Europa wird abgewickelt. Der Eindruck zumindest stellt sich mit einem Blick auf die Kurstafel ein. Die neue Woche brachte den Börsen des Kontinents erneut herbe Verluste. Der Deutsche Aktienindex (Dax) sackte um bis zu 3,8 Prozent auf unter 5400 Punkte ab. Das deutsche Börsenbarometer hat seit Jahresanfang 21 Prozent an Wert verloren.
Andere Märkte der Alten Welt sind noch stärker abgesackt , Mailand um 29 Prozent, Wien um 30 Prozent, Athen gar um 46 Prozent. Auch der Euro gab nach. Am frühen Abend stand er bei knapp über 1,36 Dollar circa 1,2 Prozent niedriger als am Freitag.
Nicht überall auf der Welt sieht die Entwicklung so trübe aus. Vor allem in Asien gibt es einige Märkte, die – wenn sie nicht sogar im Plus notieren – deutlich weniger verloren haben. Ganz oben rangieren die Philippinen, Indonesien, Thailand, Malaysia und auch Südkorea. Zwar leiden auch diese Ökonomien darunter, dass sich die Weltkonjunktur überraschend schnell abkühlt. Doch die extremen Probleme Europas mit seiner erdrückenden Schuldenlast, seinem ewigem Polit-Hickhack und seiner instabilen Währungsunion kennen sie nicht.
Investoren beobachten eine Wohlstands- und Machtverschiebung von Europa nach Asien. In vielen Teilen des Fernen Ostens ist Mehrung statt Misere angesagt: „Die dortigen Gesellschaften erfreuen sich steigender Gehälter und eines anhaltenden Konjunkturoptimismus“, sagt Mark Monson, Asien-Experte bei Raiffeisen Capital Management in Wien. Nicht mal Exportrückgänge aufgrund der global schrumpfenden Nachfrage bremsen die dortigen Volkswirtschaften aus: „Der stetig wachsende Binnenkonsum konnte die Rückgänge kompensieren“, sagt Monson. Wachstumsraten von fünf Prozent sind nicht selten.
So erklärt es sich, dass die Börsen in Thailand, Indonesien oder den Philippinen trotz des schwierigen Umfelds auf Zwölfmonatssicht um bis zu sieben Prozent im Plus notieren. Europas Aktien hingegen haben, gemessen am länderübergreifenden Börsenbarometer EuroStoxx-50, in diesem Zeitraum 24 Prozent an Wert verloren.
Beim Dax beträgt das Minus 13 Prozent. Durch die Baisse (wie ein lang anhaltender Abschwung an der Börse heißt) haben allein die Deutschen seit Juli rechnerisch einen Vermögensverlust von rund 370 Milliarden Euro erlitten. Den gesamten weltwirtschaftlichen Schaden beziffert die Allianz auf drei Billionen Euro. Kaum ein Börsenexperte wagt vorherzusagen, wann das Elend der Alten Welt zu Ende geht.
Euro-Zone wird zum Krisenherd
Die Euro-Zone ist zu einem permanenten Krisenherd geworden: „Wird die jetzige Politik fortgeführt, droht Europa die ökonomische und politische Desintegration“, warnt Folker Hellmeyer, Chefvolkswirt bei der Bremer Landesbank und spielt damit auf die Uneinigkeit der Entscheider an, wie sie die Krise bekämpfen sollen. Im Zentrum der Diskussion steht Griechenland, das mit rund 350 Milliarden Euro Schulden am Rande der Zahlungsunfähigkeit taumelt. Die eigentliche Gefahr jedoch ist ein möglicher Domino-Effekt, der ähnlich schlimme, wenn nicht sogar schlimmere Folgen für die Konjunktur haben könnte als die Lehman-Pleite vor drei Jahren.
Europa büßt an den Kapitalmärkten immer mehr Vertrauen ein. Auch die großen Volkswirtschaften Spanien und Italien drohen ins Wanken zu geraten. Am Montag mussten sie 5,3 und 5,6 Prozent Zinsen für ihre 10-jährigen Staatsanleihen zahlen. Lediglich die kursstützenden Maßnahmen der Europäischen Zentralbank (EZB) verhindern nach Einschätzung von Marktkennern, dass die Renditen noch weiter nach oben schießen und die Staatsfinanzen in ein Abwärtsspirale reißen. Vor allem bei Italien sehen Beobachter diese Gefahr.
Italien, mit 60 Millionen Einwohnern die drittgrößte Ökonomie der Euro-Zone, ist mit mehr als 120 Prozent seiner Wirtschaftsleistung verschuldet. Außerdem hat Rom wenig echte Fortschritte bei der Konsolidierung seiner Finanzen vorzuweisen. Hinzu kommt, dass die verkrustete italienische Volkswirtschaft wenig Wachstum erhoffen lässt.
EZB kauft Anleihen auf
Allein vergangene Woche hat die EZB Anleihen für knapp zehn Milliarden Euro gekauft. Insgesamt umfasst ihr Portfolio an Problempapieren jetzt mehr als 152 Milliarden Euro. Vor allem in Deutschland stößt das Vorgehen der Institution auf Kritik. Es widerspricht nicht nur der alten Maxime der Bundesbank, dass „Währungshüter“ sich nicht zum Helfer der Regierenden machen dürfe.
Den Nationalstaaten und damit den Bürgern erwachsen daraus auch beträchtliche finanzielle Risiken. Sollte die Schuldenkrise trotz aller Eindämmungsbemühungen eskalieren, wird die EZB hohe Milliardenabschreibungen vornehmen müssen, wofür am Ende die Bürger der Euro-Länder, allen voran die Deutschen aufzukommen haben. Viele Notenbanker versuchen den Ball daher zurück an die nationalen Regierungen zu spielen. Doch die tun sich schwer, europäische Behörden zu etablieren.
Bezeichnend war die Ratlosigkeit des EcoFin-Treffens vergangene Woche in Breslau, an dem auch US-Finanzminister Timothy Geithner teilnahm. Das Ergebnis einer Telefonkonferenz zwischen der griechischen Regierung und der Troika aus Europäischer Union, Internationalem Währungsfonds und EZB stand bei Redaktionsschluss noch aus.
Längst strahlt die Euro-Schuldenkrise auf die ganze Weltwirtschaft aus. Aus Sorgen um ihr Geld haben die Amerikaner 2011 schon mehr Geld aus dem Aktienmarkt abgezogen als 2008/2009 nach der Lehman-Pleite, nämlich 75 Milliarden Dollar.
Der US-Aktienindex Dow Jones notiert jedoch nur rund drei Prozent im Minus und setzt sich damit – trotz 100 Prozent Staatsverschuldung in den USA – positiv von „les Misérables“ in Europa ab. Die wahren Aufsteiger-Nationen jedoch finden Anleger in Asien. Dort ist die Bevölkerung jung und die Verschuldung niedrig. Von der Gefahr einer Abwicklung kann keine Rede sein.
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Daniel Eckert twittert vor allem zur Entwicklung von Euro, Dollar, Gold und Yuan.