Berlin. Nicolas Zimmer, Vorstandschef der Technologiestiftung Berlin, bescheinigt der Berliner Wirtschaft eine „gesunde Grundstruktur“. Außerdem sei sie innovationsfähig und innovationsfreudig, so Zimmer. Dies belegt auch die jüngste Erhebung der Stiftung zu diesem Thema. Fast 2,5 Milliarden Euro haben Berliner Unternehmen im Jahr 2016 für Forschung und Entwicklung neuer Produkte und Dienstleistungen ausgegeben.
Ausgewertet wurden Angaben von mehr als 1800 Unternehmen. Im Branchenvergleich zeigte sich der Bereich Elektroindustrie, Messtechnik und Optik am innovativsten. 76 Prozent aller Unternehmen entwickelten neue Produkte, im Bereich Software/Datenverarbeitung waren es 63 Prozent und in Unternehmen der Chemie, Pharmazie und Kunststoffverarbeitung 60 Prozent. Auch hier lagen die deutschlandweiten Quoten deutlich darunter.
Bei den Ausgaben für Forschung und Entwicklung lag die Chemie-/Pharmazie-/Kunststoff-Branche mit fast 900 Millionen Euro vorn, eine Steigerung im Vergleich zum Vorjahr von rund 200 Millionen Euro oder fast 30 Prozent. Dort ist auch der Anteil dieser Ausgaben am Gesamtumsatz mit 16,7 Prozent besonders hoch. Es folgen Elektroindustrie und Messtechnik mit 548 Millionen Euro sowie Maschinen- und Fahrzeugbau mit 294 Millionen Euro.
Stiftungschef Zimmer spricht von einer „sehr positiven Botschaft“ und ist nicht besorgt, dass die Innovationsausgaben der Unternehmen leicht rückläufig waren. Diese umfassen neben Forschung und Entwicklung etwa auch Kosten für die Markteinführung von Produkten und Dienstleistungen sowie für Produktgestaltung.
Sie sanken um rund 70 Millionen Euro oder zwei Prozent. Allerdings war 2015 mit Innovationsausgaben von annähernd 3,6 Milliarden Euro ein Rekordjahr gewesen, mit einer Steigerung zum Vorjahr von fast 500 Millionen Euro. Zimmer und Wirtschaftsstaatssekretär Christian Rickerts (Grüne) werten das daher als Stabilisierung auf hohem Niveau. Die Senatswirtschaftsverwaltung fördert die alljährlich vorgelegte Innovationserhebung.
In Berlin sind viel mehr kleine und mittelständische Unternehmen mit höchstens 250 Beschäftigten Innovationstreiber als im Bund. In Berlin leisten sie fast 26 Prozent aller Innovationsausgaben, im Bund sind es lediglich 14,5 Prozent. Bei der Frage nach Innovationshemmnissen werden „zu hohe Kosten“ und „Mangel an geeignetem Fachpersonal am Arbeitsmarkt“ als häufigste Gründe genannt.
Umsatz mit neuen Produkten und Dienstleistungen sank
Welche Steigerungen möglich sind, zeigt eindrucksvoll die Branche Verlage/Film/Rundfunk/Telekommunikation. Dort wuchsen die Ausgaben für Forschung und Entwicklung im Vergleich zum Vorjahr um 636 Prozent auf 184 Millionen Euro. Bundesweit legten die Ausgaben in dieser Branche um gute zehn Prozent zu.
Die Berliner Unternehmen setzten 2016 knapp elf Milliarden Euro mit neuen Produkten und Dienstleistungen um. Das waren allerdings 700 Millionen Euro weniger als im Vorjahr. Bei gleichzeitig wachsendem Gesamtumsatz ist damit der Anteil der Produktneuheiten am Umsatz gefallen: 2015 lag er bei 14,4 Prozent, 2016 nur noch bei 12,8 Prozent. Im Bundesvergleich war der Umsatzanteil von Produktneuheiten mit jeweils mehr als 16 Prozent deutlich höher , sank auch nur leicht um 0,2 Prozentpunkte. „Eine Tendenz, die man beobachten muss“, sagte Nicolas Zimmer.
Wirtschaftsstaatssekretär Christian Rickerts erwartet indes einen weiteren starken Anstieg der Unternehmensausgaben für Forschung und Entwicklung in den kommenden Jahren. Zum einen zeige das starke Plus um mehr als 20 Prozent im Vergleich zum Vorjahr, dass sich dort „eine Welle aufbaut“. Zum anderen seien in den vergangenen zwei Jahren viele Forschungs- und Entwicklungsabteilungen von Unternehmen sowie Firmen, deren Geschäftsmodelle im Wesentlichen aus Forschung und Entwicklung bestehen, in die Stadt gezogen.
