Risikomanagement

Anleger müssen mit Börsenschwankungen leben

| Lesedauer: 8 Minuten
D. Eckert und H. Zschäpitz

Foto: picture alliance / Newscom

Die Schwankungen an der Börse erfordern ein verändertes Risikomanagement. Nobelpreisträger verraten, wie Verluste verringert werden können.

Diese Märkte werden selbst für die härtesten Investoren zur Herausforderung. Jetzt nehmen sich die klügsten Köpfe vor, der neuen Gegebenheiten an den Börsen Herr zu werden. Ökonomie-Nobelpreisträger arbeiten an innovativen Modellen, wie Anleger ihr Vermögen in der „Neuen Normalität“ (New Normal, wie es im Englischen heißt) schützen und mehren.

Im beschaulichen Iseo nordöstlich von Mailand haben drei ausgezeichnete Ökonomen ihre Ideen für das Vermögensmanagement der Zukunft vorgestellt. Auf dem Europäischen Anlegerkongress European Colloquia Series der Fondsgesellschaft Pioneer Investments zeigten sie Wege auf, wie Sparer ihre Depots vor den extremen Schwankungen an den Kapitalmärkten abschirmen und trotzdem noch Ertrag erzielen – sogar nach Abzug der Inflation. Der Ort des Treffens ist symbolträchtig, schließlich ist Italien schon ein Unsicherheitsherd inmitten der Währungskrise.

Die Experten liefern drei Ansätze: Anleger können versuchen, durch perfektes Timing – also den Kauf und Verkauf von Wertpapieren zum richtigen Zeitpunkt – Verluste zu vermeiden und Gewinne zu generieren.

Selbst Profis verzweifeln

Doch meistens glückt das nicht mal den Profis besonders gut. Variante zwei ist die Absicherung des Depots mit Optionen und Futures. Bei privaten Anlegern nimmt das die Form von Garantieprodukten an. Diese Investment-Vehikel sind jedoch teuer, gerade dann, wenn es an den Märkten hoch hergeht. Die dritte Möglichkeit ist die geschickte Depot-Zusammensetzung, und das ist auch der Weg, den die Lorbeerträger einzuschlagen raten.

Die Zauberformel der klugen Köpfe für die Geldanlage heißt Risikomanagement. Robert Engle, Sir James Mirrlees, Christopher Pissarides sind Star-Ökonomen und in vorderster Reihe dabei, die Konzepte für die Asset-Allocation auf eine neue Grundlage zu stellen. Der englische Begriff „Asset Allocation“ bezeichnet die Aufteilung des Vermögens auf verschiedene Anlageklassen.

Jeder Sparer hat, ob bewusst oder nicht, mit Asset Allocation zu tun. Selbst wer sein ganzes Geld aufs Sparbuch legt, trifft eine Anlageentscheidung, wenngleich eine sehr einseitige: Bei ihm beträgt die Niedrig-Zins- und Hoch-Sicherheits-Komponente 100 Prozent.

Wer hingegen alles in eine einzige Aktie wie Daimler steckt, trifft ebenfalls eine sehr einseitige Anlageentscheidung. Die Chance auf einen möglicherweise hohen Ertrag bezahlt er mit extremen Schwankungen seines Depotwerts, was zum Problem wird, wenn er die Titel im Kurstal verkauft.

Dem studierten Physiker und Star-Ökonom Engle ist das Thema so wichtig, dass er in New York kürzlich einen eigenen Lehrstuhl eingerichtet hat. Das Institut widmet sich dem Phänomen der Volatilität. Sie hat nicht nur in der akademischen Diskussion eine ganz neue Relevanz erhalten. Von der Telekom-Aktie über die ursprünglich eher als lahm bekannte Bundesanleihe bis hin zu Öl und Gold haben die Schwankungen an den Börsen in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen.

Wir leben im Zeitalter der Volatilität

In welch unruhigen Zeiten Anleger agieren müssen, offenbart ein Blick auf das „Dax-EKG“, das die Tagesschwankungen die Deutschen Aktienindex (Dax) abbildet. Ende der 90er-Jahre kam es zu einem Bruch: Seither sind die Ausschläge größer. Zuletzt haben sie sogar noch mal zugenommen. Doch nicht nur beim Dax wird die Amplitude immer stärker, auch bei anderen Anlageklassen. Es ist das Zeitalter der Volatilität, wie die Schwankungen an den Aktienmärkten genannt werden.

Die Volatilität bestimmt die Renditechancen des Altersvorsorgesparers ebenso wie die des Hedgefonds-Managers mit seinem Milliarden-Portfolio. Die Gefahr, mit seiner Anlage-Entscheidung falsch zu liegen, steigt mit der Volatilität dramatisch an.

