblegos Zielmarkt Deutschland einen Marktanteil von rund 95 Prozent. Das bedeutet: Bei 20 Suchanfragen gehen die Deutschen nur einmal über andere Suchmaschinen wie Bing oder Yahoo. Damit verleihen die Nutzer Google de facto einen Monopolstatus, der Webseitenbetreiber zur Fokussierung auf die Algorithmen des US-Suchpioniers zwingt.
Nur wer in Googles Suchergebnissen besonders weit oben vorkommt, wird von den Surfern überhaupt wahrgenommen. Die wenigsten Suchenden im Netz machen sich die Mühe, über Googles erste zehn Treffer zu ihrer Suche hinaus zu scrollen. Wessen Seite also zu bestimmten Suchwörtern wie etwa „Zigarren online“ unter diesen ersten zehn Treffern steht, der gewinnt die Gunst der Kunden und wird angesurft.
Optimierungsarbeit von Monaten zerstört
Noblego steht zu dem genannten Suchstichwort aktuell auf Platz Neun. Ein respektabler Platz für ein Start-up, das gerade mal zehn Monate lang den Etablierten im Markt Konkurrenz macht. Die gute Google-Einstufung verdankt Patock vor allem seinem Geschäftspartner Andre Alpar. Der hat Noblego mitgegründet.
Doch die Seite ist nur ein Nebenjob, Alpars tägliches Brot ist die Suchmaschinenoptimierung (auch: „SEO - Search engine optimisation“) bei seiner Berliner Agentur AKM3. Höchst vorsichtig und sorgfältig verhalf er mit seiner Arbeit Noblego zu dem Ergebnis.
Das ist dem anonymen Angreifer anscheinend ein Dorn im Auge. „Hier versucht jemand, die Arbeit der letzten Monate auf einen Schlag zu zerstören“, ärgert sich Alpar.
Um eine Seite bei Google nach oben zu bringen, gibt es mehrere Ansätze. „Wir wollen, dass unsere Nutzer auf ihre Suchanfragen möglichst das finden, was ihnen tatsächlich weiterhilft“, sagt Google-Sprecher Klaas Flechsig. Daher gibt Google sogar Tipps, wie man die eigene Seite für Google besonders einfach kategorisieren kann.
Hunderte Seiten im Netz automatisch erstellt
Doch mit guten Schlagwörtern allein kommt niemand in die Top Ten, dafür bedarf es ein tieferes Verständnis von Googles Suchmethode. Dessen Algorithmus ist seit 13 Jahren so erfolgreich, weil er die Relevanz einer Seite einschätzen kann.
Dazu gleicht die Maschine ab, wie oft eine Seite an anderer Stelle erwähnt und verlinkt wird. Pagerank nennt Google diese Relevanzschätzung. Je höher der Pagerank einer Seite A, desto wertvoller ein Link auf ihr für das Start-up B.
SEO-Experten nutzen das aus: Seiten tauschen gegenseitige sogenannte Backlinks untereinander aus, Shops werden in relevanten Blogs mit Adresse erwähnt. Noch vor wenigen Jahren war es einfach, eine Seite nach oben zu spülen: Wer mit sogenanten SEO-Programmen automatisiert ein paar hundert Seiten im Netz einrichtete, die sich alle untereinander verlinkten, konnte den Pagerank-Mechanismus täuschen.
„Linkfarming“ heißt diese Methode, die bei Google äußerst unbeliebt ist. „Ein Problem sehen wir immer dann, wenn Webseitenbetreiber eine Relevanz vorgaukeln, die für die Nutzer eigentlich nicht da ist“, erklärt Flechsig.
Mit „Penguin“ schlägt Google zurück
Dennoch versucht sich eine Szene von SEO-Spezialisten immer wieder genau daran und ist trotz Googles Abwehrversuchen erfolgreich. Wie gut sie sind, testen sie sogar in Wettbewerben: Im Rahmen der Kölner Netz-Branchenmesse Dmexco etwa bewiesen die versammelten deutschen SEO-Experten ihr Können, indem sie innerhalb einer Woche dem erfundenen Begriff “hochgeschwindigkeitsSEO“ zu ungeahnter Bedeutung im deutschsprachigen Netz verhalfen.
Mehrfach pro Jahr aktualisieren Googles Programmierer mittlerweile ihre Suchsoftware, um solche Versuche gezielt herauszufiltern. Sie spielen ein Katz- und Maus-Spiel mit der weltweiten SEO-Szene: „Tausende Ingenieure machen bei uns nichts anderes, als den Algorithmus immer weiter zu optimieren und ihn so resistent wie möglich gegen Manipulation zu machen“, sagt Flechsig.
