Gründerzeit

Was bei Start-ups nach dem Erfolg kommt

| Lesedauer: 9 Minuten
Hans Evert

Foto: Reto Klar

Sie haben mit ihren Start-ups Millionen verdient – und setzen sich nicht zur Ruhe. Wie aus Gründern Seriengründer werden.

Die Zutaten für das, was heute Start-up genannt wird, waren alle vorhanden. Ein Gründer mit Vision. Eine neuartige Technologie. Das Umfeld einer Berliner Uni. Klein und unscheinbar war das Unternehmen am Anfang. 6500 Mitarbeiter zählt es jetzt weltweit, 2400 arbeiten in Berlin. Der Umsatz steuert Richtung Milliardengrenze. So kann es aussehen, ein Berliner Start-up, das im Jahr 1963 erstmals in ein Firmenregister eingetragen wurde.

Max Schaldach hieß der Gründer und jahrelange Chef von Biotronik. Aus einem Start-up im Umfeld der TU, so würde man heute wohl sagen, formte er einen globalen Champion, einen der führenden Hersteller von Herzschrittmachern. Heute hat Christoph Böhmer bei Biotronik das Sagen. Er ist ein bedachtsamer Mann, der seine Worte wägt und mit seinem globalen Geschäft den oft kleinlichen Berliner Debatten längst entwachsen ist. Seine größte Sorge: „Wir hoffen, dass wir stets genügend Menschen finden, die von Technik begeistert sind“, sagt Böhmer.

Es sind die Sorgen eines etablierten Unternehmens. Das auf eine Geschichte zurückblickt, Traditionen entwickelt hat und sich dennoch immer wieder am Markt behaupten muss. Den Kampf um Marktanteile, das Ringen um gute Mitarbeiter und Ideen duldet keine Ermüdung.

Erneuerungskraft darf insbesondere in einem Technologieunternehmen nicht erlahmen. Irgendwann mag eine Gründung, ein Start-up, der chaotisch-kreativen Startphase entwachsen sein. Die Herausforderungen werden dann jedoch nicht unbedingt kleiner.

Christophe Maire ist fest davon überzeugt, dass es kaum eine bessere Zeit gibt für jemanden, der als Unternehmer etwas bewegen will. „Wir sind mitten in einer Revolution, in der hoffentlich die großen Firmen von morgen entstehen“, sagt Maire. Wenn er nicht unterwegs ist in der Welt, und das kommt ziemlich häufig vor, sitzt Maire genau dort, wo man einen Gründer, Finanzier und eine Vaterfigur der Start-up-Szene vermuten würde: ziemlich genau auf der Hälfte der Strecke zwischen Rosenthaler Platz und Hackeschem Markt.

Im globalen Takt

Es gibt eine ganze Reihe wie ihn in Berlin. Man nennt sie Business Angel. Gründer, die schon mindestens einmal richtig finanziellen Erfolg mit einem Start-up hatten. Maire zählt dazu, die Gründerbrüder Samwer mit ihrem Inkubator Rocket Internet, Lukasz Gadowski mit Team Europe, Mytoys-Gründer Oliver Beste (Founderslink). In der Gesundheitswirtschaft ist es Andreas Eckert von Eckert & Ziegler. Sie stecken ihr eigenes Geld wieder in die Szene, animieren Branchenfremde, es ihnen gleichzutun. Und sie beraten junge Gründer, knüpfen das Netzwerk weiter, entsenden Management-Teams. Aus Gründern werden so Seriengründer.

Maire stammt aus der französischsprachigen Schweiz. Er spricht jenen weichen, charmanten Dialekt wie sein Landsmann Lucien Favre, Herthas ehemaliger Fußballtrainer. Maire ist eine umtriebige Figur der Start-up-Szene. Er hat selber Geld in Berliner Start-ups wie Soundcloud, EyeEm, Gidsy und Monoqi gesteckt sowie in zahlreiche weitere junge Firmen. Er ist Partner der Investmentgesellschaft Atlantic Ventures. Dann ist da noch sein eigenes Baby namens txtr, das er als Vorstandschef selbst führt. Txtr vertreibt E-Books, ein eigenes Lesegerät dafür und bietet Buchhändlern Hilfestellung beim Sprung ins Internet an.

Maire, der beim Reden kerzengerade sitzt, gehört zu jenem Typ Mensch, der zugleich gern anpackt und Vorhaben tief durchdenken will. Ein Macher, der seinen Intellekt nicht zwanghaft unterdrückt. 1999 gründete er sein erstes Unternehmen in Berlin. Ein Softwarehersteller namens Gate 5, der sich mit digitalen Karten und Navigation beschäftigte. 2006 schnappte sich Nokia die Firma. Maire ist durch den Verkauf ziemlich reich geworden. Über die Höhe der Summe kursieren verschiedene Versionen.

Doch darum geht es jetzt. Maire will am Beispiel von Gate 5 etwas anderes erläutern. Etwas, was ihm wichtig ist. „Sie sehen an Gate 5, wie rasend schnell sich Märkte grundlegend ändern.“ Im analogen Zeitalter, sagt Maire, habe der globale Markt für Kartendienste bei vielleicht 500 Millionen Dollar jährlich gelegen. Jetzt, mit Tablets, Smartphones, Navis im Auto sei es plötzlich ein Vielfach-Milliarden-Geschäft.