Das kann so weit gehen, dass die Frage, ob man morgen oder nachmittags an der Börse ordert, über Gewinn oder Verlust entscheidet. So war es Anfang August: Zwischen dem Tageshoch und dem Tagestief betrug die Differenz beim Dax nicht weniger als zehn Prozent. Statistisch gesehen ist das die Wertentwicklung eines ganzen Jahres. Bei fallenden Kursen ist die „Vola“, wie sie im Jargon heißt, höher als bei steigenden. Minuszeichen erzeugen Angst, und die fließt am Ende in das Schwankungsmaß mit ein.

„Wenn die Volatilität hochgeht, nimmt auch die Angst zu“, sagt Engle, „Angst aber führt zu Verwerfungen: Anlageklassen, deren Kurse sonst nur wenig Gleichlauf aufweisen, entwickeln sich dann plötzlich in die gleiche Richtung.“ Als Konsequenz daraus machen sich die Profis auf die Suche nach Vermögenswerten, die nicht mal in Zeiten des höchsten Stresses „korrelieren“, wie es im Fachjargon heißt.

Auch die Wissenschaft versteht das Wechselspiel nicht

„Fundamentaldaten wie die Gewinnerwartungen von Unternehmen verlieren an Bedeutung“, sagt Engle. Obenauf sei der, der die Volatilität richtig vorherzusagen verstehe. Der Nobelpreisträger selber hat dafür ein Modell entwickelt, das wie ein Seismograf funktioniert, das Börsenbeben vorhersagen kann. Der Vorteil eines solchen Modells ist, dass es Anleger unabhängig von konkreten Ereignissen vor nahenden Rendite-vernichtenden Eruptionen warnt.

Immer noch ist das Wechselspiel von Finanzsektor und Kapitalmärkten nur unzureichend verstanden – die Wissenschaft eingeschlossen: „Alles in allem werden die Risiken als zu gering eingeschätzt“, stellt Engle fest. „Finanzmärkte belohnen einseitig Menschen, die Risiken ignorieren.“

Ein weiterer Brandherd: „Die Banken haben die falschen Risiko-Modelle.“ Risiken, die mit einer geringen Wahrscheinlichkeit kommen, aber desaströse Folgen haben, wenn sie denn wider Erwarten eintreten, finden sich nicht ausreichend in den Modellen wieder. Kenner der Materie nennen ein solches Ereignis einen „Schwarzen Schwan“, nach dem Buch des Philosophen Nassim Taleb. „Ein Pleiterisiko von einem Prozent wird nicht erfasst, erst ab fünf Prozent Wahrscheinlichkeit wird das mögliche Pleiterisiko eingepreist.“

Ein Grund dafür sind die Umbrüche im Staatensystem: „Die politischen Risiken sind beträchtlich“, sagt James Mirrlees: Es stelle sich zum Beispiel die Frage, ob die Eurozone zusammengehalten werden könne, ob Länder pleitegehen oder Banken fallen gelassen werden: „Die Entscheidungen der Regierungen haben heute eine größere Tragweite.“

Nobelpreisträger Pissarides hebt auf die Wirkung ab, die das auf die Psyche der Investoren hat: „In den Köpfen aller Anleger schwirren die Makrorisiken herum: weltwirtschaftliche Ungleichgewichte, hohe Arbeitslosigkeit und der Zwist zwischen Politik und Notenbanken.“ Das alles werde zum permanenten Unsicherheitsfaktor.

„Risikomanagement ist heute viel schwieriger als früher“, sagt Giordano Lombardo. Er muss es wissen, ist er doch oberster Risikomanager bei der Fondsgesellschaft Pioneer Investments und als solcher für das Wohlergehen von 80 Milliarden Euro Kundengeldern mitverantwortlich.

Nach der Rating-Herabstufung der USA gibt es keine risikolose Anlageklasse mehr. Das Bankensystem ist heute ein Transmissionsriemen für Krisen. Könne die Politik dieses Struktur-Problem nicht lösen, werde allein dieser Umstand weiter Unruhe an den Märkten provozieren. „Das größte Risiko ist, dass wir ein Risiko nicht sehen.“ In einem Punkt sind sich die Lorbeerbekränzten einig: Die Herausforderungen werden nicht weniger werden.

Verbinden Sie sich mit unseren Morgenpost Online-Autoren auf Twitter.

Daniel Eckert twittert vor allem zur Entwicklung von Euro, Dollar, Gold und Yuan.

Holger Zschäpitz hat vor allem die weltweite Verschuldung der Staaten im Blick .