Insbesondere das neueste große Update, von der SEO-Szene „Penguin“ getauft, bereitet den Optimierern große Kopfschmerzen. Google berücksichtigt dank „Penguin“ viel stärker die unerwünschten SEO-Versuche und straft die aufgefallenen Seiten ab. Sie werden im Suchindex schlechter oder gar nicht mehr berücksichtigt. Wer nun allzu offensichtlich innerhalb von Tagen Tausende neue Links auf eine Webseite setzt, wird unweigerlich aus Googles Index fliegen.
Unsichtbarkeit innerhalb weniger Wochen
Genau hier setzt der anonyme Link-Angriff auf Noblego an: Der Angreifer verwendet absichtlich plumpe Methoden, um die Seite des Zigarrenversenders gegenüber Google als Link-Betrüger erscheinen zu lassen. Die Maschine wird daraufhin ihren eigenen Maßstäben folgen und Noblego.de in die digitale Bedeutungslosigkeit verbannen.
„Wer immer uns zehntausend Links zu Noblego.de auf einmal beschert hat, kennt sich mit SEO aus und weiß: Google wird das unweigerlich abstrafen, unsere Seite wird im Index fallen wie ein Stein“, sagt Mitgründer Andre Alpar.
Googles Mühlen mahlen dabei unerbittlich: „Solche Methoden wirken sich meist innerhalb weniger Wochen aus, die plumpen Linkfarmen in Richtung unserer Seite sind eine tickende Zeitbombe.“
Suchmaschinenoptimierung, bei der die Verletzung der Google-Richtlinien bewusst in Kauf genommen wird, wird auch als „Black-Hat-SEO“ bezeichnet. Als „Black Hat“ gelten destruktive Hacker, die wie bei Noblego einen Dritten schädigen.
Warten auf Insider-Informationen aus der SEO-Szene
Alpar und Patock bleiben nur wenige Möglichkeiten, um sich zu wehren. „Wenn wir nun einzeln jeden Link als falsch markieren lassen, dann wird der Angreifer einfach neue bauen“, so Alpar. Deswegen gilt es nun, die Täter zu finden: Patock hat Anzeige gegen Unbekannt erstattet.
Zudem hat Alpar sich mittlerweile direkt an Google gewandt, um Noblego im Index zu halten. Sollten die Noblego-Gründer ihre anonymen Angreifer demaskieren, könnten sie diese nach dem Wettbewerbsrecht verklagen, schätzt der Online-Rechtsexperte Udo Vetter: „Den Konkurrenten derart zu behindern, fällt unter den Tatbestand der vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung. Da wird dann sogar Schadensersatz für entgangene Umsätze fällig.“
Die Täter zu finden, ist indes nicht einfach. „Die Linkseiten hat der Angreifer nicht selbst gebaut, diese Dienstleistung kann man auf diversen Onlineforen einfach einkaufen.“ Doch die SEO-Szene in Deutschland ist klein, deswegen setzt der gut vernetzte Alpar auf Geduld: „In einem Jahr oder zwei weiß ich mehr. Irgendwer redet immer.“
Bittgesuche an die anonyme Maschine
Unabhängig davon beweist der Fall Noblego, welch große Macht Google dank seines Suchalgorithmus im Netz auf sich konzentriert hat. Nur wer in der Gunst der Maschine steht, ist für potenzielle Kunden überhaupt sichtbar. Wer dagegen aus dem Index fliegt, wird zum digitalen Niemand. Wer genau wie berücksichtigt wird, können jedoch nur die Google-Ingenieure nachvollziehen.
Webmastern von in Ungnade gefallenden Seiten bleibt nur, sich mittels Online-Formular an die anonyme Maschine zu wenden. Die meisten dieser Anfragen, so erklärt Google-Sprecher Flechsig, werden automatisiert abgearbeitet. Der Bittsteller bekommt keinerlei Rückmeldung. Er kann nur hoffen, bald wieder besser behandelt zu werden.
Auch deswegen forderten Webseitenbetreiber von Google in Wettbewerbsverfahren in der EU und den USA zuletzt mehr Transparenz: Würde Google den geheimen Algorithmus besser erklären und seine Funktion offenlegen, könnte jeder selbst nachvollziehen, warum seine Seite wo im Index auftaucht.
Nur Google kenn den geheimen Algorithmus
Genau das lehnen die Google-Verantwortlichen jedoch vehement ab. Zum einen wollen sie nicht der Konkurrenz auf die Sprünge helfen, zum anderen würde die Offenlegung das Black-Hat-SEO sogar verstärken.
Die Marktmacht der Google-Suche bereitet inzwischen auch den EU-Wettbewerbshütern ernsthafte Sorgen: Es bestehe der Verdacht, dass Google die Nutzer der Suchmaschine zu den eigenen Diensten weiterleite und nicht etwa zu denen der Mitbewerber, so ein Kommentar aus Brüssel.
Doch auch die Europäische Union kennt den Algorithmus nicht. Überprüfen kann die Vorwürfe deswegen niemand außer Google selbst.