Berlin wächst weiter dynamisch – und das wird auch 2019 so bleiben. „Wir gehen davon aus, dass der Neubau von 20.000 Wohnungen jährlich erforderlich ist, um das Bevölkerungswachstum zu bewältigen“, sagte Jürgen Allerkamp, Vorstandschef der Investitionsbank Berlin IBB. Tatsächlich fertig wurden im vergangenen Jahr jedoch nur 15.669 Wohneinheiten. Der Senat hat seine Neubauziele inzwischen nach unten korrigiert, in der rot-rot-grünen Koalition wird deshalb heftig gestritten. Erforderlich wäre die Beseitigung der vielfältigen Bauhemmnisse in der Hauptstadt , um die dringend benötigten Wohnungen doch noch in dieser Legislaturperiode errichten zu können, so die übereinstimmende Meinung der 56. Unternehmertafel, die auf Einladung der Berliner Morgenpost und der IBB in der Bibliothek des „Waldorf Astoria“ zusammengekommen war.
Tatsächlich sind die Gründe, warum der Wohnungsbau in der Stadt nur schleppend vorankommt, vielfältig – und nicht immer sind der Senat und die Bezirke schuld, wie aktuelle Zahlen, die der IBB-Chef präsentierte, eindrucksvoll belegen. Demnach gibt es in Berlin aktuell 58.460 genehmigte, aber noch nicht als fertiggestellt gemeldete Wohnungen. Dieser sogenannte Bauüberhang ist im vergangenen Jahr um 15 Prozent gestiegen. „Das weist deutlich auf einen Fachkräftemangel am Bau hin“, sagte Allerkamp weiter. Auch die Explosion der Baukosten spiele eine Rolle, wenn sich manches Projekt nicht wie geplant realisieren lasse.
vorne, von links: Maren Kern (Verband Berlin-Brandenburgische Wohnungsunternehmen), Stephan von Dassel (Bezirksbürgermeister Berlin-Mitte), Gilbert Schomaker (Berliner Morgenpost), Katrin Lompscher (Senatorin für Stadtentwicklung und Wohnen), Andreas Schulten (bulwiengesa AG), Thomas Ernst (Genesis International LCC)
hinten, von links: Christian Lauritzen (KKL Consulting), Helmut Kunze (Bonava), Andrea Zwingelberg (BWV zu Köpenick), Jens Holtkamp (Investitionsbank Berlin), Jürgen Allerkamp (Investitionsbank Berlin), Christina Geib (Wohnungsbaugesellschaft Berlin-Mitte mbH), Isabell Jürgens (Berliner Morgenpost), Frederik Kramer (BÖAG), Robert Burghardt (MCB Media Checkpoint Berlin GmbH)
„Spekulatives Zuwarten“ ist ein Problem
Die wegen der dürftigen Neubaubilanz unter Druck stehende Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher (Linke) verwies darauf, dass immerhin zwei Drittel der knapp 60.000 Wohnungen tatsächlich im Bau seien. Bei einem Drittel jedoch sei aber noch nicht einmal ein Baubeginn zu verzeichnen. Und nicht immer seien dafür mangelnde Baukapazitäten oder gestiegene Baukosten verantwortlich. „Spekulatives Zuwarten“ nennt die Senatorin die Strategie einiger Entwickler, die gar nicht vorhätten selbst zu bauen, sondern darauf hofften, das Projekt mit Gewinn weiterverkaufen zu können. Ein weiterer wichtiger Grund, warum so viele genehmigte Projekte nicht zeitnah umgesetzt würden, liege aber auch in den Umplanungen, die Bauherren noch anmelden, nachdem sie bereits die Baugenehmigung in den Händen hielten. „Wir planen dazu gerade eine Abfrage in den Bezirken, weil die Baugenehmigung sechs Jahre nach Erteilung erlischt. Das eröffnet die Chance, neu über Vorhaben nachzudenken“, sagte die Senatorin.
Helmut Kunze, Regionsleiter bei Bonava, einem der größten Bauträger und Projektentwickler in Berlin, verwies zudem auf immer komplexere Bauvorschriften, die dringend entrümpelt werden müssten, damit schneller gebaut werden könne. Zudem mahnte Kunze mehr Mut in der Verwaltung an, damit stockende Bauvorhaben wieder in Schwung kämen.
