München. Amsilk stellt Spinnenseide künstlich her. Der Stoff könnte die Textilbranche revolutionieren

    Es gehört schon eine Portion Selbstvertrauen dazu, um eine Zusammenarbeit mit Stella McCartney abzulehnen. Schließlich gehört die Britin zu den derzeit gefragtesten Designerinnen weltweit, bekannt für ihre ökologische Mode. „Wir hätten ja kein Problem damit, sie zu treffen.“ Jens Klein sitzt in einem kargen Besprechungszimmer und ordnet die Anfragen zahlreicher Unternehmen. Man dürfe sich jetzt nicht verzetteln, erklärt der Geschäftsführer von Amsilk. Bevor er sich auf Design-Spielereien einlässt, muss er sich auf die Kunden konzentrieren, die dem jungen Unternehmen den Eintritt in den Massenmarkt garantieren, Adidas zum Beispiel, aber dazu später mehr.

    Was wollen die alle von ihm? Klein sitzt auf einem Schatz, der die Textilindustrie revolutionieren könnte: Künstlich hergestellte Spinnenseide. Ein Material, völlig natürlich, zu einhundert Prozent biologisch abbaubar, trotzdem belastbar und reißfest – so wie man es von Spinnennetzen kennt. Eine echte Spinne braucht es dafür nicht, dafür aber Wissen aus der Biotechnologie, weshalb das junge Unternehmen derzeit noch auf dem Gelände des Biotech-Gründerzentrums in Martinsried bei München sitzt.

    Amsilk macht aus dem Stoff Kleidung, mischt es Kosmetikartikeln bei (für das seidige Gefühl), beschichtet Hüftgelenke und Brustimplantate (hohe Verträglichkeit im Körper). Klein ist überzeugt, die Naturfaser hat bessere Eigenschaften als so manch anderes Material: Es entstünden keine Allergien und keine Hautrötungen. „Und beim Schwitzen kriegen wir auch kein Geruchsproblem – wie etwa bei synthetischen Fasern.“ Das seidene Garn könnte der Textilindustrie aber auch dabei helfen, ihre miserable Ökobilanz ein Stück weit zu verbessern. Die Branche sucht fieberhaft nach Alternativen zu umweltschädlichen Materialien und Produktionsprozessen – und Amsilk steht ein Millionenmarkt offen.

    Die Grundlage für das Unternehmen schuf einer, den sie in der Branche mittlerweile nur noch „Spiderman“ nennen. Dem Wissenschaftler Thomas Scheibel gelang es, Kolibakterien so zu verändern, dass sie, vereinfacht gesprochen, ein Spinnen-Gen in sich tragen und sogenannte Seiden-Biopolymere produzieren. Um mit dem Durchbruch in der Forschung Geld zu verdienen, wurde dann 2008 das Unternehmen gegründet.

    Ein paar Fahrminuten vom Firmensitz entfernt, produziert Amsilk in einer großen Halle einen Teil des Stoffs. In meterhohen Stahlkesseln gärt ein stinkender, brauner Schlamm: Die Kolibakterien, herangezüchtet mit einer großen Portion Zucker. In ihrem Innern entsteht der Seiden-Stoff. Am Ende wird der Schlamm ausgewaschen, übrig bleibt weißes Seiden-Pulver. Dahinter steckt eigentlich ein simpler chemischer Prozess, das Fermentieren – man kennt das vom Bierbrauen. Daher kann Amsilk auch auf Dienstleister zurückgreifen, die derlei Produkte im großen Stil produzieren. Ein natürliches Produkt mit technischen Methoden herzustellen, das sei etwas „völlig Neues und ermöglicht uns die Massenproduktion“.

