Auch im vergangenen Jahr haben die 200 größten Arbeitgeber Berlins wieder Personal eingestellt. Ende 2014 beschäftigten sie im Schnitt 1,5 Prozent mehr Mitarbeiter als ein Jahr zuvor. Damit setzt sich der positive Trend der vergangenen Jahre fort: 2013 stellten die von der Berliner Morgenpost ermittelten 200 größten Unternehmen 1,1 Prozent mehr Personal ein. In den Jahren zuvor waren es 1,7 und 1,5 Prozent mehr, 2010 lag der Beschäftigungszuwachs sogar bei drei Prozent.
Auch im laufenden Jahr dürfte sich dieser positive Trend fortsetzen. Die Berliner Morgenpost befragte die Top-200-Unternehmen auch nach der voraussichtlichen Beschäftigungsentwicklung. Dabei gaben 40 Unternehmen an, zum Teil kräftig einstellen zu wollen. Rund 2000 Arbeitsplätze sollen 2015 allein in diesen Firmen entstehen. 72 Unternehmen halten ihre Mitarbeiterzahl konstant. Und nur fünf Arbeitgeber planen einen Stellenabbau – 410 Arbeitsplätze sollen hier wegfallen. Zum Vergleich: Im vergangenen Jahr gaben 38 Unternehmen an, neue Stellen (insgesamt 1771) schaffen zu wollen. Fünf Unternehmen wollten insgesamt 285 Stellen streichen.
Doch nicht nur die 200 größten Arbeitgeber der Hauptstadt suchen kräftig nach neuen Mitarbeitern. „Die Stimmung in Berlin ist so gut wie nie“, sagt Hartmut Mertens, Chefvolkswirt der Investitionsbank Berlin (IBB). Im Januar 2015 habe es in der Hauptstadt insgesamt 3,3 Prozent mehr sozialversicherungspflichtig Beschäftigte gegeben. Im Bundesdurchschnitt waren es nur rund zwei Prozent.
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Auch Mertens glaubt, dass diese Entwicklung anhalten wird. „Wir hatten noch nie einen so günstigen Jahresstart wie in diesem Jahr.“ Das zeige sich gerade beim Wirtschaftswachstum. So stieg den IBB-Zahlen zufolge das Bruttoinlandsprodukt in Berlin im ersten Quartal 2015 um 2,5 Prozent. Für das zweite Quartal zeichnet sich ein ähnlich guter Wert ab.
Auch das starke Wirtschaftswachstum wird sich weiter auf die Beschäftigungszahlen auswirken. So sind derzeit mehr als 21.000 Stellen unbesetzt – und zwar quer durch alle Branchen und Qualifikationsanforderungen. „Es fehlen vor allem Erzieher, IT-Experten und Bauingenieure“, weiß Mertens. Zudem werde im Einzelhandel, in der Hotellerie und Gastronomie, in der Sicherheit und Gebäudereinigung, aber auch bei den Rechts-, Steuer- und Wirtschaftsfachangestellten sowie im Gesundheitsbereich und in der Elektro- und Energietechnik gesucht.
Auch einfache Tätigkeiten nachgefragt
Doch es sind nicht immer nur die hoch qualifizierten Stellen, die nicht besetzt werden können. Mertens ist sich sicher: „Auch einfache Tätigkeiten werden in den kommenden Jahren stärker nachgefragt werden.“ Bestes Beispiel: Zalando. Der Online-Mode-Versender hat seinen Personalbestand im vergangenen Jahr erneut aufgestockt: Rund 1700 neue Stellen kamen allein in Berlin und Umland hinzu. Nun arbeiten 3500 Mitarbeiter am Zalando-Stammsitz Berlin. Rund 1200 verpacken und versenden die Bestellungen im Logistikzentrum in Brieselang westlich Berlins. Unter dem Strich ist das ein Beschäftigungszuwachs von 56,7 Prozent. Schon 2013 hatte das Start-up mächtig aufgestockt und insgesamt 3000 Mitarbeiter beschäftigt.
Zalando hat damit den Sprung unter die Top 20 geschafft und sogar den Medienkonzern Axel Springer – der mit plus 17,3 Prozent ebenfalls ein stattliches Beschäftigungswachstum in Berlin verzeichnete – hinter sich gelassen. Und die Expansionsphase von Zalando ist noch lange nicht beendet. Im laufenden Jahr soll die Zahl der Mitarbeiter im gesamten Konzern um weitere 2000 auf dann fast 10.000 steigen.
