Es gibt eigentlich nichts Nutzloseres, als unter Wasser eine Banane zu essen. Klara Hobza hat es trotzdem gemacht: das Atemgerät aus dem Mund genommen, von der Banane abgebissen, das Stück in die Backe gestopft, Wasser ausgepustet, dann gekaut und mit angehaltener Luft runtergeschluckt. Warum sie das getan hat? Nun, Klara Hobza, eine Berliner Künstlerin, will durch Europa tauchen. Da muss man auch lernen, unterwegs zu essen.
Von der Nordsee den Rhein entlang, dann in den Main und in die Donau bis ins Schwarze Meer soll die Wegstrecke sein. Rund 3500 Kilometer. Genau kann sie das nicht sagen. "Ich tauche ja keine schnurgerade Strecke. Bei Strömungen muss ich drum herum tauchen. Eine Gegenströmung kann so stark sein, dass ich nur diagonal tauchen kann."
Bei einem Tauchgang hat sie nicht mehr als zwei Pressluftflaschen dabei. "Eine hält bei großer Anstrengung nur 30 Minuten." Es ist ein Weg durch Schlamm und Morast, auf ihrer bisherigen Wegstrecke konnte sie kaum 30 Zentimeter nach vorne sehen. Erfahrungswerte? Null. Bisher ist keiner durch Europa getaucht. Großzügigkeit erlaubt sich Hobza nur in einem Punkt: Zeit. 30 Jahre hat sie für die Aktion veranschlagt.
Das mit dem Nutzlosen hat sie selbst gesagt. Auf die Frage, was ihre Aktionen verbinde. "Die Sachen sind total ineffizient. In unserer heutigen Welt sind wir von Effizienz bestimmt. Und ich bin das Gegenteil." Es kommt vor, dass sie über sich selbst lacht. Manchmal sei auch ein bisschen Panik dabei. Ob alles so klappe. Sie fühle sich, sagt sie dann, "wie der kleine Mann, der in die große Welt hinausgeht und sich irgendwelchen Abenteuern stellt."
Vor ein paar Jahren hat sie beispielsweise das alte Morsealphabet gelernt. In ihrem New Yorker Atelier hat sie dann aus zehn Glühbirnen mit 60 Watt eine Lichtinstallation gebaut und damit in die Nacht gemorst. So was wie: "Bitte antwortet" oder "Könnt ihr das sehen?". Aber keiner hat geantwortet - in der Nacht der amerikanischen Metropole, die ohnehin so prall leuchtet, mit all ihren Werbelichtern. Es hatte etwas vom Kampf des Zwergen gegen den Riesen. Hobza drückt es so aus: "Der einzelne Mensch, der es mit der Welt aufnimmt." Nach einiger Zeit hat sie es mit 120 Glühbirnen probiert - wieder keine Antwort. Dann, drei Jahre nach dem ersten Versuch, hat sie mit 1000 Glühbirnen gefunkt. Und diesmal kamen tatsächlich Antworten. Aus anderen Fenstern wurde zurückgemorst.
Hobza ist mittlerweile sehr erfolgreich. Institutionen von Kopenhagen bis Istanbul zeigen ihre Fotos, Videos, Zeichnungen und Installationen - was bei ihren Aktionen abfällt. Im Künstlerhaus Bremen sind bis 10. Februar Zeugnisse ihrer Tauchexpedition, die im März in einer stürmischen Nordsee begann, zu sehen. Gerade ist im Berliner Distanz Verlag, der von dem Kunstsammler Christian Boros geleitet wird, ein Buch herausgekommen, eine Werk-Schau: "Early Endeavors" (208 Seiten, 39,90 Euro) deutsch etwa "Frühe Bestrebungen". Auf dem Cover sieht man Hobza auf einem Beleuchtungs-Mast, in der Hand etwas, das aussieht wie eine Spielzeugwaffe. Was aber, erklärt sie, eine Antenne aus den 20er-Jahren ist, "die ich vom Technischen Museum in Malmö ausgeliehen habe. Ich versuche, Radio-Longwaves/Langwellen, einzufangen. Man kennt es ja, wenn der Radio-Empfang schlecht ist, dass man die Antenne anfasst oder sie mit einem Metallstück verbindet, und der Empfang viel besser wird. So was in der Art mache ich da auch." Das Bild verbindet alles, was ihr Schaffen umgibt: das Komische, Absurde, wunderbar Unterhaltsame.
