Italiens Kreditwürdigkeit wird herabgestuft, und kaum einen interessiert es. Eigentlich war nach der Aktion der Ratingagentur S&P zu erwarten, dass die europäischen Aktienmärkte panisch reagieren, so wie auch die asiatischen Börsen am frühen Morgen schon Kursverluste erlitten hatten. Doch nichts dergleichen passierte. Im Gegenteil: Der Dax legte um 2,9 Prozent zu und schloss bei 5572 Punkten.
Dafür gibt es Gründe. Denn Deutschlands Börsenkurse wurden seit Anfang August so tief in den Keller geprügelt, dass dies inzwischen immer mehr Investoren für übertrieben halten. Sie machen eine einfache Rechnung auf: Welche Alternativen gibt es und wie attraktiv sind deutsche Aktien im Vergleich dazu? Ihre Antwort lautet offenbar: Deutsche Aktien sind derzeit so interessant, dass man dabei über einige negative Nachrichten hinwegsehen kann.
Und damit liegen sie gar nicht falsch, wie eine aktuelle Studie der Société Générale zeigt. Sie ging der Frage nach, wie attraktiv Aktien derzeit im Vergleich zu Anleihen sind. Denn nach wie vor schichten die meisten Investoren zwischen diesen beiden Alternativen hin und her. Aktien sind dabei die riskantere Anlage, dafür bieten sie aber höhere Chancen. Je höher die Chancen sind und je geringer gleichzeitig der Ertrag, der mit Anleihen zu erzielen ist, desto attraktiver sind Aktien.
Aktien übertreffen Anleihen
Das Ergebnis dieser Studie: Deutsche Aktien sind im Vergleich zu deutschen Anleihen noch nie attraktiver gewesen. Ausgedrückt wird dies in der so genannten Risikoprämie, also dem Renditeaufschlag, den Aktien gegenüber Anleihen bieten. Historisch lag sie in Deutschland im Durchschnitt bei 2,4 Prozent. Aktuell jedoch erreicht sie einen Wert von 5,6 Prozent und damit 3,2 Prozentpunkte über dem Mittelwert. Das ist Rekord.
Aber auch im internationalen Vergleich gehört der deutsche Aktienmarkt damit zu den attraktivsten Anlagezielen. Nur einige Schwellenländer erreichen noch bessere Werte, beispielsweise Argentinien, die Türkei oder Indonesien. Japan ist das einzige Industrieland, in dem sich die Risikoprämie für Aktien im historischen Vergleich auf einem ähnlich hohen Niveau bewegt wie in Deutschland. Mehr noch: In Japan wurde ebenfalls der höchste Wert aller Zeiten erreicht. Auch japanische Aktien waren also im Vergleich zu japanischen Anleihen nie attraktiver.
Beiden Ländern ist gemein, dass sie zuletzt über Gebühr abgestraft wurden. In Japan führte das Erdbeben mit den folgenden Verwüstungen durch Tsunami und Reaktorkatastrophe zur Flucht der Investoren. Im Falle Deutschlands zogen Anleger ihr Geld ab, weil sie die Exportnation im Falle einer Rezession für besonders anfällig halten. In beiden Fällen waren die Reaktionen wohl übertrieben, wie die Zahlen zeigen.
Allerdings: Diesen Berechnungen liegen diverse Annahmen zugrunde, etwa bestimmte Erwartungen zu den Dividenden, die die Unternehmen eines Marktes in Zukunft zahlen. Verändern sich diese, indem sie beispielsweise drastisch gekürzt werden, ergeben sich auch andere Risikoprämien, Aktien sind dann deutlich weniger attraktiv. Das gleiche gilt, wenn die Anleihenrenditen deutlich steigen. Auch dann nimmt die relative Attraktivität von Aktien ab. Insofern sind solche Betrachtungen immer eine Momentaufnahme und sollten nicht zu hoch gehängt werden.
Was jedoch bleibt, unabhängig davon, wie sich die Grundannahmen verändern, ist die relative Attraktivität einzelner Märkte gegenüber anderen. Denn es ist beispielsweise kaum anzunehmen, dass nur deutsche Firmen die Dividenden kürzen, amerikanische oder britische dagegen nicht.
Ebenso dürften auch die Anleihenrenditen nicht nur in Deutschland steigen, sondern dann auch in den USA und Großbritannien. Deutsche Aktien bleiben daher in jedem Fall interessanter als beispielsweise amerikanische oder britische, und erst recht gilt dies im Vergleich mit Märkten wie Südkorea, Indien oder Südafrika.
Heißt das nun, dass der deutsche Aktienmarkt vor einer Herbstrallye steht? Möglich, aber eher unwahrscheinlich. „Die derzeitigen Kurse deutscher Aktien sind völlig untertrieben“, sagt zwar auch Holger Schmieding, Chefvolkswirt der Berenberg Bank: „Dennoch kann es noch eine Durststrecke bis Ende des Jahres geben.“
Denn auch wenn derzeit etwas Entspannung angesagt ist, wie die Reaktion auf Italiens Herabstufung zeigte. So dürfte die Debatte um den Euro und die Schuldenkrise nach Schmiedings Meinung in den kommenden Wochen noch diverse Schockwellen durchs Land jagen . Dann flüchten Anleger aus Aktien, egal, wie hoch die Risikoprämie ist. Dadurch werden die Dividendenpapiere dann aber für jene Anleger, die die Nerven bewahren, nur umso attraktiver.
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Frank Stocker schreibt schwerpunktmäßig zu den Themen: Geldanlage, China und Schwellenländer.