Erderwärmung

Berlin versinkt im Meer - wenn die Polkappen schmelzen

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Wie würde unsere Erde ohne Eis aussehen? Was wäre, wenn alle Gletscher und Polarkappen abschmelzen und der Meeresspiegel dadurch um 66 Meter steigen würde? Eine Karte zeigt, was von Berlin bleibt.

Berlin ist fast komplett von der Landkarte verschwunden, Hamburg sowieso, Dortmund ist eine Küstenstadt und Metropolen wie New York und London lägen ebenso unter Wasser wie die Niederlande, Dänemark, Bangladesch und das Amazonasbecken. In der September-Ausgabe zeigt „National Geographic“ auf einer Weltkarte, welche Folgen das Abschmelzen aller Gletscher und Polkappen Erde hätte. Wohlgemerkt: Das ist kein Szenario, das in einigen Dekaden eintreten kann, sondern allenfalls in einigen tausend oder hunderttausend Jahren.

Doch dann bestünde Berlin tatsächlich nur noch aus wenigen Inseln, die über die kräftig gewachsene Nordsee hinausragen: etwa Teufelsberg und Müggelberge, Volkspark Prenzlauer Berg und Marienfelder Höhen, der Dünenzug Woltersdorf und einige Moränenwälle an der Havel. Was die Europakarte – und davon abgeleitet die Berlinkarte – zeigen, ist der vom Geologischen Dienst der USA errechnete Endpunkt dessen, was offenbar unabänderlich abläuft: der Meeresanstieg als Folge des Verbrauchs aller fossilen Brennstoffe durch sieben, bald neun Milliarden Menschen.

Denn eine dramatisch veränderte Erde ist es, was unsere von fossilen Brennstoffen angetriebene Zivilisation derzeit erschafft: einen Planeten, auf dem Überflutungen wie nach dem Hurrikan „Sandy“ immer häufiger vorkommen werden – mit zerstörerischen Folgen für die Küstenstädte.

Durch den Ausstoß von Kohlendioxid und anderen Treibhausgasen hat sich die Erde im vergangenen Jahrhundert um 0,8 Grad erwärmt und den Meeresspiegel um 20 Zentimeter ansteigen lassen. Selbst wenn wir morgen plötzlich aufhörten, fossile Brennstoffe zu nutzen, würden die bereits freigesetzten Treibhausgase den Planeten noch für Jahrhunderte aufheizen.

Im Mai 2013 erreichte die Kohlendioxidkonzentration in der Atmosphäre 400 ppm (Teile pro Million Luftpartikel). Einen so hohen Wert gab es zuletzt vor drei Millionen Jahren. Damals lag der Meeresspiegel etwa 20 Meter über dem heutigen Stand; die Nordhalbkugel war weitgehend eisfrei. Die Aussagen für die nahe Zukunft klaffen weit auseinander. Nicht weil die Klimaforscher wild spekulieren würden, sondern weil sie mit unterschiedlichen Szenarien rechnen.

Diese Szenarien berücksichtigen schwer einschätzbare wirtschaftliche und politische Rahmenbedingungen. So entsteht eine Bandbreite – je nach Wirtschaftswachstum und „Schärfe“ des globalen Klimaschutzes. Stefan Rahmstorf vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung gibt zu bedenken: „Frühere Prognosen zum Meeresspiegelanstieg sind inzwischen von den Messdaten überholt worden.“

Meerwasser dehnt sich bei Erwärmung aus

Die globale Erwärmung beeinflusst den Meeresspiegel auf zweierlei Weise. Etwa ein Drittel des gegenwärtigen Anstiegs ist darauf zurückzuführen, dass sich Wasser beim Erwärmen ausdehnt. Dazu kommt das Abschmelzen des Inlandeises. Bisher betraf dies vor allem Gletscher in den Hochgebirgen, aber die große Sorge gilt den gigantischen Eisschilden in Grönland und der Antarktis, in denen das meiste Eis lagert.

Vor sechs Jahren prognostizierte der Weltklimarat (IPCC) in seinem Bericht, dass die Weltmeere bis Ende des Jahrhunderts um maximal 59 Zentimeter ansteigen würden. Doch dieser Report ließ bewusst außer Acht, dass die Eisschilde schneller ins Meer abgleiten könnten: Die physikalischen Prozesse seien nicht hinreichend erforscht, so die Forscher damals.

Ende September will der IPCC einen neuen Bericht vorlegen, in dem vermutlich ein stärkerer Anstieg vorhergesagt wird. Klimawissenschaftler schätzen, dass Grönland und die Antarktis zusammen seit 1992 pro Jahr rund 208 Kubikkilometer Eis verloren haben – also rund 200 Milliarden Tonnen Eis jährlich.

Neue Berechnungen gehen von 1,50 bis zwei Meter bis zum Jahr 2100 aus

Viele Experten rechnen damit, dass die Meere bis 2100 um bis zu einen Meter ansteigen werden. Doch selbst diese Zahl könnte zu niedrig sein. „Zuletzt haben wir ein beschleunigtes Abschmelzen der Eisschilde in Grönland und der Antarktis beobachtet“, sagt Radley Horton von der Columbia-Universität in New York.

„Falls diese Beschleunigung anhält, ist zu befürchten, dass der Meeresspiegel bis zum Ende des 21. Jahrhunderts um 1,80 Meter steigen könnte.“ 2012 prognostizierte das pessimistischste von vier Szenarien einer von der US-Wetter- und Ozeanografiebehörde berufenen Kommission einen Anstieg um zwei Meter. Das Ingenieurskorps der US-Armee empfiehlt Planern, mit 1,50 Metern Anstieg zu rechnen.

Eine der größten Unbekannten ist der gewaltige Thwaites-Gletscher in der Westantarktis. Durch den steigenden Meeresspiegel könnte mehr Wasser zwischen den Gletscher und den Gebirgszug darunter einsickern und die Eismasse aus seiner Verankerung lösen. Erst im Juli brach eine Schelfeisfläche von der Größe Hamburgs vom benachbarten Pine-Island-Gletscher ab. Sollte sich der Thwaites-Gletscher aus seinem felsigen Bett losreißen, würde so viel Eis frei, dass der Meeresspiegel allein deshalb um drei Meter steigt.

Die OECD rechnet bis 2070 mit 150 Millionen gefährdete Menschen in Küstenstädten

„Noch sieht es zum Glück nicht so aus, dass dies in den nächsten hundert Jahren passieren wird“, sagt Richard Alley von der Penn-State-Universität und einer der Autoren des letzten IPCC-Berichts. „Aber es bleibt eine gewisse Möglichkeit, dass wir eine böse Überraschung erleben.“

So oder so sind Städte an den Küsten doppelt bedroht: Ansteigende Ozeane überschwemmen nach und nach tief gelegene Gebiete, der höhere Meeresspiegel verstärkt zudem die zerstörerische Wirkung von Sturmfluten. Um das Jahr 2100 wird eine Jahrhundertflut wie nach „Sandy“ vielleicht alle zehn Jahre losbrechen.

Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung schätzt, dass bis 2070 etwa 150 Millionen Menschen in den größten Hafenstädten durch Überschwemmungen gefährdet sein werden. Dazu kommen Sachwerte von knapp 20 Billionen Euro – entsprechend neun Prozent des weltweiten Bruttosozialprodukts. Wie werden die Städte damit umgehen?

Dieser Text ist eine gekürzte Fassung eines Artikels aus National Geographic Deutschland, Ausgabe September 2013