Berlin. Vor zehn Jahren startete Shaw Coleman sein Deutschland-Abenteuer. Seit zwei Monaten lebt der Tänzer und Heilssoldat nun in Berlin.
Vor zehn Jahren stand Shaw Coleman auf dem einsamen Bahnhof im Örtchen Altenbeken. Umstieg auf dem Weg nach Detmold. „Shaw, was machst Du eigentlich hier?“, habe er sich gefragt. „Du kannst kein Deutsch und hast fast kein Geld mehr.“ Shaw Coleman erinnert sich noch gut an seine Gedanken – und daran, dass er fast alles, was er besaß, in seinem Rucksack mit sich herumtrug.
Den Zweifel überwand er schnell. „Ich war 20 und das alles ein großes Abenteuer“, erzählt er. Zum ersten Mal weg aus seiner Heimat Australien, eine andere Kultur erleben. „Mein Hauptgedanke war, wie cool und wie spannend ist das alles.“
Darüber hinaus sei er überzeugt gewesen, dass Gott ihn in die richtige Richtung leiten würde, sagt Coleman. Der 30-Jährige ist Salutist. So nennen sich die Heilssoldaten der Heilsarmee. Schon seine Eltern waren Offiziere der Heilsarmee. Durch sie lernten er und seine vier älteren Brüder die evangelische Freikirche kennen.
Am National Theatre von Melbourne ausgebildet
Nicht zuletzt das Ergebnis seines Termins in Detmold ließ ihn das Zaudern vergessen. Shaw Coleman, an der Australian National Theatre Ballet School in Melbourne ausgebildeter Balletttänzer, bekam ein Engagement am Landestheater Detmold. Es ist das größte der vier Landestheater in Nordrhein-Westfalen mit fünf Spielstätten innerhalb der Stadt und pro Spielzeit fast 300 Gastspielen auswärts. „Das war genau das, was ich zu dem Zeitpunkt machen wollte“, erzählt Coleman. „Ballett in seiner klassischen Form.“
Nicht jedes Vortanzen, jede „Audition“, lief so gut. In Dresden habe er einmal mit 500 weiteren Männern für eine einzige Rolle vorgetanzt. „Es ist schwierig, das für alle würdevoll zu gestalten.“ Mit 50 Bewerbern gleichzeitig im Ballettsaal blieb wenig Raum, um etwas von seinem Können zu zeigen. „Es wurde ausgemistet, und letztendlich war ich nicht dabei“, erzählt er.
An anderen Theatern aber wollte man den Balletttänzer, der nach Europa gekommen war, weil Australien zu wenig Auftrittsmöglichkeiten bot. Weitere Engagements führten ihn nach Hagen, Singapur und Düsseldorf.
Hagen punktete mit Gisele und Katharina
Vor allem Hagen hat er in guter Erinnerung. Dort konnte er die Giselle tanzen. „Mein Lieblingsballett“, sagt der 30-Jährige. Was allerdings noch besser war: Dort lernte er seine heutige Frau Katharina kennen – keine Tänzerin, eine Betriebswirtin. Die beiden trafen sich in der Baptisten-Gemeinde. Mitglieder der Heilsarmee üben ihren Glauben auch in anderen Kirchen aus, wenn keine ihrer eigenen Gemeinden in der Nähe ist.
„Damals war mein Deutsch noch nicht so gut“, erinnert sich Coleman. Er habe neben Katharina in der Kirche gesessen und sich von ihr die Predigt erklären lassen. „Wir wurden Freunde, und dann haben wir uns verliebt“, sagt er.
Dass er inzwischen so gut Deutsch spricht, dass seine Muttersprache kaum noch durchscheint, hat er auch seiner Hartnäckigkeit zu verdanken. Viele Deutsche hätten sich lieber auf Englisch mit ihm unterhalten. „Ich glaube, die habe ich damals ziemlich genervt, wenn ich immer wieder ins Deutsche gewechselt bin“, erinnert sich Coleman. Aber inzwischen könne er sie verstehen: „Wenn ich mal einen Franzosen treffe, freue ich mich auch immer, meine paar Vokabeln bei ihm anbringen zu können.“
Berlin gibt ihm ein Gefühl von zu Hause sein
Seit zwei Monaten nun lebt Coleman mit seiner Frau und dem im Sommer geborenen Sohn in Berlin. „Ich habe schon ein bisschen das Gefühl, hier zu Hause zu sein.“ Diesmal war es kein Engagement, das den Tänzer in eine neue Stadt führte. Seine Hauptaufgabe ist der Aufbau einer künstlerisch geprägten Gemeinde der Heilsarmee. Tänzer ist er seit Neuestem nur noch „als Freelancer“, wie er erzählt, etwa für eine Handvoll Auftritte im Monat in Bonn beim Musical „Evita“.
Er habe schon länger über eine Veränderung nachgedacht, erzählt der 30-Jährige. 2014 war bei einer Audition sein Kreuzband gerissen. Die Auszeit bot ihm die Gelegenheit, „darüber nachzudenken, was ich der Welt außer Tanz anzubieten habe“. Er habe gebetet und Gott gefragt, was er mit ihm vorhabe.
Plötzlich in einem Gottesdienst habe er dann deutlich gespürt, dass er mit seiner Ausbildung, seinem Talent und seinen Erfahrungen eine neue Gemeinde aufbauen sollte. „Eine Gemeinde, die Glaube und Kunst verbindet“, erklärt Coleman.
Er recherchierte, schrieb Konzepte, schickte seine Pläne nach Köln an die Zentrale. „Ich glaube, zunächst haben sie mich nicht so ganz verstanden“, sagt Coleman. „Aber sie mochten die Idee und haben schließlich zugestimmt.“ Was er sehr fortschrittlich findet: „Das Konzept ist für die Heilsarmee in Deutschland völlig neu.“
Künstlerisches Angebot mit Musik und Projekten
An die zehn Mitstreiter hat er bereits gefunden, darunter Schauspieler und Musiker. Sie arbeiten mit ihm an Konzept und Umsetzung. Passende Räume hat die Gemeinde in Prenzlauer Berg schon bezogen. Anfang 2017 wird es losgehen: Tanz-Workshops, Improvisationstheater, Musik- und Videoprojekte sind nur einige der Programmpunkte, Gottesdienste natürlich auch.
„Glaube ist eine tief greifende Herzensangelegenheit“, sagt Shaw Coleman. Die Kunst sei das auch. „Darum finde ich, dass die beiden so gut zusammenpassen.“ Das Angebot sei offen für alle: Künstler, Gläubige, Nachbarn, Neugierige. „Ich bin sehr gespannt, wie das wächst.“
Das Projekt ist zunächst auf fünf Jahre angelegt. „Langfristiger wäre mir auch zu scary“, sagt Coleman lachend. Ob er nach dieser Zeit mehr Künstler oder Gemeindeleiter ist, werde sich zeigen. Heilssoldat will er immer bleiben.
Bühne frei für die erste öffentliche Veranstaltung
Die „Open Mic Night“ am Freitag, 9. Dezember ab 19.30 Uhr, ist die erste öffentliche Veranstaltung der neuen Gemeinde The Limelight Collective, Kastanienallee 71. Ob Lied, Lesung, Tanz oder Jonglage – jeder, der etwas vorführen möchte, darf auf die Bühne.