Umweltschutz

Nicht nur in Kosmetik – Mikroplastik hat viele Verursacher

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Claus Haffert

Foto: iStockphoto/Josfor / iStockphoto

Autoreifen sind die wichtigste Quelle für Mikroplastik, hat das Fraunhofer-Institut ermittelt. Kosmetika liegen aber nur auf Platz 17.

Oberhausen.  Schädlicher Kunststoff in winzigen Partikeln gelangt über Fische auch in die Nahrung des Menschen. Forscher des Fraunhofer-Instituts für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik in Oberhausen haben nun die wichtigsten Quellen für Mikroplastik in Deutschland ermittelt. Eine erstaunliche Erkenntnis: Selbst Fußgänger geben mit jedem Schritt geben Plastikpartikel in die Umwelt ab. Rund 100 Gramm Abrieb von den Schuhsohlen sollen es pro Kopf und Jahr in Deutschland sein.

Bislang stehen vor allem Körperpflegeprodukte und Kosmetika im Mittelpunkt der öffentlichen Debatte um Mikropartikel aus Plastik, die laut Definition maximal fünf Millimeter messen. Doch es gibt viel mehr Verursacher, zeigt die Oberhausener Studie.

Für zunächst 51 Quellen von sogenanntem primären Mikroplastik haben die Autoren der Studie „Kunststoffe in der Umwelt“ die Emissionen ermittelt. Auftraggeber waren Chemiekonzerne, Kosmetikhersteller, Wasserverbände, Abfallentsorger und Hochschulen, etwa BASF und Beiersdorf, Gelsenwasser, die RWTH Aachen und die Technische Universität Dresden.

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An der Spitze stehen Autoreifen und deren Abrieb

Primäres Mikroplastik wird indus­triell als feines Plastikgranulat hergestellt und etwa in Kosmetikprodukten weiterverarbeitet. Sekundäres Mikroplastik hingegen entsteht bei der Zersetzung von Plastikmüll in der Umwelt. Große Kunststoffteile zerfallen mit der Zeit durch äußere Einflüsse wie Sonne, Wind oder Wasser. Beim zweiten Typ entstehen die Mikropartikel erst bei der Nutzung, etwa beim Waschen synthetischer Fasern. „Die Unterscheidung ist für die Verantwortung für die Vermeidung von Mikroplastik wichtig“, sagt Studienautor Jürgen Bertling.

330.000 Tonnen primäres Mikroplastik kommen demnach pro Jahr in Deutschland zusammen – gut vier Kilogramm pro Kopf. Mit 19 Gramm liegen Duschbäder und Co. nur auf Platz 17 der Negativliste. An der Spitze stehen Autoreifen und deren Abrieb. Rund ein Drittel der Mikroplastik-Emissionen entfallen laut Studie darauf.

Der größte Teil des Problems ist nur unter Mikroskop sichtbar

Und noch etwas an den Zahlen aus Oberhausen ist bemerkenswert. Makroplastik – also Plastiktüten und andere achtlos weggeworfene Kunststoff-Produkte – sorgen in Deutschland nur für ein gutes Viertel der gesamten 446.000 Tonnen Kunststoff-Emissionen pro Jahr. Mikroplastik stellt davon 74 Prozent.

„Dem, was jedem offensichtlich ist, steht also eine etwa dreifach größere Menge gegenüber, die zum Teil nur unter dem Mikro­skop sichtbar wird“, heißt es in der Studie. „Wir können davon ausgehen, dass sich Mikroplastik bereits in allen Bereichen der Umwelt befindet“, sagte Ko-Autorin Leandra Hamann.

Es gibt nur wenige Experimente zur Entstehung von Mikroplastik

Wie kommen die Forscher zu ihren Zahlen? Daten aus Experimenten gibt es nur wenige. Am Beispiel Schuhsohlen und deren Abrieb erläutert Hamann das Verfahren: „Wir sind von der Gesamtzahl der pro Jahr in Deutschland verkauften Schuhe ausgegangen.“ Die durchschnittliche Schuhgröße, die Sohlenfläche und fünf ausgesonderte Paar Schuhe pro Kopf und Jahr gingen in die Berechnungen ein.

Die Zahlen der Wissenschaftler liegen, wie sie selbst einräumen, im Vergleich zu anderen Studien „eher im oberen Bereich“, da man mehr Quellen berücksichtigt habe. Die Wissenschaftler haben frühere Studien ausgewertet und Verbrauchsdaten auf die Emissionen von Mikroplastik heruntergerechnet.

Die Industrie stellt nur ungern Daten zur Verfügung

Dass Mikroplastik in Kosmetik mengenmäßig eine eher untergeordnete Rolle spielt, überrascht das Umweltbundesamt nicht. Die eigenen Fachleute seien zu der gleichen Erkenntnis gekommen, sagt Sprecher Felix Poetschke. „Es ist aber auch am einfachsten zu vermeiden.“ Auch die Reifenabriebmenge bewege sich im bisher berechneten Rahmen.

Daten zum gezielten Einsatz von Mikropartikeln zu erhalten ist für die Forschung ausgesprochen schwierig. In einer 2015 vom Umweltbundesamt veröffentlichten Untersuchung zu den Quellen für Mikroplastik heißt es etwa, aufseiten der Industrie habe es nur eine geringe Bereitschaft gegeben, konkrete Angaben zu den gezielt eingesetzten Mengen und Materialarten zur Verfügung zu stellen. Auch für diese Studie wurden deshalb die Zahlen anhand „plausibler Rechenwege abgeschätzt“.

Die Bundesregierung hat ein Forschungsprogramm aufgelegt

Das Wissen über Herkunft, Verbreitung und Folgen von Plastik in der Umwelt ist noch sehr lückenhaft. Deshalb hat das Bundesforschungsministerium ein großes Forschungsprogramm aufgelegt: 18 Projekte mit rund 100 Partnern aus Wissenschaft, Wirtschaft, Verbänden und Kommunen sollen ein Gesamtbild zeichnen, wie Kunststoffe produziert, eingesetzt, gehandelt und entsorgt werden.

Mit dem Reifenabrieb befasst sich auch ein von der Technischen Universität Berlin koordiniertes Projekt. Es soll den Eintrag von Mikroplastik aus Reifenabrieb im Abflusswasser der Straßen ermitteln, wie Daniel Venghaus vom Fachbereich Siedlungswasserwirtschaft der TU Berlin sagt.

Autofahrer sollten beim Reifenkauf auf Langlebigkeit achten

Einen Vorschlag, wie die Menge des Reifenabriebs verringert werden kann, hat Fraunhofer-Forscher Bertling bereits. Autofahrer sollten beim Reifenkauf auf Langlebigkeit achten. „Deshalb müsste das EU-Reifenlabel ergänzt werden“, fordert er. Bisher gebe es nur Angaben zu Kraftstoffverbrauch, Bremsweg auf nasser Straße und Rollgeräusch. Über Haltbarkeit und Abrieb eines Reifens sage das Label nichts.

Bertling warnt vor einem allgemeinen Kunststoff-Bashing. Wer die sehr geringen Recyclingquoten erhöhen wolle, müsse das schlechte Image von Kunststoffen verbessern: „Nur wenn Kunststoff für Produzenten und Verbraucher einen wirklichen Wert hat, wird die Wiederverwertung zunehmen.“