Berlin. Berlins Industrie behauptet sich, spürt aber auch die rasant ansteigenden Preise. Das geht aus neuen Zahlen des Amts für Statistik hervor, die am Donnerstag veröffentlicht wurden. Demnach stiegen die Umsätze der 319 Berliner Industriebetriebe mit 50 und mehr tätigen Personen im ersten Halbjahr um 42,7 Prozent auf 18,6 Milliarden Euro.
Besonders steil ging es den Zahlen zufolge im Inland nach oben. In der Bundesrepublik getätigte Umsätze durch die Hauptstadtindustrie wuchsen um 89,5 Prozent auf 9,9 Milliarden Euro, im Ausland legte das Geschäft um 11,3 Prozent auf 8,6 Milliarden Euro zu.
Durchwachsener Vorjahreszeitraum und Inflation Gründe für Umsatzanstieg in Industrie
Experten erklären die Entwicklung einerseits mit einem durchwachsenen Vorjahreszeitraum auch wegen des pandemiebedingten Lockdowns in den ersten Monaten des vergangenen Jahres. Andererseits sehen Fachleute auch in den in der Eurozone rasant steigenden Preisen einen Grund für den Umsatz-Höhenflug der Industrie.
Die Unternehmensverbände Berlin-Brandenburg (UVB) äußerten sich auf Morgenpost-Anfrage am Donnerstag skeptisch hinsichtlich einer weiteren positiven Entwicklung im verarbeitenden Gewerbe. „Die Berliner Industrie steckt in turbulentem Fahrwasser“, hieß es. Der Krieg Russlands in der Ukraine, die rasant steigenden Energiepreise, der Fachkräftemangel und die anhaltenden Lieferprobleme machten den Betrieben zu schaffen. Zwar seien noch eine Reihe Aufträge abzuarbeiten, doch angesichts des Materialmangels laufe vielerorts die Produktion nicht rund, so der UVB.
UVB: Befürchteter Gas-Mangel führt zu weniger Investitionen
Laut Statistikamt nahm das Auftragsvolumen in den großen Berliner Industrieunternehmen im ersten Halbjahr um 1,3 Prozent ab, bei einem Auftragsplus im Inland von 2,7 Prozent und einem Minus im Ausland von 3,6 Prozent. Die Anzahl der in den Betrieben beschäftigten Arbeitskräfte stieg um 2,0 Prozent auf 71.329. Generell erhöhe die aktuelle Lage aber die Unsicherheit in den Firmen. So hätte etwa ein befürchteter Gas-Mangel in den kommenden Monaten katastrophale Auswirkungen auf die produzierende Industrie und würde die Wahrscheinlichkeit einer Rezession erhöhen, hieß es von den Unternehmensverbänden. Das drücke auch auf die Investitionsneigung.
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Im Juni dieses Jahres war mit Blick auf einzelne Industrieteile bereits eine gewisse Eintrübung des Geschäfts zu erkennen: Berlins umsatzstärkster Industriezweig, die Hersteller pharmazeutischer Erzeugnisse, meldete ein um 11,5 Prozent geringeres Auftragsvolumen. Hersteller elektrischer Ausrüstungen verbuchten sogar um 24,8 Prozent gesunkene Auftragseingänge.
Viele Industriebetriebe hätten kurzfristig „keine Alternative zum Gas“
Auch wenn die Bundesregierung am Donnerstag einen Mehrwertsteuerrabatt auf die geplante Gasumlage verkündete, erschwere dieses Instrument die Lage der Industrie in der Stadt weiter, so der UVB. Viele Betriebe würden sich längst um mehr Effizienz und um Einsparungen bemühen. Die zusätzlichen Kosten dürften für viele Unternehmen jedoch eine existenzielle Bedrohung sein. Für eine genaue Prognose der Belastungen fehle laut UVB aber die Datengrundlage. Bundesweit war das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) von Zusatzbelastungen in Höhe von 5,7 Milliarden Euro für die Industrie ausgegangen.
In Berlin dürfte die Gasumlage die Industrie in ihrer ganzen Breite treffen. Vor allem die Metall- und Elektroindustrie, die Chemiebranche und die Ernährungsindustrie könnten Probleme bekommen. „Weil hier besonders viel Gas benötigt wird, auch als Rohstoff, wird die Gas-Umlage dort am härtesten zu spüren sein. Die meisten Firmen haben kurzfristig keine Alternative zum Gas“, so der UVB.
FDP in Berlin: Landespolitik sollte Unternehmen entlasten
Der Verbandsgeschäftsführer Sven Weickert forderte weitere Entlastungen. Das Ende der Fahnenstange sei noch nicht erreicht. „Die Politik muss noch einmal prüfen, wie sie die betroffenen Unternehmen bei den Energiekosten weiter entlasten kann. Auch exorbitant steigende Lohnkosten wären in diesen Zeiten Gift für die Zukunft der Industrie. Wir müssen die industrielle Basis als Grundlage unseres Wohlstands schützen“, sagte Weickert.
Von der FDP im Abgeordnetenhaus hieß es, die Zahlen würden die Folgen der Krisen in den letzten Monaten und Jahren sowie deren Auswirkungen auf Lieferketten und Preise deutlich machen. Firmen seien nun gut beraten, Lieferketten und Handelsbeziehungen weiter zu diversifizieren und so ihre Abhängigkeit zu reduzieren. „Aufgabe der Berliner Politik muss es sein, den Unternehmen für diesen Prozess beste Rahmenbedingungen zu bieten, Bürokratie abzubauen, Verwaltungsprozesse zu beschleunigen und die Digitalisierung weiter voranzutreiben“, sagte der Sprecher für Digitalisierung, Energie, Betriebe und Tourismus, Christian Wolf.