Eine Aussage, wie viele der neuen Mitarbeiter in der Hauptstadt-Region eingestellt werden, kann Zalando noch nicht machen. Weil derzeit 62 Prozent der gesamten Konzernbelegschaft auf Berlin und das Umland entfällt, wird es wohl kein unbeträchtlicher Anteil sein. Gesucht werden vor allem Techniker und Softwareentwickler sowie Daten- und Mobilfunkspezialisten, aber auch Modedesigner.
Bei Zalando gilt Berlin unter Personalgesichtspunkten als guter Standort. „Berlin ist eine internationale, attraktive Stadt, die kreative, smarte Menschen aus der ganzen Welt anlockt. Bei Zalando arbeiten Kollegen aus mehr als 70 Ländern, und in Berlin finden wir Modedesigner genauso wie Tech-Experten und Manager für unsere ausländischen Märkte“, sagt Zalando-Sprecher Steffen Heinzelmann.
Dennoch hat das Unternehmen in Dublin den ersten Technologie-Standort außerhalb Deutschlands eröffnet. In den Silicon Docks will der Online-Händler in den kommenden drei Jahren bis zu 200 Stellen für Data-Analysten und Entwickler schaffen. Das „Fashion Insights Center“ wird die Zalando-Entwickler in Berlin dabei unterstützen, die Online-Plattform weiterzuentwickeln. Allerdings gilt: „Unser Tech-Team in Berlin wird noch stärker wachsen als das am neuen Standort Dublin. Hier in Berlin wollen wir mehrere Hundert Mitarbeiter im Bereich Technologie einstellen“, erklärt Heinzelmann.
IBB-Volkswirt Mertens hält in diesem Zusammenhang für wichtig, dass bei Zalando – wie in anderen jungen Internetunternehmen auch – vor allem sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze entstanden sind. „Wichtig für die Region ist, dass dabei auch geringer Qualifizierte für Lagerarbeiten und in Callcentern eine Chance bekommen“, sagt er.
Doch nicht nur Zalando und der Internet-Gigant Amazon – seit Ende 2013 auch mit eigenem Logistikzentrum in Brieselang vertreten – suchen nach qualifiziertem Personal. Durchschnittlich alle 20 Stunden wird in Berlin ein neues Internet-Unternehmen gegründet, wie Mertens berechnet hat. Diese Unternehmen tragen wesentlich zur Beschäftigungsentwicklung bei – auch wenn sie noch nicht den Sprung unter die Top 200 geschafft haben.
Banken bauen Stellen ab
Bei den großen traditionellen Unternehmen sieht es dagegen oftmals anders aus. „In der Industrie kam es in den vergangenen Jahren immer wieder zu Bereinigungen – vor allem weil die Firmen produktiver geworden sind“, erklärt IBB-Chefvolkswirt Mertens. Und auch bei der Finanzwirtschaft zeigt sich der Strukturwandel. „Die Banken haben derzeit Schwierigkeiten, gerade in ihrem traditionellen Geschäft gute Zahlen zu erwirtschaften.“ Zudem gehen immer weniger Kunden in die Filialen. Das zeigt sich nun in der Personalstatistik. Gerade die Regionalbanken ziehen sich mit ihren Geschäftsstellen aus dem Stadtbild zurück.
Das spiegelt sich auch in den Top 200: Die Banken in Berlin und Umland beschäftigten zum Jahreswechsel insgesamt 1,8 Prozent weniger Mitarbeiter als ein Jahr zuvor. So haben beispielsweise die Berliner Volksbank (minus 3,7 Prozent) und die Berliner Sparkasse (minus 8,1 Prozent) Stellen gestrichen. Beide wollen auch im kommenden Jahr erneut Personal sparen. Die Volksbank prognostiziert einen Abbau von 50 Mitarbeitern, bei der Berliner Sparkasse sollen gar 160 Stellen wegfallen.
In der Industrie schrumpfen einige Unternehmen, zum Beispiel der Aufzug-Hersteller Otis (minus 0,9 Prozent), der Autozulieferer ZF Lenkysteme (minus 12,6 Prozent), ThyssenKrupp (minus 5,1 Prozent) oder Stadler Pankow (minus 7,7 Prozent) und BASF (minus 3,7 Prozent). Auch Osram baut weiter ab (minus 15,2 Prozent), ebenso wie Gasag (minus 14,1 Prozent) oder Vattenfall (minus 1,8 Prozent).
