Artefacts Berlin baut digitale Modelle jahrhundertealter Kulturgüter. Kunden der Gründer, zwei Archäologen, sind Museen und Forscher.

In der Archäologie ist es mit den festen Jobs nicht so einfach. In Forschung und Lehre sind die Anstellungen oft befristet, viele gibt es ohnehin nicht. Sebastian Hageneuer und seine damalige Kommilitonin Sandra Grabowski suchten darum im Jahr 2008 nach einer Alternative. „Wir wollten uns selbst eine Beschäftigung schaffen“, erzählt der 35-Jährige.

Das ist gelungen: Was sie damals als studentischen Nebenjob begannen, haben sie vor vier Jahren zu ihrem Vollzeitjob gemacht. Gemeinsam sind die beiden Freiberufler Artefacts Berlin, eine Designagentur, deren Spezialität es ist, Visualisierungen und 3-D-Modelle von Altertümern zu erstellen.

Zu ihren abgeschlossenen Aufträgen gehört beispielsweise die „Große Halle“ in Karakorum, der altmongolischen Hauptstadt aus dem 13. Jahrhundert. Auch Uruk, eine der ersten urbanen Siedlungen der Welt (heute Irak), die etwa 3000 vor Christus errichtet wurde, haben sie digital wiederaufgebaut.

Die Architektur von Brunnen, historische Wandmalerei, Landschaften – Hageneuer und Gra­bowski, die sich vor ihrem Studium zur Grafikdesignerin ausbilden ließ, dokumentieren und rekonstruieren alles, was Forscher und Museen erhalten oder der Öffentlichkeit zeigen möchten.

Betrachter sollen erkennen können, was Vermutung ist

Als sie ihre Nische fanden, war die digitale Abbildung von historischen Stätten noch nicht sehr ausgereift, erzählt Sebastian Hageneuer. Sicher, auch in der Archäologie wurde mit Computergrafiken gearbeitet, „aber noch nicht mit dem Anspruch, wie wir ihn haben“.

Ganz wichtig ist ihnen, begründen zu können, warum sie etwas so und nicht anders darstellen. „Wenn etwas zerstört ist und wir es virtuell rekonstruieren, machen wir immer kenntlich, was echt ist und was wir hergeleitet haben.“ Der Betrachter soll erfahren, was daran Spekulation ist, sagt Sebastian Hageneuer.

Aber woher wissen sie, wie ein Gebäude ausgesehen haben könnte, von dem nur noch die Grundmauern stehen? „Man zieht Parallelen und greift auf Erfahrungswerte zurück“, erklärt der Gründer. „Jede Architektur folgt bestimmten Regeln.“ Daraus könnten sie folgern, wie viele Türen und Fenster wohl vorhanden waren, ob das Gebäude ein Flachdach gehabt habe und wie hoch es gewesen sein könnte.

Modelle werden immer weiter verfeinert

Auftraggeber von Artefacts sind Museen, Hochschulen und Forschungseinrichtungen. Die Zusammenarbeit ist eng: Mehrmals werden den Kunden Zwischenergebnisse vorgestellt, die Modelle im Anschluss immer weiter verfeinert. Die Visualisierungen von Artefacts werden in Ausstellungen präsentiert oder dienen der Wissenschaft.

Für französische Archäologen hätten sie beispielsweise eine Grabungsstätte in Syrien virtuell rekonstruiert, erzählt Hageneuer, – nachdem diese aufgrund des Bürgerkriegs nicht mehr dorthin zurückkehren konnten. Jetzt forscht das Team auf Basis seiner bisherigen Funde im virtuellen Raum weiter. Artefacts nächstes öffentliches Projekt: Ihre 3-D-Modelle werden Teil der Sonderausstellung „Ramses“ im Badischen Landesmuseum Karlsruhe sein, die am 17. Dezember eröffnet.

„Bislang hatten wir Glück“, sagt Sebastian Hageneuer. „Es läuft gut, ein Auftrag folgt dem anderen.“ Ob sie so bekannt in ihrer Szene sind? „Das weiß ich eigentlich gar nicht“, sagt Hageneuer. „Aber im Netz stößt man bei dem Thema recht schnell auf uns.“ In ihrem Spezialgebiet Vorderasien haben sie nicht viel Konkurrenz. „Dort wurde damals mit Lehm gebaut“, erklärt Hageneuer. „Das ist schwerer zu visualisieren als ein griechischer Tempel.“ Der sei aus Stein.

Forschungsprojekte haben immer zu wenig Geld

Dass sie im Laufe ihrer Selbstständigkeit auch Lehrgeld bezahlt haben, verschweigt Hageneuer nicht. Nachdem er und Grabowski ihren Abschluss an der Freien Universität absolviert hatten und sich in Vollzeit selbstständig machten, hoben sie auch ihre Honorare an. Für jeden Freiberufler ein schwieriger Schritt. In ihrer Branche kam hinzu: „Forschungsprojekte haben immer zu wenig Geld.“ Im klassischen Sinne reich werden Hageneuer und Grabowski mit ihrem Zwei-Personen-Unternehmen also nicht werden.

Sich zu vergrößern, Mitarbeiter zu beschäftigen steht darum auch nicht an. „Mit Angestellten müssten wir uns in einem ganz anderen Preissegment bewegen und hätten andere Auftraggeber“, sagt Hageneuer.

Doch schnell angefertigte, einfache und historisch unsaubere Visualisierungen, wie populärwissenschaftliche TV-Magazine sie etwa verwenden, sind nicht seine Sache. Das sehe teils sehr spektakulär aus, sei aber oft falsch, kritisiert Hageneuer. „Doch die Menschen glauben das.“ Das Thema treibt ihn um. Auch in seiner Doktorarbeit beschäftigt er sich damit, wie in archäologischen Modellen kenntlich gemacht werden kann, was man tatsächlich weiß und was Vermutung ist.

Eher zufällig in das Studienfach geraten

Zur Archäologie kam Sebastian Hageneuer auf einem eher ungewöhnlichen Weg. Nach Abbruch seines Maschinenbaustudiums ging er eine alphabetische Liste mit Studienfächern der FU durch. Gleich bei A wie Archäologie blieb er hängen. „Und es hat mich gepackt“, sagt er. „Wir haben tolle Profs und eine gute Studienumgebung.“

Es fasziniert ihn, zu rekons­truieren, wie Menschen gelebt haben. Als Ingenieur würde er jetzt wohl mehr verdienen, glaubt Hageneuer, der inzwischen Vater eines zweieinhalbjährigen Sohnes ist. „Aber mir war es wichtiger, etwas Spannendes zu machen.“

Nächster großer Schritt: „Ich gehe bald nach Köln“, erzählt Sebastian Hageneuer. Dort sei eine Professur für Archäoinformatik eingerichtet worden. „Ich kann meine Doktorarbeit weiterschreiben und unterrichten.“ Sein Wissen weiterzugeben, sei etwas Neues für ihn, sagt Sebastian Hageneuer. „Und auch das wird bestimmt spannend.“

www.artefacts-berlin.de