Viele Unternehmen planen ihre Innovationen nicht allein, sondern suchen sich Kooperationspartner. In Berlin tun sich dazu viel mehr Unternehmen mit Hochschulen und anderen Forschungseinrichtungen zusammen als im Bund. Insgesamt gehen 36 Prozent aller innovationsaktiven Berliner Firmen solche Partnerschaften ein, bundesweit sind es nur 23 Prozent. Hier wirke sich die einzigartige Wissenschaftslandschaft Berlins positiv aus, sagte Rickerts.
Traditionelle Wirtschaft mit Start-ups vernetzen
Zimmer erwartet, dass die fortschreitende Digitalisierung die Produktion weiter verändern werde und Innovationen in allen Branchen vor allem von der Digitalisierung getrieben würden. Aufgabe der Innovationspolitik für die nächsten Jahre werde neben dem Ausbau der digitalen Infrastruktur eine enge Vernetzung der traditionellen Berliner Wirtschaft mit der jungen Start-up- und Gründerszene sein, sagte der Vorstandsvorsitzende der Technologiestiftung der Morgenpost.
Wie innovativ Unternehmen aus der Hauptstadt und der Region sind, zeigen auch Gewinner des Innovationspreises Berlin-Brandenburg 2017. Zum Beispiel die Sicoya GmbH aus Adlershof. Das 2015 aus der Technischen Universität ausgegründete Unternehmen hat gemeinsam mit IHP Solutions aus Frankfurt (Oder) integrierte Siliziumphotonik Chips entwickelt, die erstmals sowohl elektrische wie optische Signale empfangen und verarbeiten können. Dieser Chip wird in einem standardisierten Modul an Endverbraucher verkauft. Dadurch ist er preisgünstig und energieeffizient, die Komponenten haben einen geringen Flächenbedarf. Die Vision des Unternehmens mit mehr als 40 Mitarbeitern: „Schnelle Siliziumphotonik-Verbindungen in Datencentern der nächsten Generation, um völlig neue Wege der Internetnutzung zu ermöglichen“. Oder kurz gesagt: Datenkommunikation mit Lichtgeschwindigkeit.
Die Professor Dr. Berg & Kießling GmbH (B+K) hat sich auf die Entwicklung und Konstruktion innovativer und umweltfreundlicher thermischer Antriebssysteme auf Basis von Mikrogasturbinen spezialisiert. Diese Mini-Kraftwerke erzeugen Strom, Wärme oder Kälte und lassen sich auch mit Brennstoffen betreiben, die in herkömmlichen Anlagen nicht verwendet werden wie etwa Fuselöle, Biomasse (Laub, Gras, Raps), Siedlungsabfälle oder industrielle Rückstände – Stoffe, die sonst teilweise für viel Geld entsorgt werden müssen. Das seit 2012 existierende Unternehmen mit Sitz in Mahlsdorf (Marzahn-Hellersdorf) und Cottbus hat den Innovationspreis für die Entwicklung extern befeuerter Gasturbinen bekommen. Der Feldtest dieses Turbinentyps läuft noch bis Ende dieses Jahres, dann beginnt die Serienproduktion. 2019 sollen zehn Anlagen hergestellt werden, dann soll die Fertigung in Jahresschritten verdoppelt werden, bis auf etwa einhundert Stück. Die Entwicklung der extern befeuerten Gasturbinen kostet B+K nach eigenen Angaben mehrere Millionen Euro, finanziert über zinsgünstige Kredite und Unternehmensgewinne. Das Unternehmen gehört zu einem Verbund von drei Firmen, insgesamt zählt dieser knapp 30 Mitarbeiter.
Aber auch der Spielzeugmarkt wird im Berliner Raum in die Zukunft geführt, zum Beispiel von der Kinematics GmbH. Das Unternehmen mit Sitz in Bernau hat „Tinkerbots“ entwickelt, Robotik-Baukästen für Kinder ab fünf Jahren. Kinder können ihren Roboter selbst konstruieren und steuern ihn über eine App. Sie können sogar lernen, ihn mittels eines PC zu programmieren. Sieben verschiedene Baukastenmodelle gibt es inzwischen. Wie viele davon pro Jahr produziert werden, bleibt ein Betriebsgeheimnis. Bekannt ist aber, dass sie nicht nur in Deutschland und vielen europäischen Ländern verkauft werden, sondern auch in USA und Asien. In Berlin sind sie bei verschiedenen Einzelhändlern ab 120 Euro erhältlich, daneben gibt es einen Online-Shop. 2013 wurde das Unternehmen gegründet, heute sind dort rund 30 Mitarbeiter tätig.
Alle drei Preisträger eint, dass sie zu den kleinen und mittelständischen Unternehmen gehören. Diese Firmen sind in Berlin und in der Region viel stärker bei den Innovatoren vertreten als in Deutschland insgesamt. Das lässt hoffen, dass die hiesige Wirtschaft auch weiterhin auf Fortschrittskurs bleibt.
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