Berlin/Erfurt. Eine junge Muslimin erscheint nach ihrer Elternzeit mit einem Kopftuch bei ihrem Arbeitgeber, der Drogeriekette Müller. Ihre Chefin, die Filialleiterin, zieht Konsequenzen und verbietet der langjährigen Mitarbeiterin, ab sofort in dem Laden als Kundenberaterin oder Kassiererin zu arbeiten. Im Streit um dieses Kopftuchverbot sollte das höchste deutsche Arbeitsgericht am Mittwoch in Erfurt entscheiden.
Doch die Richter des Bundesarbeitsgerichts (BAG) entschieden sich gegen ein eigenes Urteil und wollen vielmehr für grundsätzliche Rechtssicherheit sorgen: Sie überweisen den Fall an den Europäischen Gerichtshof (EuGH). Damit wird der Vorgang aus Bayern zu einem Präzedenzfall in Europa, ob Unternehmen bei der Bekleidung in die Grundrechte von Arbeitnehmern eingreifen dürfen.
Unternehmerische Freiheit oder Religionsfreiheit
Die Vorsitzende Richterin Inken Gallner bringt den Konflikt während der Verhandlung auf den Punkt: Zugespitzt könne man sagen, es stehe bei dem Fall unternehmerische Freiheit gegen Religionsfreiheit, so die Juristin.
Die Kernfrage lautet: Darf ein Arbeitgeber seinen Angestellten per Anweisung untersagen, am Arbeitsplatz Symbole religiöser, politischer oder sonstiger weltanschaulicher Überzeugungen zu tragen?
Liegt eine Diskriminierung vor?
Der EuGH hatte bereits im Jahr 2017 zwei muslimischen Frauen aus Belgien und Frankreich – eine Rezeptionistin und eine IT-Expertin – verboten, Kopftücher im Job anzuziehen.
Das Urteil gilt aber nur in Unternehmen, in denen weltanschauliche Zeichen generell verboten sind und wenn es dafür sachliche Gründe gibt. Nur dann liege keine Diskriminierung vor, alle Mitarbeiter würden dann gleich behandelt. Wünsche von Kunden allein reichen als Verbotsgrund dagegen nicht aus.
Die Drogeriekette hatte Revision eingelegt
In Deutschland sind Kopftücher am Arbeitsplatz grundsätzlich erlaubt, Einschränkungen bei konkreten Gründen aber möglich. Die Angestellte der Drogeriemarktkette sieht in einem Kopftuchverzicht eine Einschränkung ihrer Religionsfreiheit und hat geklagt. In der ersten Instanz beim Arbeitsgericht Nürnberg hatte die Frau Erfolg, doch das Unternehmen ging in die Revision.

Die Gewerkschaft Verdi steht grundsätzlich zur Religionsfreiheit am Arbeitsplatz, sagte Verdi-Sprecherin Daniela Milutin unserer Redaktion: „Wir halten ein Kopftuchverbot nicht für geboten.“
Grundsätzlich können Unternehmen in Deutschland jedoch Kleiderordnungen für ihre Mitarbeiter verfügen. Allerdings ist dies durch die Betriebsräte – falls vorhanden – zustimmungspflichtig und muss verhältnismäßig sein. Im Klartext: Es muss mit der Funktionsfähigkeit des Betriebs zu tun haben.
Schutzkleidung
Schon aus Sicherheitsgründen ist in manchen Unternehmen Arbeits- oder Schutzkleidung Pflicht. Dies können Schutzbrillen für Chemiewerker sein, feuerfeste Anzüge oder Schuhe in Stahlwerken oder an Hochöfen. Oder auch Schutzanzüge, die über der Alltagskleidung getragen werden müssen.
Polizei
Bei der Polizei untersagt die Uniformpflicht das Tragen eines Kopftuchs im Dienst.
Auch Körperschmuck, wie „Tunnel“ in den Ohrläppchen, gelten bei der Bundespolizei als Einstellungshindernis.
Während nach den strengen Anforderungen der Bundespolizei sichtbare Tätowierungen mit hautfarbenen Armstulpen verdeckt werden müssen, geht es bei der Polizei in den Ländern lockerer zu.
Bei sichtbaren Tattoos wird in der Regel im Einzelfall entschieden, nach mehreren Gerichtsurteilen dürfen diese kein Ausschlussgrund mehr sein. Das liegt durchaus im Interesse der Länder – müssen sie doch ausreichend Nachwuchs für den Polizeidienst finden. „Da scheint es so zu sein, dass einige Länder die Bestimmungen etwas lockern“, sagt ein Sprecher der Gewerkschaft der Polizei (GdP).
Arbeitsuniformen
Bei manchen Unternehmen sind Arbeitsuniformen ein Markenzeichen. Der Arbeitgeber hat ein Interesse an einem einheitlichen Erscheinungsbild auch als Erkennungszeichen für seine Kunden.
Dazu gehören unter anderem Fluggesellschaften oder die Bahn. Aber auch bei Bäckereien oder in Modeläden ist das Tragen bestimmter Farben oder Firmenlogos als Dienstkleidung vorgeschrieben.
Stellen die Mitarbeiter das Unternehmen nach außen hin dar, ist der Eingriff oft stärker, als wenn sie nicht in direktem Kundenkontakt stehen. So müssen beispielsweise Lokführer keine Uniform der Deutschen Bahn tragen, wohl aber die Zugbegleiter.
Manager und Angestellte
Die Kleiderordnungen in Bürojobs sind in den vergangenen Jahren bis ins Management deutlich legerer geworden. Als einer der ersten Topmanager trat der Daimler-Chef Dieter Zetsche ohne Krawatte auf. Jeans und Sakko sind sein Markenzeichen geworden.
Auch Deutschlands mächtigsten Industriemanager, Siemens-Chef Joe Kaeser, sieht man nur selten mit Krawatte. So lockerte auch die US-Bank J.P. Morgan ihre Kleidungsvorschriften. Männer dürfen dort nun auch offene Hemden oder Poloshirts tragen, sofern sie nicht unmittelbar mit Kunden zu tun haben.
Für Frauen sind dagegen selbst im Sommer Jeans, Caprihosen, „auffallende, enge, extrem weit geschnittene oder kurze Kleider“ verboten, ebenso „kreative“ Frisuren. Auch bei Air Berlin waren Shorts, Flip-Flops oder bauchfreie Shirts für Frauen untersagt (Welche Kleidung darüber hinaus im Sommer im Büro nicht angebracht ist, lesen Sie hier.).

Bei der Commerzbank gibt es keine Kleiderordnung, sagte eine Sprecherin: „Uns ist ein gepflegtes Erscheinungsbild der Mitarbeiter wichtig, vor allem von denen mit Kundenkontakt. Wir reden in den Kleidungsstil nicht rein und haben damit bisher immer gute Erfahrungen gemacht.“
Auch die Deutsche Bank lässt ihren Mitarbeitern freie Hand, so eine Sprecherin: „Wir vertrauen darauf, dass sich unsere Mitarbeiter so kleiden, wie es ihre Kunden von ihnen erwarten.