Hobza hat sich als Treffpunkt die BrezelBar in der Kreuzberger Friesenstraße ausgesucht. Seit einiger Zeit wohnt die 37-Jährige hier um die Ecke in der Zossener Straße. Dunkelhaarig, schmächtig, was schnell auffällt, ist ihr energischer Mund. Unwillkürlich denkt man an ein Foto aus ihrem Buch: sie, mit Taucherbrille unter Wasser, hält demonstrativ eine geschälte Banane in die Kamera, dann beißt sie hinein. Was ist das eigentlich für ein Gefühl? "Aufregend", meint sie lapidar, lächelt dann und erzählt, wie es dazu gekommen ist. Hobza hatte gerade ihren Tauchschein gemacht, im Baerwaldbad und an der Ostsee, jetzt suchte sie eine Art Jedi, einen, der sie in die Tiefen des Star-Water-Universums einwies. "Kein bunter Fisch, sondern einer, der das Tauchen als körperliche Herausforderung macht." Als sie von ihren Europa-Unterwasser-Plänen in Berlin erzählte, haben "sie mir alle den Vogel gezeigt. Die sagten: ,Versenken kannste dich selber.'"
Ihren Jedi fand sie in Istanbul. 61 Jahre alt, ehemaliger Kampftaucher, einer, der schon mal nonstop von der Türkei nach Zypern in 35 Stunden getaucht ist, das war Namik Ekin. Leute, die ihn Hobza empfahlen, meinten, dass er in einer ähnlichen Fantasiewelt wie sie lebe. Er war tatsächlich begeistert von ihren Plänen und versprach ihr beizubringen, wie man unter Wasser eine Banane isst. Für einen, der auf seinem Zypern-Trip schon im Meer geschlafen und Hühnchen gegessen hatte, dürfte das keine Schwierigkeit gewesen sein. "Wir haben dann sogar Wasser unter Wasser getrunken."
Wenn Hobza jetzt in Kreuzberg davon erzählt, fällt ihr süddeutscher Dialekt auf. Sie ist in München aufgewachsen. Mittlerweile empfänden die Bayern ihre Aussprache allerdings nicht mehr als einwandfrei und bezeichneten sie schon einmal als Saupreißin. Geboren ist sie in im tschechischen Pilsen. Als sie sechs war, beschlossen ihre Eltern - die Mutter war Buchhalterin, der Vater Ingenieur -, mit ihr zu fliehen. Während eines Urlaubs, der angeblich ins kommunistisch befreundete Jugoslawien gehen sollte. Der direkteste Weg dorthin war über Österreich. Was aber nur in Ausnahmefällen erlaubt wurde. Hobzas Eltern packten ihren kleinen Fiat - "Er war ihr großer Stolz" - mit Luftmatratze und Schwimmflügel voll. In die Autositze nähten sie wertvolle Dokumente wie Geburtsurkunden und Diplome ein und fuhren an die österreichische Grenze. Sie hatten ein Visum, aber ein gefälschtes. Die Flucht gelang. Die ersten anderthalb Jahre im Westen verbrachte die Familie in Düsseldorf, dann zog sie weiter, "wegen des Jobs", nach München.
Dass sie etwas mit Kunst machen will, habe sie schon in ihrer frühen Jugend gespürt, sagt Hobza. Den entscheidenden Impuls bekam sie mit 14, als sie in Florenz das Werk Michelangelos besichtigte. "Das war ein Schlüsselerlebnis. Ich sah diese Skulpturen und war wie vom Blitz getroffen. Das wollte ich auch können. Kunst. Überhaupt Kunst." Den Eltern erzählte sie nichts. "Sie hätten mich nur daran gehindert." Künstlerin zu werden, das war wie ein Sog, sagt sie. "Ich habe sogar die Schule geschwänzt, um Zeichenunterricht zu nehmen."
Mit 19 Jahren ging sie in München auf illegale Partys, gehörte einer Girl-Band mit dem schönen Namen Schädelbasisbruch an und war an der Kunstakademie angenommen worden. Dann verliebte sie sich in einen Mann, einen Amerikaner, brach die Ausbildung ab, zog zu ihm nach New York und heiratete. Es muss der Instinkt gewesen sein, das Richtige zu tun. Nicht den geraden Weg zu gehen, sondern die Herausforderung zu suchen. Es mit etwas aufnehmen, das ist wohl das Credo, das ihr Leben als Künstlerin durchzieht. Amerika gab ihr in den folgenden Jahren die Möglichkeiten, sich in all ihrer Verrücktheit auszutoben.
