Berlin. Diese Berliner Firmen achten darauf, dass ihre Mitarbeiter vielfältige Lebensläufe haben. Bewerber wissen deren Offenheit zu schätzen.

Jedes Jahr zum Christopher Street Day (CSD), der Demonstration homo- und transsexueller Menschen, sind sie in ihren orangefarbenen Uniformen dabei: die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Berliner Stadtreinigung (BSR). „Wir sind traditionsgemäß der letzte Block des Umzugs“, sagt Martin Urban, Personalvorstand der BSR, mit einem Augenzwinkern. Die 130 Einsatzkräfte tanzen und feiern zwar nicht mit, machen aber die Straßen hinter der Demo wieder sauber.

„Trotzdem fühlen sie sich als Teil der Parade“, so Urban. Der CSD sei ein beliebter Termin bei den Beschäftigten. Jedes Jahr produziert die BSR dafür spezielle Shirts. Im vergangenen Jahr mit dem Motto „Wir sind ALLE sauberhaft“. Damit möchte das kommunale Unternehmen Flagge zeigen für Diversität und gegen Diskriminierung.

Die BSR setzt sich auf verschiedenen Ebenen für das Thema Gleichberechtigung ein. Bereits im Jahr 2009 hat sie beispielsweise die Charta der Vielfalt unterzeichnet, eine Arbeitgeberinitiative zur Förderung von Vielfalt in Unternehmen und in Institutionen (s. Interview).

Arbeitgeber ziehen aus dem Potenzial Nutzen

Die Idee dahinter: Durch ihre Unterschiede, etwa in Bezug auf Geschlecht, Alter, sexuelle Orientierung, kulturellen Hintergrund oder Behinderung, bringen die Mitarbeiter auch vielfältige Erfahrungen ein. Mithilfe von Diversity Management können Arbeitgeber diese Erfahrungs- und Wissenspotenziale nutzen.

Die BSR steht dabei gut dar. Der Frauenanteil in den ersten drei Führungsebenen liegt bei etwa 36 Prozent. „Eine Quote, die bei einem unternehmensweiten Männeranteil von rund 83 Prozent beachtlich ist“, sagt Martin Urban. Ziel sei, 40 Prozent zu erreichen. Möglich macht das jahrelange und planmäßige Förderung, zum Beispiel ein Mentoringprogramm, das die BSR speziell für Frauen anbietet.

Mit Tanja Wielgoß gibt es eine Vorstandsvorsitzende, auch die IT-Abteilung wird von einer Frau geleitet, ebenso das Immobilienmanagement. „Die angestrebten 40 Prozent gehen bis in den operativen Bereich hinein, in dem ebenfalls viele Schlüsselpositionen mit Frauen besetzt sind“, sagt Urban.

Seit 2010 stellt die Berliner Straßenreinigung beim operativen Personal 50 Prozent Frauen ein. „Diversity Management ist bei uns selbstverständlich“, sagt Martin Urban. Die BSR sei mit ihren rund 5300 Beschäftigten ein Spiegel der Gesellschaft.

Zu den Diversity-Maßnahmen des Unternehmens gehören beispielsweise familienfreundliche Arbeitszeiten und Beratungsangebote für Mitarbeiter, die Angehörige pflegen wollen. „Wenn die Mitarbeiter wissen, wo sie Pflege in Anspruch nehmen können oder wo sie Unterstützung finden und dadurch ihre Lebenssituation in den Griff bekommen, haben sie den Kopf wieder frei und können erfolgreicher und motivierter bei der Arbeit sein“, erklärt der Personalvorstand. Von dieser Regelung profitierten Unternehmen und Mitarbeiter gleichermaßen.

Auch die Messe Berlin setzt auf Vielfalt in der Belegschaft

Auch ein anderer großer Arbeitgeber, die Messe Berlin, setzt auf Unterschiede in der Belegschaft. 2015 hat das Unternehmen die Charta der Vielfalt unterschrieben und ist wie die BSR im Bündnis gegen Homophobie aktiv. Die Messe, die rund 800 Mitarbeiter beschäftigt, ist allein schon aufgrund ihrer internationalen Ausrichtung, etwa bei der Organisation von Veranstaltungen wie der ITB mit 10.000 Ausstellern aus 180 Ländern, darauf angewiesen, mit Menschen zu arbeiten, die Verständnis für unterschiedliche kulturelle Hintergründe mitbringen. So können Kunden und Kooperationspartner zielgruppenspezifisch angesprochen werden.

„Wir haben für unser Diversity Management bestimmte, für die Messe Berlin besonders relevante Kategorien definiert“, sagt Julia Borggräfe, seit 2013 Personalleiterin. Das sind neben Internationalität auch das Geschlecht, Behinderung, Alter und sexuelle Orientierung.

