Carmen Hofacker hat sich im Sommer verliebt, das sollen ruhig alle wissen. Diese Sonne in Berlin und die Parks und die lauen Abende auf einem Balkon, wenn die anderen egal sind, da unten auf der Hauptstraße vorbeilaufen und Bier trinken oder in der Tram sitzen oder im Nachtbus. Jetzt ist Winter, und Carmen Hofacker ist noch immer verliebt. In denselben Mann. Sie hat ihn im Herbst gefragt, ob sie noch „etwas bleiben“ kann, bei ihm bleiben. Sie hat das in einem Lied gefragt, weil sie das oft so macht mit ihren Gefühlen. Klavier und Stimme und ganz oben auf dem Blatt steht das Wort „Bleiben“, auf Englisch: „Stay“.
Sie wird dieses Lied „Stay“ zum ersten Mal öffentlich beim Halbfinale des Berlin Song Contests am 10. und 11. April singen – und ob sie bei dem Wettbewerb gewinnt, das ist nun wirklich Nebensache. „Ich fand das eine witzige Idee“, sagt die 34-Jährige, „meinen Stadtteil Gropiusstadt singend zu verteidigen.“ Sie läuft gern durch die Parks, ist schon oft im „Froschkönig“ aufgetreten, hat hier ihre Lieblingsbäckerei, und was Kneipen angeht, muss man in Neukölln schon lange keine weiten Wege mehr auf sich nehmen. Carmen Hofacker hat sich als „Carmen Underwater“ angemeldet und war damit eine von rund 50 Bewerbern beim Wettbewerb. Jetzt ist sie in der Endrunde, mit 19 anderen Musikern.
Erfunden hat den Song Contest Chris Rudolph, Berliner Buchautor und Librettist verschiedener Opern-Produktionen. Der 42-Jährige hatte sich vor einem halben Jahr gedacht, dass diese Stimmung aus dem Eurovision Song Contest doch auch nach Berlin passen könnte. „Dann treten eben nicht Letten gegen Iren an“, sagt er, „sondern Schmargendorfer gegen Britzer und Weißenseer.“ Er startete einen Aufruf, organisierte Auftrittsorte – das SchwuZ in Neukölln und das BKA in Kreuzberg – und eine prominente Jury: Sängerin Lisa Bassenge, Produzent Roberto Monden, Schauspielerin Maren Kroymann, Intendant Barrie Kosky, Moderatorin Silke Super und Redakteur Jan Feddersen.
Auf Schweizerdeutsch über Berlin singen
Die erste Arbeit hat die Jury bereits hinter sich: Rund 30 Musiker können nicht mehr im Halbfinale dabei sein. „Schon bei diesen Einsendungen waren tolle Beiträge dabei“, sagt Rudolph. „Ich mochte sehr ein Lied, das auf Schweizerdeutsch über Berlin gesungen wurde. Noch mehr gefreut hätte ich mich aber über einen türkischen Song.“ Doch schon jetzt seien die unterschiedlichsten Stile vertreten: Chanson, Schlager, Rap, Rock oder Folk-Musik.
Manche werden am 10. und 11. April zum ersten Mal im BKA am Mehringdamm auf einer Bühne stehen, andere haben schon etwas Erfahrung wie Carmen Hofacker oder sind sogar Profis, wie die „Meystersinger“.
Das Duo tritt für den Prenzlauer Berg an und besteht aus dem Sänger Roman Shamov, der mit Rummelsnuff aufgetreten ist, und Luci van Org, die schon in den 90er-Jahren mit dem Song „Mädchen“ bekannt war. „Wir schreiben und komponieren unsere Lieder zusammen“, sagt Roman Shamov, „weil wir da eine ähnliche Sprache miteinander sprechen.“ Sie haben sich mit dem Lied „Selbst Alleine“ beworben, ein Stück, das davon handelt, dass man sich immer wieder einreden kann, dass Alleinsein gut sein kann. „Das ist aber eine Lüge“, sagt Roman Shamov. Im Lied kommen sie dabei auf allerlei Dinge, die man aber gut auch einsam tun kann – und die sich auf „Alleine“ reinem: Selbst Alleine / Lese ich Hesse, Kafka, Heine/ Streichel ich Hühner, Schafe, Schweine/ Bau ich Paläste, aber kleine.
Gute Musiker in Friedenau, Alt-Treptow, Schmöckwitz
Die beiden Sänger haben schon vor zwei Jahren ihr erstes Album „Trost“ herausgebracht und noch im April dieses Jahres , kurz vor dem Song Contest, soll das zweite Album „Haifischweide“ erscheinen. Sie treten regelmäßig auf Bühnen in Deutschland auf, ähnlich wie „Naëma“, die für den Ortsteil Fennpfuhl antritt und auch die Popularität eines solchen Wettbewerbs nicht nötig hat. Aber genau um diese Mischung geht es dem Organisator Chris Rudolph. „Es geht darum, zu zeigen, dass es in Berlin gute Musiker gibt – nicht nur in Mitte, sondern auch in Friedenau, Alt-Treptow und Schmöckwitz.“
Der Gewinner bekommt zunächst nur den 1. Preis im Wettbewerb, der nicht dotiert oder mit einer Garantie für einen Plattenvertrag verbunden ist, das will Rudolph nicht versprechen. Aber zumindest bekommen alle Beteiligten viel Aufmerksamkeit. Ob dieses Ereignis später auch auf Youtube zu sehen sein wird und dort eventuell wie Julia Engelmanns Poetry-Slam-Video noch einmal berühmt wird, ist derzeit noch offen. „Es soll vor allem um den Live-Auftritt gehen“, sagt Chris Rudolph. „Ob wir die Aufnahmen dann noch benutzen, das haben wir noch nicht geplant.“
Doch das sind alles Dinge, die sich klären lassen, nachdem der Sieger gekürt wurde. Denn bisher sind die verschiedenen Versuche immer gescheitert, in Berlin einen Song-Wettbewerb zu feiern und Stadtteile gegeneinander singen zu lassen. „Doch wenn alles gut läuft“, sagt Rudolph, „kann ich mir schon vorstellen, einen zweiten Contest stattfinden zu lassen.“ Schließlich gibt es in Berlin immer noch mehr wie Carmen Hofacker, die über Liebe, oder Roman Shamov, der über die Einsamkeit singt.
Das Lied der Meystersinger hat übrigens keinen klassischen Refrain, aber es endet wieder mit zwei Zeilen, die sich auf „Alleine“ reimen:
Selbst Alleine / Hör nur ich selber wenn ich weine / Selbst alleine / Guck ich Fotos, aber deine.
Das erste Halbfinale des BSC findet im BKA-Theater, Mehringdamm 34, Kreuzberg, am 10. April statt. Das zweite Halbfinale am 11. April im Theater O-TonArt, Kulmer Str. 20A, Schöneberg. Das Finale ist am 19. April im SchwuZ – unter anderem mit einem Auftritt der „Geschwister Pfister“.