Neben ihrer nächtlichen Morseaktion unterstützte sie der Public Art Fund bei einem weiteren ungewöhnlichen Projekt: einem Papierfliegerwettbewerb. "Es sollte eine Liebeserklärung an New York werden. Ich wollte, dass ganz viele Leute zusammenkommen, eine Mischung aus vielen Kulturen und Sprachen." Die Bilder in ihrem Buch erzählen von der seltsamen Veranstaltung, in der Great Hall of Science im Stadtteil Queens im Jahr 2008. Vor 44 Jahren hatte hier eine andere Veranstaltung stattgefunden, eine Weltausstellung, in der Halle waren damals Raketen ausgestellt worden. Was für ein Gegensatz. Diesmal bastelten 350 junge und alte Menschen an Papierfliegern, die sie durch die Luft fliegen ließen. Auf einem Podest stand ein Sportreporter, der das Geschehen lauthals und atemlos kommentierte. Hobza hatte mehrere Kategorien aufgestellt. Distanz, wessen Flieger am längsten in der Luft bleibt, Schönheit des Fluges - sowie spektakuläres Scheitern: Qualifizieren konnte sich nur, wer mit seinem Flieger eine Panne hatte. Allerdings musste er danach seinen Flieger so zusammenbauen, dass er die gleiche Panne noch einmal hatte.
Ein anderes etwas wahnsinniges Unterfangen Hobzas war, in Amerika heimische Vögel nach Europa zu bringen. Was ihr auch Ärger von Tierschutzorganisationen und Vogelkundlern einbrachte. Die Idee dahinter: 1890 war man bestrebt gewesen, Flora und Fauna aus der alten Welt nach Amerika zu bringen. Unter anderem Stare. 60 Stück fing man in England und brachte sie übers Meer. Heute leben mehr als 300 Millionen Stare in Amerika, weltweit sind es 400 Millionen. Hobza beschloss, wieder 60 Stare zu fangen und sie nach Europa zu bringen, um der weltweiten Population ein neues Gleichgewicht zu geben. Sie baute Käfige, die sie an Bäumen aufhing. Leider ging das Konzept nicht auf. "Schrecklich, es ist das Projekt, das mich am meisten ärgert." Nur fünf Stare fanden den Weg nach England.
2009 verließ Hobza Amerika. Ihr Mann, ein Sprachwissenschaftler, hatte einen Job hier gefunden. Hobzas Abgang war spektakulär. Wieder als Kunstprojekt. Sie packte ihr Hab und Gut auf ein Floß, schipperte damit an der Freiheitsstatue vorbei zum Frachthafen. Dort wurde alles verladen und nach Hamburg gebracht. Wo sie die Fahrt vom Hafen zur Galerie für Landschaftskunst wieder auf dem Floß unternahm. Ihre Rückkehr von der Neuen in die Alte Welt.
Hobza nimmt jetzt einen Schluck von ihrem Kaffee, pickt an ihrer Brezel und nestelt an ihrem weißen Pullover. Der sie etwas nervt. Er fusselt nach dem ersten Mal waschen. Überall hängen die weißen Stofffäden mittlerweile, am Rucksack, an der Hand, einer hat sich sogar auf ihre Wange verloren. Fast ein eigenes Kunstwerk. Sie sagt gerade: "Mit etwas fertig zu sein, ist langweilig. Das ist bei Tauchaktion genauso wie bei der Morseaktion. Da war es doch viel spannender, zu sehen, wie einer einsam dasitzt, morst und versucht, es mit New York aufzunehmen. Es gibt nur ein Prozent, dass es funktioniert, aber irgendwann überrascht man sich selber."
Bei ihrem Projekt, Europa zu durchtauchen, hat sie vielleicht ein Prozent ihrer Wegstecke geschafft, auf der Höhe von Rotterdam ist sie jetzt. Aber darauf kommt es nicht an. Sie ist keine Athletin, die ins Guinness Buch der Rekorde will, ihr geht es um die Geschichten, die Bilder, die sie unterwegs findet. "Wenn ein Nichtkünstler so ein Projekt machen würde, würde er gar nicht verweilen, um zum Beispiel diese Art von Fotos zu machen." In Bremen hängen Bilder, auf denen sie im Taucheranzug auf einer Drahtseilbahn sitzt. Oder ihr Kopf in den Fluten zu sehen ist, im Hintergrund große Frachter. Signalbojen hat sie sich aus Cola-Plastikflaschen gebaut. Mit einer Helmkamera hat sie auch das Wasser in all seiner Trübheit festgehalten. "Der totale Horror" oder "Spektrum des Morasts" will sie eine der Bilderserien nennen.
In ihrem Buch hat Hobza ihre Autobiografie in Stichworten verfasst. Sie reicht bis 2088, 20 Jahre nach ihrem selbst vorhergesagten Tod. Hätte sie auch etwas anderes als Künstlerin werden können? "Stellen Sie sich vor, ich wäre Architekt oder Ingenieur geworden - und ich hätte die Verantwortung für Menschenleben?!" Es klingt wie eine Drohung.