Mit einem Kleid aus dichten, dunklen Federn tänzelt Minouche von Marabou über die Bühne. Ihre Performance hat was von einem sterbenden Schwan und endet auch so ähnlich: entfiedert. Einzig Brustwarzen und Schambereich der Tänzerin sind noch bedeckt.
Der Auftakt zum ersten internationalen Berlin Burlesque Festival ist gemacht. Am Donnerstag entführten kunstvoll kostümierte, sich langsam ausziehende Tänzerinnen die Zuschauer im Heimathafen Neukölln raus aus dem Alltag, rein in eine Welt aus Sinnlichkeit und Koketterie. Wohin das Auge blickt glitzern beim Burlesque bodenlange bestickte Roben, blasse Porzellangesichter wollen den Zuschauer verführen und auch mal zum Lachen bringen. Dazu laufen dunkle Melodien, die den „Goldenen Zwanzigern“ nacheifern.
Nie ganz nackt auf die Bühne
Das Wort „Burlesque“ stammt ursprünglich aus dem Theater des 16. Jahrhunderts. Eine Burleske war ein komisches, bisweilen skurriles Stück mit überzeichneten Charakteren. Im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts wurde das „Burlesque“-Unterhaltungstheater in Frankreich und England dann weiterentwickelt. In Varieté-artigen Stücken traten Tänzerinnen auf, die sich langsam und kunstvoll entkleideten, aber nie ganz nackt auf der Bühne standen. Diese humoristischen, erotischen Vorstellungen gab es damals auch in Deutschland. Diese wurden allerdings „Schönheitstanz“ genannt.
Seit Mitte der 1990er-Jahre versuchen verschiedene amerikanische und europäische Theatertruppen die Burlesque nun wiederzubeleben. Zu weltweiter Bekanntheit schaffte es bisher nur die US-amerikanische Tänzerin Dita von Teese.
„Hungrig, offen und verrückt“
In Berlin gibt seit ein paar Wochen eine erste „Burlesque Bar“, „Lilly’s Wonderland“ in Treptow-Köpenick, und schon seit einigen Jahren regelmäßige Burlesque-Veranstaltungen, wie die erfolgreiche 20er-Jahre-Partyreihe „Bohème Sauvage“, die regelmäßig im Heimathafen Neukölln und im Varieté im Wintergarten in Tiergarten stattfindet.
An diesen beiden Veranstaltungsorten steigt an diesem Wochenende nun auch das erste Berlin Burlesque Festival. Veranstalterin ist die 32 Jahre alte Berliner Burlesque-Tänzerin Marlene von Steenvag. In Deutschland geboren, studierte sie zunächst Literaturwissenschaft und Linguistik. Kaum war sie damit fertig, bemerkte sie, alles was sie mit diesem Studium beruflich anfangen könnte, reizt sie nicht. Also zog sie nach England, um Schauspiel zu studieren.
„Schwuppdiwupp war ich beim Burlesque“
„In England habe ich dann in einem französischen Café gejobbt, in dem immer Jazzmusiker auftraten“, erzählt die Frau, die sich heute Marlene von Steenvag nennt: „Eines Abends sind die ausgefallen, und meine Chefin meinte: ‚Hey, du machst doch Schauspiel, kannst du nicht was spielen?‘“ Von Steenvag hat sich getraut und ist kurzum mit Chansons aus den 1930er-Jahren aufgetreten. „Da ich aber nicht die größte Sängerin bin, habe ich versucht, die Show aufzupeppen, indem ich etwas aus- oder umgezogen habe“, sagt die Tänzerin. „Und schwuppdiwupp war ich beim Burlesque.“
Vor vier Jahren zog von Steenvag nach Berlin. Die Burlesque-Szene die sie hier vorfindet, empfindet sie als ausbaufähig. Über die „Bohème Sauvage“-Partys lernte sie die Burlesque-Tänzerin Else Edelstahl kennen. Gemeinsam entschlossen sie sich, ein Berliner Burlesque Festival mit Tänzerinnen aus ganz Europa aufzuziehen, um die Szene weiter zu beleben. „Berlin ist hungrig, offen und verrückt“, findet von Steenvag. „Also der perfekte Ort für Burlesque.“
Tanz durch brennende Hula-Hoop-Reifen
Nach Tanz und einem kurzen, persönlichen Kennenlernen mit den Tänzerinnen im Neuköllner Heimathafen am Donnerstag, ging es am Freitag im Wintergarten am zweiten Festivaltag eher skurril zu. Die Berliner Tänzerin Clea Cutthroat umwickelte ihren Körper mit Klebeband und überschüttet sich mit Milch. Anna the Hulagan aus London tanzte durch brennende Hula-Hoop-Reifen, und die Männergruppe „Big Chief Random Chaos“ aus Irland mischte Burlesque mit einem Schuss Grotesk.
Was die Zuschauer am Wochenende erwartet? Am Sonnabend werde Lou Lou D’vil kommen, die kürzlich den Titel „Miss Exotic World“ gewonnen hat, so Steenvag. „Und Eliza Delite wird auftreten, die ist ebenfalls Preisträgerin. Bei den ‚World Burlesque Games’ in London hat sie die ‚Bristih Crown Jewels‘ geholt.“
In viele Welten eintauchen
Steenvag jedenfalls sagt, den Entschluss, den biederen Pfad der Literaturwissenschaften zu verlassen und stattdessen Burlesque-Tänzerin zu werden, nicht einen Tag bereut zu haben. „Beim Burlesque hast du einen Tag einen Job, bei dem du für so gut wie gar keine Gage auftrittst, weil dich Freunde um einen Gefallen bitten. Am nächsten Tag hast du dann eine Show mit extrem hohen Glamourfaktor, bei der alles perfekt sein musst“, sagt von Steenvag strahlend.
„Den einen Tag bist du auf einer Fetischparty, beim nächsten Termin sitzt du vor irgendwelchen Anzugträgern, die einer Pharmaziefirma angehören.“ Sie sagt, mit Burlesque, könne man einfach in unglaublich viele Welten eintauchen.