    Experimente, Fasern herzustellen, die sich anfühlen wie Seide und auch so aussehen, gab es schon Mitte der 1930er-Jahre. Damals erfand der US-Chemiker Wallace Hume Carothers für den Chemiekonzern Dupont das Nylon, die erste Konkurrenz zum Seidenstrumpf. Der Engländer John Rex Whinfield entwickelte die Idee weiter, so entstand in den 1940er-Jahren Polyester – ein widerstandsfähiger Kunststoff, aus dem heute fast 60 Prozent unserer Kleidung besteht. Das kam den Tieren zugute: Der Tierschutzorganisation Peta zufolge müssen für ein einziges Kleid aus klassischer Seide 50.000 Seidenraupen getötet werden.

    Aber es schuf ein neues Problem. Denn Kunststofffasern bestehen aus Erdöl, durch die Abreibung der Kleidung in der Waschmaschine gelangt Mikroplastik ins Abwasser und schließlich über unsere Flüsse ins Meer. Einer Studie der Weltumweltorganisation IUCN zufolge machen ausgewaschene Fasern synthetischer Kleidungsstücke rund 35 Prozent des Mikroplastik im Meer aus, Partikel, die wohl noch Hunderte Jahre lange unsere Gewässer verschmutzen werden. Ein Schuh aus Protein-Seide hält keine 100 Jahre. Aber in der schnelllebigen Modewelt scheint das ohnehin kein Qualitätsmerkmal mehr zu sein. Ein Kleidungsstück aus Amsilk-Seide jedenfalls würde man binnen weniger Monate wieder los. Dazu braucht es nur Klärschlamm, etwas Druck und Wärme.

    Nahezu jedes Textilmaterialist umweltschädlich

    Ingeborg Neumann, Präsidentin des Verbandes der deutschen Textil- und Modeindustrie, weiß, dass Bekleidungsunternehmen zunehmend auf ihren ökologischen Fußabdruck achten müssen: Neue Rohstoffe und Verarbeitungsverfahren seien notwendig, „um gestiegene Anforderungen an die Recyclingfähigkeit und CO2-Bilanz von textilen Produkten zu erfüllen“. Dem Sportausrüster Adidas geht es ebenso. „Am Thema Biodesign“ sei man dran und arbeite darauf hin, 100 Prozent „biodegradable“ Materialien einzusetzen, heißt es.

    Gemeinsam mit Amsilk hat Adidas einen Sportschuh entwickelt, dessen Obermaterial aus der gestrickten Naturfaser besteht. Wann er in den Läden steht, ist noch unklar. Vorgestellt hat Adidas den Schuh aber schon. Nicht in der Firmenzentrale in der bayerischen Provinzstadt Herzogenaurach, sondern im hippen New York. Und das im Schuh verarbeitete Garn nennt Amsilk nun nicht mehr Spinnenseide, sondern Biosteel, also Bio-Stahl.

    Denn die ganze Spinnen-Allegorie kann Klein nicht mehr hören. Er will ja Naturfaser verkaufen, das soll modern klingen. Die achtbeinigen Krabbeltiere passen da nicht ins Bild. Konkurrenzlos ist das Start-up nicht. Weltweit stellen noch zwei weitere Unternehmen ähnliche Stoffe her. Die japanische Firma Spiber hat in Kooperation mit dem Outdoor-Ausrüster The North Face einen Parka aus Spinnenseide entwickelt. Und das US-Start-up Bolt Threads, in das Silicon-Valley-Investor Peter Thiel Geld gesteckt hat.

    Hinter Amsilk steht unter anderem AT Newtec, die Biotech-Investmenttochter der Brüder Andreas und Thomas Strüngmann, die einst den Pharmahersteller Hexal gründeten. Ab 2019 will sich Amsilk selbst finanzieren. Es könnte klappen. Im Kosmetik-Segment produziert Amsilk bereits Produkte in Serie. In der Medizintechnik wartet das Start-up auf die entscheidende Zulassung. Mittelfristig dürfte aber die Kleidungsbranche den größten Umsatz bringen. Mit Partnern wolle man „einige Millionen Paar Schuhe produzieren lassen“, sagt Klein. Dann kann sich Amsilk auch auf Stella McCartney einlassen.