250 Pädagogen aus verschiedenen Bundesländern informierten sich über die Arbeit in Berlin. Bildungssenatorin Sandra Scheeres hatte sie eingeladen, weil zum neuen Schuljahr etwa 2000 Lehrer fehlen.
Stefan Diettrich wirkt angespannt, schließlich geht es um seine Zukunft. Sportlich gekleidet, ausgerüstet mit einem kleinen Rucksack und Regenjacke, gehört er zu den ersten, die an diesem Sonnabendvormittag im Ludwig-Erhard-Haus ankommen. Wie alle anderen, die schon bald an der Anmeldung Schlange stehen müssen, will er sich darüber informieren, welche Chancen er hat, in Berlin als Lehrer anzufangen. Diettrich hat Geografie und Geschichte studiert und gerade in Duisburg sein Referendariat beendet. Momentan ist er Hartz-IV-Empfänger. Nordrhein-Westfalen (NRW) braucht derzeit nicht so viele Lehrer. Berlin dafür umso mehr.
Zum neuen Schuljahr müssen noch etwa 2000 Pädagogen eingestellt werden, so viele auf einmal wie seit Jahren nicht mehr. Besonders angespannt ist die Lage an den Grundschulen der Stadt. Allein dort fehlen rund 1000 Pädagogen. Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) versucht deshalb seit Monaten, junge Lehrer aus anderen Bundesländern für Berlin zu werben. In Bayern, Baden-Württemberg und NRW hat sie Plakate aushängen lassen und Lehrer und Lehramtsanwärter zum Berlin-Tag eingeladen.
Im Ludwig-Erhard-Haus informieren an diesem Sonnabend Mitarbeiter ihrer Verwaltung aber auch Vertreter von Wohnungsbaugesellschaften und Berlins Wirtschaftsförderern „Berlin Partner“ darüber, wie es sich in der Hauptstadt als Lehrer leben und arbeiten lässt. Wer Lust hat, kann außerdem an einer Bustour teilnehmen. Von Charlottenburg aus geht es in die Bezirke Spandau und Neukölln und dort vorbei an verschiedenen Schulen.
Berlin-Tag: 250 Lehrer aus verschiedenen Bundesländern angereist
Diettrich möchte in Lichtenberg oder Friedrichshain arbeiten. „Am liebsten an einer Schule, an der ich viele Jahre bleiben kann“, sagt er. Eine Brennpunktschule sollte es eher nicht sein. Dafür fehle ihm noch die Erfahrung. Dass er in Berlin nicht verbeamtet wird, stört den 28-Jährigen nicht. „Berlin zahlt den angestellten Lehrern ein Anfangsgehalt, das man sonst erst nach vielen Jahren bekommt“, sagt er. Außerdem sei Berlin eine tolle Stadt. „Arm aber sexy, das stimmt irgendwie“, findet Diettrich.
Auch die junge Z. M. will nach Berlin. Sie kommt ebenfalls aus NRW, hat Deutsch, Sozialwissenschaften und Mathematik studiert und sucht nun einen Referendariatsplatz an einer Grundschule. „Ich würde zwar lieber verbeamtet werden“, sagt sie. Doch die Sehnsucht nach ihrem Freund, der seit Längerem in Berlin lebe und arbeite, sei größer als die nach Absicherung. Eine Brennpunktschule sollte es fürs Erste aber nicht sein. „Später vielleicht.“
Der Berlin-Tag ist ein Erfolg. Mehr als 250 Lehrer aus verschiedenen Bundesländern sind der Einladung von Senatorin Scheeres gefolgt. Nicht wenige schreiben sich gleich an Ort und Stelle auf der Liste einer der Schulen ein, die sich im Ludwig-Erhard-Haus vorstellen.
Neukölln braucht neue Konzepte
Dazu gehören die Gustav-Langenscheidt-Sekundarschule aus Schöneberg, die sechs Stellen besetzen muss, die Lichtenberger Brodowin-Grundschule, der acht Lehrer fehlen, oder die Hellersdorfer Grundschule am Hollerbusch, die sechs Lehrer sucht. Die Schulleiterin der Langenscheidt-Schule, Sandra Kozelnik, ist positiv überrascht. „Wir haben zwölf Interessenten notiert“, sagt sie. Niemanden habe gestört, dass sie eine Brennpunktschule seien. „Einige haben sogar bereits während ihres Referendariats an einer Brennpunktschule gearbeitet.“
Im Bus nach Neukölln werden die Lehrer von der Bildungsstadträtin des Bezirks, Franziska Giffey (SPD), begrüßt. Sie nimmt kein Blatt vor den Mund. „Bei uns kommen viele Kinder aus sozial schwierigen Verhältnissen, ein großer Teil wird zu Hause nicht so unterstützt, wie es sein sollte.“ Viele seien zudem hin- und hergerissen zwischen verschiedenen Identitäten, zwischen religiöser und weltlicher Realität. „Wir brauchen neue pädagogische Konzepte“, sagt Giffey. Die Arbeit in Neukölln sei nicht einfach, aber spannend für alle, die sich bewusst für diesen Bezirk entscheiden.
In dem Bus sitzen etwa 40 Lehrer. Bevor sie am Campus Rütli aussteigen, um dort über die Entwicklung der Schule vom Problemfall zum Vorzeigeprojekt informiert zu werden, fahren sie an der Hans-Fallada-Grundschule an der Harzer Straße vorbei. Dort hängt ein großes weißes Tuch aus dem Fenster. „Lehrer gesucht“ heißt es da, die Mailadresse der Schule ist angegeben. Schulleiter Carsten Paeprer sucht händeringend acht neue Kollegen. „Es gibt viel zu wenig Bewerber im Grundschulbereich“, sagt er und hofft, dass sich der eine oder andere im Bus die Adresse seiner Schule notiert hat.