Meditieren macht den Kopf frei, hilft Stress zu verarbeiten und gelassener in Freizeit und Beruf zu werden. Studien belegen die Wirksamkeit von Meditationen.
Der Stress im Alltag nimmt zu. In einer aktuellen Studie nennen die meisten Gestressten den Beruf als Belastungsfaktor Nummer eins. Ständige Erreichbarkeit spielt aus Sicht der Betroffenen eine untergeordnete Rolle, ebenso Konflikte mit Kollegen oder Chefs. Die Stressfaktoren sind in erster Linie: zu viel Arbeit, Termindruck und ständige Störungen.
Sind wir den Anforderungen und der Hektik schutzlos ausgeliefert? Gehirnforscher machen uns Hoffnung. Immer mehr westliche Wissenschaftler interessieren sich für Meditationsformen aus Fernost, die hierzulande bislang nur in der Esoterikecke praktiziert wurden. Ihre Studien belegen, dass Selbstbesinnung positive Auswirkungen auf Körper und Gehirn hat: Wer regelmäßig entspannt, kann seinen Blutdruck senken, Depressionen vorbeugen und sein Immunsystem stärken.
Aufmerksamkeitsmeditation, die traditionell in buddhistischen Kontemplationsschulen geübt wurde, verändert bereits nach vier Wochen die Nervenfasern einer bestimmten Gehirnregion. Das berichtet ein Forscherteam von der Texas Tech University in Lubbock.
Das Forschungsgebiet
„Achtsamkeitsmeditation ist das nicht wertende Wahrnehmen der Dinge, so wie sie sind, im Hier und Jetzt“, sagt die Achtsamkeitstrainerin Britta Hölzel. „Es geht darum, mit dem, was gerade passiert, in Kontakt zu sein und nicht, wie sonst so oft im Alltagsleben, ständig in Gedanken abzudriften“, erläutert die promovierte Psychologin. Britta Hölzel konnte vier Jahre lang an der Elite-Universität Harvard über Meditation forschen. Heute ist sie an der Charité tätig.
Von der Wirksamkeit der Selbstbesinnung ist auch Heinrich Klaus, Arzt und Psychotherapeut überzeugt. Ob Zuhause, unterwegs oder im Büro, meditieren gehe überall, sagt er. „Um langfristig in den Genuss der Vorzüge des Meditierens zu kommen, ist es wichtig, die Übungen regelmäßig durchzuführen und sie so oft wie möglich in den Tagesablauf zu integrieren“, empfiehlt Klaus, der aktuell eine gute Einführung in das Thema veröffentlicht hat (Meditieren für Vielbeschäftigte, Südwest, 16,99 Euro).
Achtsamkeitsmeditation zielt auf die Gegenwart, bringt die Gedanken weg von Vergangenem und Zukünftigem. „Achtsame Körperübungen ziehen die Aufmerksamkeit wie ein Magnet in die Gegenwart. Sie machen das Gehirn stressresistenter“, glaubt auch der Physiotherapeut Jan Thorsten Eßwein (Achtsame Yogaübungen, GU, 16,99 Euro). Und gönnt so dem Gehirn eine Verschnaufpause.
Fataler Perfektionismus
Heinrich Klaus rät zu mehr Geduld: „Jeder, der schon einmal irgendwo länger warten musste – sei es im Stau oder in der Schlange an der Supermarktkasse – hat sich darüber bestimmt auch schon einmal geärgert und ist ungeduldig geworden. Versuchen Sie, solche erzwungenen Pausen doch einmal als Chance zu betrachten, sich in Geduld zu üben, innezuhalten, wahrzunehmen und ein paar Minuten loszulassen.“ Beim Meditieren lernen Patienten, die Dinge so zu akzeptieren, wie sie sind und sich nicht dagegen zu wehren.
