Berlin. Kunstgeschichte war nichts für Anika Liedtke. Nach einem Semster sattelte sie um, studierte Textildesign und gründete ihre Firma.

Wenn es um alte Stoffe geht, gerät Anika Liedtke ins Schwärmen: die Qualität, die Haltbarkeit, der Retro-Charme . . . „Die Stoffe erzählen eine Geschichte“, sagt die Textildesignerin. Sie mag die Wertigkeit, die das Material ausstrahlt, aus dem sie Kissen, Taschen, Wandbilder, Stoffkörbe und andere Wohnaccessoires herstellt.

Grafische Muster und Metalleffekte sind die Spezialität der 32-Jährigen. Das habe den „Reiz des Gegenteiligen“, findet sie. Per Siebdruck veredelt sie so zum Beispiel alte Blumenstoffe. Upcycling heißt das und bedeutet übersetzt etwas Altes wiederverwerten und dabei verbessern. „Es entstehen Unikate, in die sich die Leute verlieben“, sagt die Designerin.

Im Jahr 2013 hat sich Anika Liedtke selbstständig gemacht. Erst hatte sie ein kleines Atelier im Kunstzentrum Tegel-Süd, vor zwei Jahren zog sie nach Moabit in die Oldenburger Straße. „50 Quadratmeter mit Keller“, sagt sie. Dort hat sie endlich ausreichend Platz, um ihre große Stoffsammlung zu lagern. Und sie hat ein Schaufenster: So wird auch Laufkundschaft auf ihre Werke aufmerksam.

Als Ausstellerin beim Weddingmarkt im Juni

Andere Vertriebskanäle sind zurzeit aber noch wichtiger für ihre Firma Ani Textildesign: Märkte und Messen sowie das Internet. „Ich habe einen Shop bei Dawanda“, erzählt die 32-Jährige. Allerdings fehle ihr oft die Zeit, ihn immer wieder mit allen neuen Artikeln zu befüllen.

Dafür lockt ihre Facebook-Seite viele virtuelle Besucher zu ihren realen Ständen auf Designermärkten und Wohnmessen. Als Nächstes ist sie am 11. Juni auf dem Weddingmarkt (Leopoldplatz) anzutreffen – als eine von etwa 70 Desi­gnern und Künstlern, die dort ihre Arbeiten präsentieren.

Facebook ist ein wichtiges Medium für sie geworden. „Ich poste dort auch viel Persönliches“, erzählt Liedtke. „Nicht nur das, was ich gerade arbeite.“ So haben ihre Kunden zum Beispiel auch von Sohn Lennard erfahren: Seit Ani­ka Liedtke vor wenigen Wochen aus der Elternzeit ins Atelier zurückgekehrt ist, begleitet sie ihr vier Monate altes Baby zur Arbeit.

„Das klappt gut“, sagt die 32-Jährige. Vor allem, weil der Vater problemlos einspringen kann: Ihr Mann arbeitet gleich nebenan im Familienbetrieb „Liedtke. Die Wohnmacher“. Während ihrer Ausbildung zur Raumausstatterin hatte sich Anika Schütz, wie sie damals noch hieß, in den Sohn des Hauses verliebt.

Lehre zur Raumausstatterin begonnen

Ihre Lehre begann die Berlinerin, nachdem sie ein Semester Kunstgeschichte an der Uni ausprobiert hatte. „Ich habe schnell gemerkt, dass das nichts für mich ist“, erzählt sie. „Ich muss was Praktisches machen.“ Also wurde die Tochter eines Sattlers und Polsterers Raumausstatterin.

„Während der Ausbildung habe ich meine Leidenschaft für alte Stoffe entwickelt und angefangen, Material zu sammeln“, erzählt sie. Es wäre sonst weggeworfen worden. „Ich bin jetzt nicht die Ökotante“, sagt die 32-Jährige lachend. Aber man sollte schon darauf achten, möglichst wenig Abfall zu produzieren, findet sie. „Bevor eine alte Jeans im Müll landet, überlege ich erst einmal, ob ich daraus nicht noch was machen kann.“ Und überhaupt: „Man braucht nicht von allem so viel“, sagt Anika Liedtke.

Kleine Hochschule mit guten Bedingungen

Zum Textildesign-Studium ging die Berlinerin anschließend an die Hochschule Zwickau. „Das wollte ich unbedingt im Anschluss an meine Ausbildung machen.“ Eine relativ kleine Hochschule, weniger Studenten in den Ateliers als an den großen Unis – Zwickau sei genau richtig gewesen, sagt Liedtke.

In vier Jahren absolvierte sie dort ihr Bachelorstudium Textilkunst/Textildesign an der Fakultät Angewandte Kunst Schneeberg. „Das war wie alle Volkshochschulkurse, die ich jemals machen wollte, auf einmal.“ Die Erinnerung an ihr Studium, das sie 2012 abgeschlossen hat, begeistert sie noch immer. Dort sei Siebdruck ihr zentrales Thema geworden. Auch ihre Abschlussarbeit „Alt ist neu“ basierte auf der Technik.

Videolehrgänge auf der Plattform makerist.de

In die Industrie zog es die Textildesignerin nie. „Es wird nicht so auf Qualität geachtet“, sagt sie. „Dort muss es vor allem schnell gehen, schließlich stellt die Industrie inzwischen acht Kollektionen im Jahr her.“ Das habe sie abgeschreckt.

Kein Problem: Ihre kleine Firma trägt sich, erzählt Anika Liedtke. Von Verkäufen und den Workshops, die sie gibt, kann sie gut leben. Ihre Lehrgänge finden in ihrem Atelier statt, man kann sich aber auch online von ihr anleiten lassen: In der Online-Handarbeitsschule makerist.de gibt sie per Videokurs Tipps zum Stoffedesignen.

Eine Zeit lang hat Anika Liedtke darüber nachgedacht, noch ein Masterstudium zu machen. „Aber jetzt ist das kein Thema mehr“, sagt sie. Sie will den Laden, der gerade so gut ins Laufen gekommen ist, nicht vernachlässigen und hat Spaß daran, ihr Wissen weiterzugeben. „Ab nächstem Jahr möchte ich noch mehr Workshops anbieten“, kündigt sie an. „Gern auch für Kinder.“ In der Nachbarschaft gebe es ein Kindercafé, eventuell entwickelt sich eine Zusammenarbeit.

Sich von einer Praktikantin oder einer Aushilfe unterstützen zu lassen, kann sich Anika Liedtke für die Zukunft vorstellen. Viele Angestellte zu haben dagegen nicht: „Ich sehe mich einfach nicht als Chefin, die nur noch entwirft und die praktische Arbeit delegiert.“