Gesundheitssektor wächst am stärksten
Zuwächse melden hingegen zahlreiche Dienstleister. Gewinner und Verlierer gibt es bei den Callcentern. Unter dem Strich hat die Branche die Beschäftigung in der Region aber um 3,1 Prozent gesteigert. Auch im Einzelhandel entstehen weiterhin Arbeitsplätze bei den Top-200-Arbeitgebern (plus 2,6 Prozent). Fast ausnahmslos haben die Gebäudedienstleister in der Region 2014 die Belegschaften ausgebaut. Unter dem Strich steht hier ein Plus von 1,7 Prozent. Das stärkste Wachstum hat Clemens Kleine mit plus 158,9 Prozent bekannt gegeben. Stark gestiegen ist auch die Anzahl der Mitarbeiter bei den Wirtschaftsprüfungsgesellschaften (plus 12,4).
Stärkste Branche unter den Top 200 ist der Gesundheitssektor, der einschließlich der Krankenversicherungen, Pharma und Medizintechnik, auf 82.098 Mitarbeiter kommt.
Spitzenreiter unter den Unternehmen ist nach wie vor die Deutsche Bahn mit 21.260 Mitarbeitern in Berlin und Umgebung. Das sind 0,6 Prozent mehr als im Vorjahr. Die Plätze zwei und drei belegen die großen Krankenhäuser: Die Charité ist mit 16.857 Beschäftigten Zweiter (plus 0,7 Prozent) vor den Vivantes-Kliniken mit 14.714 (minus 1,4 Prozent). Die BVG (13.300) und Siemens (12.000) können ebenfalls eine fünfstellige Mitarbeiterzahl aufweisen.
Neu in den Top 10 ist das Deutsche Rote Kreuz mit 7533 Mitarbeitern. Die Top-Aufsteiger allerdings finden sich weiter unten im Ranking: Primark hat mit der Eröffnung der zweiten Filiale am Alexanderplatz im vergangenen Sommer 70 Plätze gutgemacht und belegt nun Rang 91.
Freizeitwert und den Kulturangebote lockt Fachkräfte
Auch die GSE Protect Gesellschaft für Sicherheit und Eigentumsschutz mbH hat kräftig eingestellt und ist in diesem Jahr auf Platz 190 erstmals in den Top 200 vertreten. Für dieses Jahr plant der Sicherheitsdienstleister einen Zuwachs von 450 Mitarbeitern. Konkurrent Securitas ist mit plus 11,2 Prozent ebenfalls weiter gewachsen. Als Neuling in Top 200 ist Amazon mit der Eröffnung seines Logistikzentrums in Brieselang auf Platz 82 eingestiegen.
Unternehmen, die sich in Berlin in einer Wachstumsphase befinden, finden am Standort vergleichsweise einfach Personal. Das liege auch daran, dass Berlin qualifizierte Mitarbeiter aus ganz Deutschland, aber auch aus dem europäischen Ausland anzieht. „Mit dem Standort Berlin hat man als Arbeitgeber schon gute Karten“, meint IBB-Volkswirt Mertens. „Mit den entsprechenden Gehältern ist es kein Problem, gute spezialisierte Kräfte zu bekommen.“ Das liege am guten Ruf der Hauptstadt mit ihrem Freizeitwert und den Kulturangeboten – vor allem aber an der dynamischen Aufbruchstimmung der Start-up-Szene, die tolle Arbeitsplätze generiert. „Viele Unternehmen aus dem süddeutschen Raum überlegen gerade deshalb, ihre Entwicklungsabteilungen nach Berlin zu verlegen“, weiß Mertens.
Die Kehrseite des Booms nennt Mertens auch: „Den vielen neuen Stellen in den Top 200 stehen nach wie vor auch über 200.000 Arbeitslose gegenüber“. Ihnen fehle oft die Qualifikation für die freien Stellen. Und neu geschaffene werden eher mit Zuziehenden besetzt. Das liege auch daran, dass Berlin qualifiziertes Personal aus ganz Deutschland, aber auch aus dem europäischen Ausland anziehe, sagt Mertens.