Dass die mangelnde Entschlusskraft tatsächlich häufig ein gravierendes Bauhemmnis darstelle, bestätigte auch Mittes Bezirksbürgermeister Stephan von Dassel (Grüne). In Berlin sind die Bezirke für die Erteilung von Baugenehmigungen zuständig, deren Verwaltungen im vergangenen Jahrzehnt stark Personal abgebaut haben und erst spät damit begonnen haben, dieses wieder aufzustocken. „Die Unvorhersehbarkeit von Verwaltungsentscheidungen sind oft ein entscheidendes Faktum, das Bauen erschwert“, sagte von Dassel. Während die frühere Bauordnung dem Bauamt eine sogenannte Schlusspunktkompetenz einräumte, müsse der Bauherr nun sämtliche beteiligten Ämter um Genehmigung fragen, also beispielsweise das Tiefbau-, Umwelt- und das Denkmalamt. Diese würden dann zwar auch jeweils ihren Teil vorschriftsgemäß abarbeiten – aber „häufig, ohne das große Ganze zu bedenken“, so der Bezirksbürgermeister. Die Senatorin ergänzte, dass die Deregulierung der Bauordnung ursprünglich dazu gedacht war, mit den allmächtigen Baubehörden aufzuräumen. „Im Kern hat das jedoch dazu geführt, dass sich die Bauherren auf dem Weg zur Genehmigung nun die Hacken ablaufen“, sagte Lompscher und verwies auf die Baukoordinatoren, die der Senat mit den Bezirken vereinbart habe und die den Bauherren künftig durch den Ämterdschungel helfen sollen. Und auf die Clearingstelle in ihrer eigenen Verwaltung.
Christina Geib, Vorstand der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaft WBM, ist das jedoch zu wenig. „Wir haben gleich drei Bauvorhaben seit vier Monaten in der Clearingstelle“, sagte sie. Bislang noch ohne sichtlichen Beschleunigungseffekt. Besonders kritisch für die WBM sei der Fortgang an der Köpenicker Straße in Mitte, um die bereits seit Jahresbeginn gerungen werde. Im nunmehr vierten Clearinggespräch im August sei kein abschließendes Ergebnis erzielt worden, zur rechtlichen Absicherung empfehlen die Verwaltung von Katrin Lompscher und das Bezirksamt nun ein Bebauungsplanverfahren. Das wiederum dauert mindestens ein weiteres Jahr.
„Bei Zeitverzögerung fliegen die Baukosten weg"
So viel Zeitverzug sei für ein privatwirtschaftliches Unternehmen eine Katastrophe, merkte Frederik Kramer, Vorstand der BÖAG Projekt AG, an: „Bei Zeitverzögerung fliegen die Baukosten weg und dem Bauvorhaben droht das Aus“. Andrea Zwingelberg, Vorstand des Köpenicker Beamtenwohnungsvereins BWV, einer traditionsreichen Genossenschaft, verwies auf ein weiteres Problem, das den kostengünstigen Wohnungsneubau nahezu unmöglich für die Genossenschaften mache. „Uns fehlt schlicht Bauland. Und mit den privaten Investoren können wir nicht mithalten, die zahlen Wahnsinnspreise“, berichtete sie. Andreas Schulten vom Analyseunternehmen bulwiengesa regte an, in diesem Zusammenhang über die Randbebauung des Tempelhofer Feldes neu nachzudenken – trotz des anderslautenden Volksentscheids vor fünf Jahren. „Das sind Grundstücke, die Berlin gehören, die könnte man den Genossenschaften übergeben, die ja die besten Garanten für günstige Wohnkosten in Berlin sind“, sagte der Analyst.
Damit das Bauen in Berlin künftig deutlich schneller gehe, brauche Berlin insgesamt einen Mentalitätswechsel, forderte Maren Kern, Chefin des Verbandes der Berlin-Brandenburgischen Wohnungsunternehmen (BBU). „Uns fehlt eine gemeinsame Vision, ein Masterplan, nach dem sich auch die Bezirke richten, in dem grundsätzlich die Zeichen auf Wachstum und Entwicklung stehen“, sagte sie. Daran hapere es aber.
„Ich könnte die Frage meiner internationalen Kunden, was denn die Berliner Vision sei, schlicht nicht beantworten“, ergänzte Unternehmensberater Christian Lauritzen von KKL Consulting. „In der Selbstwahrnehmung sind wir jedenfalls schon Weltstadt“, fügte Thomas Ernst von Genesis International LLC hinzu. Der Berater international tätiger Immobilienfonds betonte, dass Berlin weltweit ein gutes Image genieße, jedoch viele Investoren zurückschreckten, wenn sie von der schwierigen Zusammenarbeit mit den Bezirken und der komplizierten Bauordnung erführen.