Die 41-Jährige lebt selbst in einer eingetragenen Lebenspartnerschaft mit zwei Kindern. „Wir wollen hier im Unternehmen diskriminierungsfreien Umgang leben, jeder sollte bei uns so sein können, wie er oder sie ist, und sich nicht verstellen müssen.“

Personalsuche auf der Messe „Sticks & Stones“

Das Unternehmen nimmt regelmäßig an der Karrieremesse „Sticks & Stones“ teil, die sich an homo- und heterosexuelle Studierende richtet (nächster Termin am 3./4. Juni im Postbahnhof). Es hat beim schwul-lesbischen Straßenfest einen Stand und hisst jährlich zum CSD die Regenbogenflagge.

„Zudem achten wir auf ein ausgewogenes Verhältnis bei Frauen und Männern in Führungspositionen“, sagt Julia Borggräfe. „Die Messe Berlin ist ein Unternehmen mit vielen weiblichen Beschäftigten.“ Das spiegele sich bereits mit 50 Prozent Frauenanteil in der dritten und vierten Führungsebene wider. Gemeinsam mit der Antidiskriminierungsstelle des Bundes wurde ein Entgeltgleichheitscheck durchgeführt, um zu prüfen, ob alle Mitarbeiter in ihrem Job fair vergütet werden. „Wir sind noch nicht ganz durch, aber auf einem guten Weg, ein diskriminierungsfreies Bewertungsverfahren einzuführen“, sagt Julia Borggräfe.

Zudem gibt es bei der Messe Eltern-Kind-Zimmer und mobiles Arbeiten, um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu gewährleisten. „Beim Thema Inklusion sind wir noch dabei, gemeinsam mit den Mitarbeitern, die eine Behinderung haben, Ideen für einen barrierefreien Arbeitsplatz zu entwickeln“, sagt die Personalchefin. „Hier können wir noch besser werden.“

Ausgezeichnet mit dem Inklusionspreis

Für besonderes Engagement im Bereich Ausbildung und Beschäftigung von Menschen mit Behinderung ist das Reinigungsunternehmen von Aynur Boldaz-Özdemir, „Forever Clean“, im Jahr 2014 mit dem Inklusionspreis ausgezeichnet worden. Er wird vom Verein UnternehmensForum, der Bundesvereinigung der Deutschen Ar­beitgeberverbände, der Bundesagentur für Arbeit und der Charta der Vielfalt verliehen.

Von den 400 Menschen, die Aynur Boldaz-Özdemir in Deutschland und Niederlassungen in der Türkei und Österreich im Bereich Gebäudereinigung und Verwaltung beschäftigt, haben 48 Prozent eine Schwerbehinderung – körperlich, geistig oder psychisch.

„Ich wollte Leuten eine Chance geben, die auf dem Markt keine Chancen haben“, sagt die 47-Jährige, die im Alter von 18 Jahren aus der Türkei nach Deutschland kam und weiß, wie es ist, sich als türkische Frau ohne Ausbildung auf dem hiesigen Arbeitsmarkt behaupten zu müssen. Auch sie hat die Charta der Vielfalt unterschrieben, beschäftigt Menschen mit und ohne Migrationshintergrund, mit und ohne Behinderung und bezahlt alle gleich.

Diversity braucht Geduld und Schulungen

Zu ihren Kunden gehören Privathaushalte ebenso wie Unternehmen. Eine ihrer Mitarbeiterinnen ist Teksin Kaya. Die 40-Jährige ist Service-Managerin und Objektleiterin. Sie kontrolliert, ob die Teams sauber putzen, hilft bei der Einarbeitung des Reinigungspersonals und hält den Kontakt zu den Kunden. Sie schätzt die Zusammenarbeit mit den Kollegen, die ein Handicap haben. „Sie arbeiten gut“, sagt sie. Man brauche nur bei der Schulung mehr Geduld. Bestimmte Arbeitsabläufe müsse sie immer wieder zeigen, bis die Handgriffe sitzen.

„Letztendlich finden wir für jeden den richtigen Arbeitsplatz“, sagt Geschäftsführerin Aynur Boldaz-Özdemir. „Die gegenseitige Toleranz zu fördern ist jedoch sehr arbeitsintensiv.“ Dahinter stecken viele Mitarbeitergespräche und Schulungen. Ein eigens angestellter Psychologe kümmert sich um die besonderen Belange der Mitarbeiter.

Doch der Erfolg gibt der Unternehmerin recht. „Viele bewerben sich explizit bei uns, weil wir Vielfalt leben“, sagt sie. Die Fluktuation sei sehr gering, die Kunde seien zufrieden. „Wir sind ein normaler Dienstleister“, sagt sie. Mit Arbeitnehmern, die aus einer vielfältigen Gesellschaft kommen.

Zahlen zur Charta der Vielfalt

301 Unternehmen in Berlin haben die Charta der Vielfalt unterschrieben und sprechen sich damit für Chancengleichheit und gegen Diskriminierung aus. Darunter sind auch 37 Großunternehmen mit je mehr als 1000 Beschäftigten. In Brandenburg gehören 55 Arbeitgeber zu den Unterzeichnern.