„Die jetzigen Zeiten sind Ausnahmezeiten“, sagt Christophe Maire, dem es nicht an missionarischem Eifer fehlt. Maire sieht in den vielen Internetgründungen der vergangenen Jahre viel mehr als nur eine Gruppe junger Menschen mit Laptop und Smartphone, die mal was mit Internet versuchen, weil es gerade als schick gilt in Berlin.

Maire weiß auch, dass da gerade mehr entsteht als die bloße Übertragung von Geschäftsmodellen aus der analogen Welt in die digitale. Sei es der Handel mit Schuhen und Kleidung (Zalando), der Verkauf von Designerware (Monoqi, Fab) oder die Anbahnung von zwischenmenschlichen Beziehungen (eDarling): Solche Gründungen sind demnach Schaumkronen einer Welle, die gerade durch die globale Wirtschaftswelt rast.

„Das ist real, kein Hype“

Da will er dabei sein und jene ermutigen, die sich in solchen Zeiten ebenfalls als Unternehmer versuchen wollen. „Junge Menschen entdecken das Unternehmertum neu“, glaubt Maire. „Was hier in Berlin stattfindet, ist real und kein Hype.“ Maire schätzt Deutschland und speziell Berlin. Was er weniger schätzt, ist der deutsche Hang zur Bedenkenträgerei.

Wenn zum Beispiel Leute darüber reden, die aktuelle Hightech-Gründerwelle sei überzogen wie der erste Internetfirmen-Exzess am Neuen Markt kurz vor der Jahrtausendwende. Schnelle DSL-Internetanschlüsse, Handys, auf denen das Internet alltäglich unterwegs genutzt werde – diese Infrastruktur gebe es erst seit wenigen Jahren. Und dafür werden jetzt Unternehmenskonzepte ausprobiert.

Nur leider sind die Deutschen, obwohl sehr reich, alles in allem nicht so sehr daran interessiert wie Christophe Maire, ihr Vermögen in den Aufbau neuer Firmen zu stecken. Das alte Leid der Berliner Gründerszene: fehlendes Kapital, um Unternehmen richtig groß zu machen. „Deutsche Anleger stecken Milliarden in Schiffsfonds und finanzieren ganze Handelsflotten“, sagt Maire. Könnte man nur einen Teil dieses Geldes umlenken, barmt Maire: „Die Ergebnisse wären spektakulär.“

So müssen auch erfolgreiche Gründer und erfolgreiche Gründungen zunächst noch auf kleiner Flamme hantieren. So wie das zur Scout24-Gruppe der Deutschen Telekom gehörende Immobilienscout24, das in Friedrichshain unweit des Ostbahnhofs residiert. Marc Stilke leitet das Unternehmen mit rund 600 Mitarbeitern. Vor mehr als zehn Jahren war man auch Start-up, ist jedoch längst etabliert und profitabel. Gute neue Ideen brauchen sie trotzdem. Deshalb haben sie im Haus einen „Inkubator“ eingerichtet, wo Gründer ihre Idee ein Jahr lang ausprobieren können. „Wir wollen die kreative Kraft externer Gründer nutzen“, sagt Stilke.

Schreibtische auf Zeit

„You is now“ heißt der Inkubator. Stilke weiß wie Christophe Maire um das, was sie in der Gründerszene gern die „disruptive Kraft“ des Internets nennen, die zerstörerische Macht. So entgehen einem auch weniger schnell Ideen, die morgen das eigene Geschäftsmodell bedrohen könnten.

300 Ideen, sagt Stilke, reichen potenzielle Gründer zur Begutachtung ein. „Wir achten natürlich darauf, wie hoch die Nähe zu unseren Projekten ist“, sagt Stilke. So ist unter den Fittichen der Immobilienseite Desk Wanted (deutsch: Schreibtisch gesucht) entstanden. Über die Plattform können junge Gründer und Freiberufler Schreibtischplätze auf Zeit (Coworking) finden.

Und im Idealfall läuft es für Immobilienscout wie bei Umzug-easy. Die Plattform wurde ins Angebot von Immobilienscout24 integriert. Das sei aber nicht das vordringliche Ziel, sagt Stilke. Ein anderes Gründerteam habe eine Finanzspritze eines Venture-Capital-Investors bekommen und sei aus dem Inkubator ausgezogen.

Die Zentrale von Biotronik, dem bald 50-jährigen Start-up, könnte lebensweltlich vom Hotspot der heutigen Gründerszene rund um den Rosenthaler Platz nicht weiter weg sein. An der Woermannkehre 1 steht ein Verwaltungsbau, wie man ihn in den 80er-Jahren schön und modern fand. Biotronik siedelt in einem Industriegebiet in jenem Teil Neuköllns, wo sich niemand vor Gentrifizierung ängstigen muss: Keine 100 Meter Luftlinie entfernt lärmt der Autoverkehr über das Autobahnkreuz Neukölln.

Hier ist Platz für die Reinräume, in denen die benzinfeuerzeuggroßen Schrittmacher gebaut werden. Im Gegensatz zu Internet-Start-ups ist Biotronik ein Industrieunternehmen mit Produktionsstandorten in Deutschland, der Schweiz und den USA.

Und doch rückt auch Biotronik in jene Gefilde, die heute vor allem von Internet-Start-ups bevölkert werden. Vergangenes Jahr erwarb das Unternehmen das Postfuhramt in der Oranienburger Straße. Dort will Biotronik Zentrale und eine Repräsentanz unterbringen. Dann wäre die Firma, die vor 50 Jahren ein Start-up war, räumlich wieder ganz nah dran an der Gründerszene des Jahres 2013.