Berlins Umweltsenatorin Regine Günther (Grüne) will in der Hauptstadt den „Klimanotstand“ ausrufen. „Ich werde dem Senat vorschlagen, dass Berlin das, was die Menschen Klimanotstand nennen, offiziell anerkennt, als erstes Bundesland“, sagte die Grünen-Politikerin am Donnerstag im Abgeordnetenhaus. Berlin müsse weitere Maßnahmen für mehr Klimaschutz ergreifen. Sie werde dazu konkrete Vorschläge erarbeiten, so Günther.
Weltweit haben schon viele Städte einen „Klimanotstand“ ausgerufen, darunter rund 50 in Deutschland. Am 14. August hatte dies Potsdam getan, einen Tag später die Bezirksverordnetenversammlung des Berliner Bezirks Pankow. Die beteiligten Kommunen verpflichteten sich, mehr fürs Klima und gegen die Erderwärmung durch Emissionen etwa von Kohlendioxid (CO2) zu tun.
Auch in Berlin kämpft eine Volksinitiative dafür, dass sich die Stadt der Bewegung anschließt. Ende August hatten die Aktivisten 43.000 Unterschriften dafür dem Parlamentspräsidenten Ralf Wieland übergeben. Das Landesparlament muss sich nach der Prüfung der Unterschriften mit dem Thema befassen.
Kritik am Klimapaket der Bundesregierung
Günther kritisierte das neue Klimapaket der Bundesregierung. „Die Verschärfung der Klimakrise wird durch diese Maßnahmen nicht abgewendet“, sagte sie. „Wir machen im Grunde weiter wie bisher. Und das ist das Unakzeptable an diesem Paket.“ Da beim Klimaschutz Bundes- und Landesgesetze Hand in Hand gehen müssten, werde es Berlin nunmehr schwerer haben, seine Klimaziele zu erreichen.
Einige Vorhaben der Bundesregierung wie die Erhöhung der Mittel für den Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) oder die Elektrifizierung von Bussen und Taxen sowie eine Reform der Kfz-Steuer seien hilfreich, so Günther. „Aber viele überfällige, wichtige Weichenstellungen sehr grundsätzlicher Art fehlen entweder vollständig, werden weit in die Zukunft geschoben, fallen viel zu schwach aus oder sind auch gänzlich kontraproduktiv“, sagte sie.
Günther: Erhöhung der Pendlerpauschale führe zu mehr Verkehr
Besonders schwer wiege, dass der geplante CO2-Preis „erkennbar“ zunächst keine Lenkungswirkung entfalten werde und so keine Abkehr von fossilen Energien im Verkehr oder im Gebäudesektor bewirken werde. „Die Erhöhung der Pendlerpauschale wird zur weiteren Zersiedlung anreizen und insgesamt zu mehr Verkehr führen und nicht zu weniger“, ergänzte Günther.
Das Klimapaket der Bundesregierung enthält unter anderem die Einführung eines CO2-Preises, der etwa Benzin und Diesel oder Heizöl teurer machen soll. Er fällt aber mit zehn Euro pro Tonne Kohlendioxid (CO2), das beim Verbrennen entsteht, zum Start 2021 nach Ansicht der Kritiker sehr niedrig aus. Benzin verteuert sich dadurch um etwa drei Cent pro Liter.
Berlin will bis 2050 klimaneutral werden
Wie Günther hält auch Grünen-Fraktionschefin Silke Gebel größere Anstrengungen für den Klimaschutz in Berlin für nötig. Zwar habe die rot-rot-grüne Koalition in den vergangenen Jahren mit dem Ausstieg aus der Braunkohle, dem bis 2030 festgelegten Ausstieg aus der Steinkohle, Deutschlands erstem Mobilitätsgesetz oder der Solaroffensive einiges in Bewegung gesetzt, sagte Gebel im Abgeordnetenhaus. „Wir müssen uns aber auch immer fragen, müssen wir nicht noch eine Schippe obendrauf legen bei all den Maßnahmen, die wir für ein klimagerechtes Berlin in Gang bringen.“
Bislang peilt Berlin das Ziel an, bis 2050 klimaneutral zu werden. Das heißt, die energiebedingten Emissionen von Kohlendioxid sollen bis dahin um mindestens 85 Prozent im Vergleich zu 1990 reduziert werden.
IHK fordert fürs Klima Verzicht auf den Mietendeckel
„Die Wissenschaft sagt, wir müssen 2035 klimaneutral sein, um die Erderhitzung auf unter zwei Grad zu begrenzen“, sagte Gebel nun. „Damit müssen wir uns auseinandersetzen.“ Deshalb plane die Koalition eine Studie zu der Frage, welche Maßnahmen Berlin ergreifen müsse, um noch schneller CO2 einzusparen.
Berlins Industrie- und Handelskammer (IHK) nahm die Umweltsenatorin beim Wort und verlangte politische Konsequenzen für das wichtigste Streitthema der Landespolitik. „Wenn Frau Günther es ernst meint mit dem Klimanotstand, müsste sie den geplanten Mietendeckel ablehnen“, sagte IHK-Geschäftsführer Jörg Nolte: „Denn der vorliegende Entwurf ist eine deutliche Bremse für die energetische Gebäudesanierung, eines der wichtigsten Felder für eine wirksame CO2-Reduzierung.“
Noch ist es nicht unter den Koalitionspartnern ausgehandelt, in welchem Umfang energetische Sanierungen zugelassen und von den Vermietern auf die Mieten umgelegt werden dürfen. Bisher sind diese Möglichkeiten eher eingeschränkt. Gleichwohl gilt die Modernisierung des Gebäudebestands als wichtigster Hebel für den Klimaschutz in Berlin. Um die Klimaziele zu erreichen müssten viel mehr Gebäude in der Hauptstadt als bisher saniert werden. Eine Machbarkeitsstudie zum Kohleausstieg rechnet vor, dass die Sanierungsquote von derzeit 0,6 Prozent des Bestandes pro Jahr auf 2,2 Prozent fast verdreifacht werden müsste.