Mehr Gelassenheit streben wohl die meisten an, die einen Ausweg aus dem Hamsterrad suchen. Und viele wissen auch: Hohe Ansprüche an sich selbst sind fatal, denn sie machen Arbeit und Leben stressiger. Wer erwartet, dass immer alles glatt läuft, setzt sich unnötig unter Druck. Wer sich selbst und anderen keine Fehler erlaubt, ist schnell genervt, wenn etwas schief läuft.
Im Land der hohen Qualitätsansprüche sind Perfektionisten keine Randgruppe. Stress belastet Millionen Menschen zunehmend. Mehr als jeder zweite Erwachsene sagt, mehr unter Druck zu stehen als noch vor wenigen Jahren. Das geht aus der vor kurzem veröffentlichten Studie hervor, für die das Meinungsforschungsinstitut Forsa im Auftrag der Techniker Krankenkasse (TK) 1000 Menschen befragt hat. Mit 63 Prozent fühlen sich Frauen besonders oft gestresst.
Abschalten fällt schwer
Bei den befragten Männern waren es 52 Prozent. „Besonders gestresst ist die sogenannte Sandwich-Generation“, sagt Jens Baas, Chef der Techniker Krankenkasse. 80 Prozent dieser Menschen zwischen 36 und 45 Jahren fühlten sich unter Druck. Denn sie müssen sich oft gleichzeitig um Beruf, Kinder und eigene Eltern kümmern. Insgesamt fühlen sich fast sechs von zehn Menschen in Deutschland zumindest teilweise gestresst – jeder Fünfte sogar häufig. Mit 47 Prozent nennen die meisten gestressten Menschen den Beruf als Belastungsfaktor Nummer eins, gefolgt von hohen Ansprüchen an sich selbst (41 Prozent) und privaten Konflikten (34 Prozent).
Die Studie ging auch der Frage nach, wie Berufstätige mit Stress umgehen. 17 Prozent der Befragten sagten, erst mit Druck liefen sie zur Hochform auf. 17 Prozent meinten, sie zögen sich zurück, sobald Stress aufkomme. Die Mehrheit aber (59 Prozent) stimmt der Aussage zu: „Stress belastet mich, aber für mich gilt: Augen zu und durch.“
Der Psychiater Christophe André kennt die Selbstgespräche seiner Patienten: „Du kannst das schon aushalten, wenn du zu viel ´Druck` hast, kannst dagegen ankämpfen: Du machst den Rücken krumm, trägst deine Last, machst einfach weiter. Du bleibst am Ball, ignorierst, dass dir eigentlich alles zu viel ist.“ Der Körper beginne zu rebellieren. „Du spürst das alles, aber du hörst nicht auf deinen Körper.“
Ergebnis der TK-Studie
Mit dem Stress-Level nehmen die Beschwerden zu. Das belegt auch die Studie: Unter jenen, die sich als gestresst wahrnehmen, seien Schlafstörungen, Kopfschmerzen und Gereiztheit verbreitet. „Gestresste Menschen haben gegenüber entspannten ein fast viermal so hohes Risiko für seelische Beschwerden.“ Mit Blick auf die oft hohen eigenen Ansprüche rief Baas zu mehr Gelassenheit in der Gesellschaft und beim Einzelnen auf. Heute gelte es fast als peinlich, wenn man nicht gestresst sei.
Die TK-Studie belegt, dass es mehr als jedem dritten nicht gelingt nach Feierabend und am Wochenende richtig abzuschalten. 38 Prozent glauben dann zu Alkohol greifen zu müssen. Sinnvoller und weitaus gesünder wäre da sicher ein langer Spaziergang. André (Das kleine Buch der Achtsamkeit, Kailash, 14,99 Euro) sagt: „Das Gerüst für unser Glück setzt sich aus den Momenten zusammen, in denen wir guter Laune sind: Zeit, die wir mit einem geliebten Menschen verbringen, ein schöner Spaziergang, eine anregende Lektüre, bewegende Musik...Machen wir uns all diese Momente bewusst, anstatt sie geistesabwesend zu durchleben, so verwandeln wir unser Wohlbefinden in Glück.“