Betäubungsmittel

Warum Cannabis auf Rezept immer gefragter wird

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Francis Kahwe Mohammady
Cannabis, Marihuana, Haschisch – Das steckt hinter den Bezeichnungen

Cannabis, Marihuana, Haschisch – Das steckt hinter den Bezeichnungen

Marihuana-Fakten

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Zehntausende Patienten erhalten das Betäubungsmittel Cannabis als Medikament. Es ist stark wachsender Markt für viele Pharmafirmen.

Berlin.  Patrick Hoffmann öffnet die Stahltür zum Laborraum seiner Berliner Firma Pedanios. In einem massiven Safe verbergen sich unscheinbare Plastikdöschen. Auf einem steht „Pedanios 22/1“: „Das ist eines unserer eigenen Produkte. Kommt der Geruch vertraut vor?“ Der intensive Duft von Cannabis erfüllt den Raum.

Die grünen Blüten verkauft er seit drei Jahren an über 2700 Apotheken in Deutschland. Das Cannabis ist für Patienten mit Beschwerden wie Epilepsie, Übelkeit oder chronischen Schmerzen bestimmt. Bis vor Kurzem war die Einnahme nur in Ausnahmefällen gestattet. „Seit der Gesetzesänderung kommen wir mit der Lieferung kaum hinterher. Der Bedarf ist viel höher als angenommen.“

Seit dem Gesetz „Cannabis als Medizin“ von 2017 wittern Start-Ups und Pharmafirmen ein großes Geschäft mit dem eigentlich verbotenen Betäubungsmittel. Sechs Unternehmen importieren Cannabis aus Kanada, ein Anbieter aus den Niederlanden. Immer wieder kommt es zu Engpässen, die Nachfrage ist höher als angenommen.

Zahl der erfassten Rauschgiftdelikte 2017 um fast zehn Prozent gestiegen
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Ärzte setzen sich mit Cannabis zunehmend auseinander

„Wenn man davon ausgeht, dass der Durchschnittspatient ein Gramm pro Tag verbraucht, rechne ich mit einem Jahres-Umsatzvolumen von knapp 40 Millionen Euro bei 100.000 Patienten, nur mit der Cannabisblüte“, sagt John Hoff, Gründer des Cannabis-Nachrichtenportals Sens Media.

Er schätzt, dass in fünf Jahren mindestens 800.000 Patienten Hanf-Präparate konsumieren werden. Er verweist auf Kanada und Kalifornien, wo medizinisches Cannabis von ein bis zwei Prozent der Bevölkerung konsumiert wird.

Ärzte würden sich mit Cannabis zunehmend auseinandersetzen und die pflanzliche Alternative zu Schmerzmitteln öfter verschreiben, sagt Hoff. Nicht mitgerechnet seien Präparate auf Cannabis-Basis wie Sprays, Extrakte oder Tabletten. Nach Experteneinschätzung werden diese Medikamente eine wesentlich höhere Abnehmerzahl erreichen.

13.000 Anträge auf Kostenübernahme

In Deutschland ist der Anbau von Cannabis noch nicht gestattet. Deswegen konzentriert sich Hoffmanns Unternehmen auf den Import von Blüten aus den Niederlanden oder aus Kanada, wo der Mutterkonzern Aurora seinen Sitz hat. Im Mai 2017 übernahmen die Kanadier Pedanios. „Für internationale Konzerne ist Deutschland der wichtigste Markt in Europa“, sagt der Geschäftsführer.

Wegen der hohen Einwohnerzahl und der fortschrittlichen Gesetzgebung im Vergleich zu anderen europäischen Staaten. In den USA ist medizinisches Cannabis seit 2016 in 28 Staaten legal. Dort betrug das Marktvolumen 2017 fast acht Milliarden Dollar (6,5 Milliarden Euro). Das Analysehaus Grand View Research erwartet in fünf Jahren ein weltweites Potenzial von 56 Milliarden Dollar.

In Deutschland hatten vor der Legalisierung 1100 Menschen Ausnahmegenehmigungen für Cannabis. Die Kosten trugen die Patienten selbst. Seit März 2017 sind 13.000 Anträge bei den gesetzlichen Krankenkassen auf Kostenübernahme eingegangen, von denen 60 Prozent genehmigt wurden. Hinzu kommt eine hohe Zahl von Privat­patienten.

Die Zahl der Anträge wird weiter steigen, sagt Jens Baas, Vorstandsvorsitzender der Techniker-Krankenkasse (TK): „Wir können uns durchaus vorstellen, dass sich die Zahlen in den nächsten Jahren verdoppeln oder verdreifachen werden.“ Die Bundesregierung war von 700 neuen Patienten jährlich ausgegangen.

Als Tabletten oder Spray

Wegen der hohen Nachfrage steigt die Zahl der Importfirmen: „Gefühlt kommt alle paar Monate ein neues Unternehmen hinzu“, sagt Georg Wurth, Chef des Deutschen Hanfverbandes, einer Lobbyorganisation für die gänzliche Legalisierung von Cannabis. Einige waren früher Start-Ups, wie Pedanios oder Spektrum Cannabis, das vom kanadischen Canopy-Growth-Konzern aufgekauft wurde, dem stärksten Konkurrenten von Aurora.

Auch große deutsche Pharmafirmen wie Bionorica verkaufen Cannabis-Produkte. Das oberpfälzische Unternehmen mit 1500 Mitarbeitern konzentriert sich auf pflanzliche Arzneimittel und verarbeitet Cannabis zu Tropfen, Sprays oder Tabletten. Beim Cannabis-Schmerzmittel Dronabinol hat sich die Zahl der Patienten seit 2017 auf fast 11.000 verdreifacht. Die Pharmafirma bezieht ihre Rohstoffe aus Österreich, wo Cannabis von einer halbstaatlichen Firma angebaut und zu Medizin weiterverarbeitet werden darf.

Deutsche Ernte fällt vorerst aus

Damit beschreitet die Firma einen Weg, den auch andere Anbieter von Cannabis-Produkten wohl einschlagen werden müssen. Denn künftig soll die Pflanze nicht mehr geraucht werden, sondern vor allem als Tablette oder Spray auf den Markt kommen – wenn eine Studie des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte die Wirkung von Cannabisbestätigt. Ziel ist es, „langfristig die Zulassung von Fertigarzneimitteln auf Cannabisbasis zu erreichen“.

Ein Problem von unverarbeitetem Cannabis in Blütenform: Es lässt sich nicht exakt dosieren. Sobald die heilende Wirkung von Cannabis durch Langzeitstudien bestätigt und genau dosierbare Präparate entwickelt wurden, werde die Bundesopiumstelle keine Importgenehmigungen mehr für unverarbeitetes Cannabis ausstellen, schätzt Experte John Hoff.

Im März 2017 wurde die staatliche Cannabisagentur gegründet, die den Anbau von 6,6 Tonnen Hanf in Deutschland organisieren soll. Der Vergabesenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf stoppte Ende März die Ausschreibung für die Anbaulizenz, weil ein Unternehmen gegen die Wettbewerbsbedingungen geklagt hatte.

Aus dem Ziel, 2019 deutsches Cannabis zu ernten, wird vorerst nichts. Die Bedingungen der Cannabisagentur verärgerten einheimische Unternehmen. Um die Qualität zu gewährleisten, setzte die Behörde Berufserfahrung im Anbau voraus. Deutsche Unternehmen hätten diese nicht vorweisen können, ohne sich strafbar zu machen. Viele Bewerber schlossen sich daher zu Gemeinschaftsunternehmen mit ausländischen Partnern zusammen.