Berlin. Was haben ein Text von Immanuel Kant und ein komplexes Digitalprojekt gemeinsam? Für beide gilt: Wenn man beginnt, sich damit zu beschäftigen, kann es gut sein, dass man erst einmal gar nichts versteht.
Einer, der von beidem eine ganze Menge versteht, ist Martin Schreiber (34). Seit 1. März ist er oberster Produktmanager, der Chief Product Officer (CPO), beim Berliner Unternehmen realbest Germany.
Nach dem Abitur 2003 begann Schreiber mit seinem Magisterstudium in Philosophie und Literatur an der Universität Potsdam. Es hat ihm Spaß gemacht. Jedoch: „Ich war gleichzeitig ein Stück weit gefrustet“, erzählt Schreiber.
„Ich habe gemerkt: Das liegt mir nicht, mich quasi immer in historischen Diskussionen zu bewegen.“ Während sich draußen die Welt veränderte, stellte niemand die Frage danach, „was das mit uns eigentlich zu tun hat“.
Wirtschaft hat sich grundlegend geändert
Er begann neben dem Studium als Freiberufler im Bereich Kommunikation und Social Media für verschiedene Unternehmen zu arbeiten. Dabei erlebte Schreiber, wie Unternehmen gegründet wurden, die ganz neue Strukturen, Produkte und Themen hatten, als es bislang in der Wirtschaft der Fall war.
Sein Job nahm unterdessen immer mehr Raum ein. Nach dem Studienfach oder einem Abschluss haben ihn seine Auftraggeber aber nie gefragt.
Also absolvierte Martin Schreiber im Jahr 2007 noch eine hervorragende Zwischenprüfung, kehrte der Uni dann aber den Rücken. Er war fasziniert von den neuen Entwicklungen und der Digitalisierung und stieg 2012 beim Beratungsunternehmen Thesis solutions ein.
Dort betreute Schreiber als Produkt- und Projektmanager Kunden wie das Mineralölunternehmen Total oder die „Neue Zürcher Zeitung“ bei der Digitalisierung. Nach weiteren Etappen als Manager fürs operative Geschäft (Chief Operations Officer, COO) und Geschäftsführer bei Thesis solutions wechselte er zu realbest, einem Online-Immobilienvermittler.
Plattform soll alle Akteure vernetzen
Die 2013 gegründete Plattform für Wohnimmobilien digitalisiert den Verkaufsprozess und will alle beteiligten Akteure wie Verkäufer, Makler und Käufer miteinander vernetzen.
Die Dienstleistungen umfassen die erste Einschätzung des Werts einer Immobilie, die Unterstützung des Maklers beim Erstellen des Exposés und bei der Vermarktung sowie die Online-Reservierung durch den Interessenten.
Nach eigenen Angaben hat realbest schon jetzt mehr als 1000 Immobilien im Vertrieb und mehr als 7000 Verkäuferanfragen pro Monat. „Wir wollen in fünf Jahren die Plattform sein, zu der der private Verkäufer geht, wenn er ein Haus verkaufen will“, sagt Martin Schreiber.
Verschiedene Ansprüche vereinen
Seine Position als leitender Produktmanager sieht er als Vermittler und Übersetzer. „Ich muss verschiedenste Bereiche miteinander verbinden“, erklärt Schreiber.
Ansprüche stellen sowohl das Management, die Fachabteilungen, die Technik, die Nutzer als auch die privaten Verkäufer, zählt er auf. Seine Aufgabe sei, alle Ansprüche zusammenzubringen, „um das Produkt zu bauen, mit dem alle Beteiligten arbeiten können“.
Zum einen sei das ein hochgradig kommunikativer Prozess, sagt Schreiber. „Man spricht den ganzen Tag mit vielen Leuten, setzt sich zusammen, versucht, Sachen zu verstehen.“ Das sei die erste Aufgabe eines Produktmanagers überhaupt, erklärt der 34-Jährige. Ohne tiefgreifendes Verständnis kann man kein gutes Produkt entwickeln, findet er.
Für den Blick in die Zukunft verantwortlich
Zum anderen brauche es aber auch Ruhe, um das Projekt durchzudenken und sich eine gute Strategie zu überlegen. Hier kommt das „C“ in CPO ins Spiel. Als „Chief“ Product Officer ist Martin Schreiber auch für den Blick in die Zukunft verantwortlich, dafür, „dass das Produkt auch in fünf oder zehn Jahren noch funktioniert“.
Außerdem hat er die Personalverantwortung für seinen Bereich. Gerade ist er dabei, sein Team auszubauen, und sucht händeringend Mitarbeiter.
Keine Angst vor komplexen Themen
Angst vor komplexen Themen dürfe man nicht haben, sagt er über den Job als Produktmanager. Dazu gehört es auch, dass man bereit sein müsse, Fehler zu machen, erklärt Martin Schreiber. Nicht zuletzt gehört auch die Fähigkeit, Kritik annehmen und umsetzen zu können, zu seiner Stellenbeschreibung.
Erkennen, dass etwas nicht funktioniert, und noch einmal neu anfangen müssen: „Das wird passieren“, verspricht der 34-Jährige jedem, der sich für die Arbeit im Produktmanagement interessiert. „Man muss wissen, dass sich alles noch mal ändern kann, was man gebaut hat“, sagt er.
Und man müsse es dann auch aushalten können, unter Umständen für die Schublade gearbeitet zu haben.
Die wichtigen Themen standen nicht im Lehrplan
Das alles hat mit seinem ursprünglichen Interesse, der Philosophie, weit mehr zu tun, als man vermuten würde. Von der Philosophie zur Digitalisierung zu kommen, das sei für ihn der normalste Verlauf, den es gibt, sagt Schreiber.
Was bedeutet Digitalisierung für uns, für unser Leben und unsere Gesellschaft? Das hätten damals eigentlich die wichtigen Fragen an der Uni sein müssen, findet er. Er hat in der Digitalisierung gefunden, was er im Studium vermisst hat: „Eine Beschäftigung mit den aktuellen gesellschaftlichen Themen.“
Im Philosophie-Studium habe er auch gelernt, dass man komplexe Sachverhalte nicht auf Anhieb verstehen wird. Aber er hat auch erkannt, dass man davor keine Angst haben muss – „weil es total normal ist, Sachen nicht zu verstehen“. Man verstehe sie erst, wenn man sie auch macht.