Berlin. In der ARD-Talkshow „Hart aber fair“ wurde am Montagabend heftig über ein Dauerthema gestritten: „Grenzwerte geschätzt, Motoren manipuliert: ein Land im Diesel-Wahn?“ Mit dabei auch Lungenarzt Dieter Köhler.
Er kritisiert den Richtwert von 40 Mikrogramm Stickstoffoxid pro Kubikmeter: Wenn Feinstaub wirklich so tödlich wäre, müssten Raucher „nach wenigen Wochen tot umfallen“, denn aus der Zigarette staube es eine Millionen Mal so stark.
Ähnlich äußerte sich Köhler, früher Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie (DGP), auch im Interview mit unserer Redaktion. Die Frage ist: Stimmt das so?
Diesel-Stickoxide doch nicht gefährlich?
Zuspruch erhält Köhler von 107 Lungenärzten der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin (DGP), der Deutschen Lungenstiftung und des Verbandes Pneumologischer Kliniken (VPK).
Die drei Verbände haben ein Papier vorbereitet, in dem es heißt, dass „derzeit keine wissenschaftliche Begründung für die aktuellen Grenzwerte für Feinstaub und NOx“ gesehen werde.
Eine Datenanalyse habe gezeigt, dass „diese extrem einseitig interpretiert wurden, immer mit der Zielvorstellung, dass Feinstaub und NOx schädlich sein müssen“. Die vorhandenen Studien müssten daher neu bewertet werden.
Zu Diesel-Stickoxiden hatte Köhler bei „Hart aber fair“ für neue Studien geworben. Diese würden aber bis zu 50 Millionen Euro kosten und mindestens fünf Jahre dauern, prognostizierte der Lungenarzt. Köhler, der früher selbst Präsident des DGP gewesen ist, hat das Positionspapier mit drei Ko-Autoren verfasst.
Verkehrsminister Andreas Scheuer begrüßt Vorstoß
Die Initiative der 107 Lungenärzte begrüßt Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU). Das Papier helfe, „Sachlichkeit und Fakten in die Diesel-Debatte zu bringen“ und habe das Gewicht, „den Ansatz des Verbietens, Einschränkens und Verärgerns zu überwinden“, sagte Scheuer unserer Redaktion.

Der Vorstoß wird aber nicht nur begrüßt. Denn nach wie vor halten viele Experten die Stickstoffdioxide für gesundheitsschädlich.
Städte- und Gemeindebund mahnt zur sachlichen Diskussion
Der Deutsche Städte- und Gemeindebund fordert eine Neubewertung der Schadstoff-Grenzwerte in deutschen Innenstädten: „Eine sachliche Diskussion über Grenzwerte und die Gesundheitsgefährdung ist dringend erforderlich“, sagte Hauptgeschäftsführer Gerd Landsberg unserer Redaktion. Es sei notwendig, von der „zum Teil hysterisch geführten Auseinandersetzung zu Luftqualität und Fahrverboten“ wegzukommen.
„Dazu ist eine breite Datenbasis unverzichtbar, wenn so massiv in die Lebenswelten der Menschen eingegriffen werden soll.“ Man löse die Verkehrsprobleme in Deutschland nicht, indem man „den Städten teilweise den Stecker“ ziehe und die Pendler keine Chance hätten, zu ihren Arbeitsplätzen zu kommen. Umgehungsverkehre verlagerten das Problem, ohne dass sich die Luft flächendeckend verbessere.

Warnung vor Langzeitfolgen
Holger Schulz, Leiter der Abteilung Lungenepidemiologie am Institut für Epidemiologie am Helmholtz Zentrum München, hält diese Aussage für „nicht korrekt“. Schulz sagte unserer Redaktion: „Niemand stirbt an Zigarettenrauch direkt.“
Es seien die sekundären Folgen des Rauchens, wie zum Beispiel Herzinfarkt, Schlaganfall und Lungenkrebs, die zum Tode führten. „Dieselben Erkrankungen beobachten wir auch bei Menschen, die in Gebieten mit erhöhter Luftschadstoffbelastung leben“, sagte DGP-Mitglied Schulz.
Herzinfarktrisiko bei Rauchern achtfach höher
Internationale Studien zeigten, dass diese Herz-Kreislauf- und Lungenerkrankungen häufiger in stark belasteten Regionen vorkämen als in Städten mit weniger Belastung – wenn auch in geringerem Ausmaß. Generell sei das Herzinfarktrisiko bei Rauchern achtfach erhöht.
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Passivrauchen erhöhe die Wahrscheinlichkeit, einen Herzinfarkt zu erleiden, um 50 Prozent. „Eine Langzeitbelastung von zusätzlichen fünf Mikrogramm pro Kubikmeter Feinstaub erhöht die Wahrscheinlichkeit für einen Herzinfarkt um circa zehn Prozent.“
Sehr plakativ und pragmatisch gesagt heißt das Schulz zufolge: „Der Raucher stirbt etwa sieben bis neun Jahre früher, bei hoher Luftschadstoffbelastung werden im Mittel etwa 0,5 bis ein Jahr Lebensverkürzung abgeschätzt.“
Er kritisiert: „Menschen, die an stark befahrenen Straßen wohnen, leiden am meisten unter Autoabgasen. Sie spielen leider so gut wie keine Rolle in der aktuellen Debatte.“