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Retouren: Deutsche sind Europameister im Zurückschicken

| Lesedauer: 7 Minuten
Christian Stahl
Warum Versandhändler bei Retouren auf die Rücksendung der Ware verzichten

Warum Versandhändler bei Retouren auf die Rücksendung der Ware verzichten

Versandhandel Retouren

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Niemand in Europa lässt so viele Waren zurückgehen wie die Deutschen. Nicht immer im besten Zustand. Ein Blick in ein Retourencenter.

Hamburg.  Wer kennt das nicht: Man surft im Internet und entdeckt ein schönes T-Shirt, eine Jacke oder ein Kleid. Um sicherzugehen, dass es passt, werden gleich zwei Größen bestellt. Und vielleicht mehrere Farben probieren? Warum nicht? Millionen Online-Kunden denken so, und die Händler machen es ihnen leicht: In der Regel darf die Ware bei Nichtgefallen umsonst zurückgeschickt werden.

Was bedeutet, dass jeden Tag Millionen von Artikeln an die Anbieter zurückgehen. Und in Betrieben wie der Hermes Fulfilment GmbH in Hamburg landen – einer Tochtergesellschaft der Otto Group, die den gesamten Versandprozess abwickelt: von der Kundenbestellung über die Lagerlogistik bis zu den Retouren.

100.000 Artikel pro Tag gilt es zu sichten und zu prüfen

An einem trüben Morgen steht Andreas Kalliner im Hamburger Stadtteil Bramfeld auf dem Hof des Retourenbetriebs der Hermes Fulfilment und sieht den mehreren Dutzend Lkw beim Rangieren zu. Der 57-Jährige ist Gruppenleiter im Retourencenter. „Schon irre, welche Massen hier jeden Tag bewegt werden“, sagt der Mann mit den kurzen grauen Haaren.

Rund 100.000 Retouren-Artikel kommen mit den Lkw täglich an, werden abgeladen und auf den drei Kilometer langen Förder-, Lauf- und Sortierbändern, die das Gebäude durchziehen, von einer Station zur nächsten bugsiert – um kurze Zeit später wieder herauszukommen. Zurück in den Warenkreislauf, auf zu einem neuen Kunden.

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51 Prozent der Deutschen taten das im Laufe des vergangenen Jahres

Pro Jahr macht das rund 47 Millionen Waren, die die insgesamt 1100 Mitarbeiter in drei Schichten sortieren, kontrollieren, notfalls auch waschen, aufbügeln und wieder zum Verkauf freigeben – sofern das möglich ist.

Die Deutschen sind so etwas wie Europas Retourenmeister. In keinem anderen Land schicken Kunden so gerne online bestellte Waren zurück: 51 Prozent der Deutschen taten das im Laufe des vergangenen Jahres, ergab eine Auswertung des Portals Statista. Von den Niederländern und Briten schicken nur 46 beziehungsweise 43 Prozent Artikel retour, unter den Polen sogar nur 29 Prozent.

Im Schnitt können 70 Prozent der Retouren weiterverkauft werden

Besonders hart trifft es die Modebranche. Laut einer Studie des EHI-Instituts muss fast jeder dritte Händler für Textilien und Accessoires zwischen 40 und 50 Prozent der verkauften Ware wieder zurücknehmen. Bei 13 Prozent ist es sogar mehr als jeder zweite Artikel. Für seine Studie hat das Kölner Marktforschungsinstitut 105 Versandhändler befragt, die zusammengerechnet auf einen Umsatz von fast elf Milliarden Euro kommen.

Demnach können im Schnitt 70 Prozent der Retouren weiterverkauft werden. Neun Prozent der befragten Händler gaben an, dass sie nur vereinzelt Teile wieder in den Verkauf bringen könnten – oft weil die Ware so in Mitleidenschaft gezogen sei, dass man sie anderen Kunden nicht mehr anbieten könne.

Der Rücklauf hat seinen Preis

Olaf Wallace, Betriebsleiter des Retourenbetriebs von Hermes Fulfilment in Hamburg, kann diese Zahlen allerdings nicht bestätigen. Hier schaffen es rund 98 Prozent der Waren wieder zurück in den Verkauf.

Aber auch dieser Rücklauf ist aufwendig und hat seinen Preis, wie schon aus der Studie hervorgeht: „Kostentreiber Nummer eins bei Retouren sind die aufwendige Prüfung, Sichtung und Qualitätskontrolle der Artikel.“ Laut Olaf Wallace kostet die Prüfung eines Kleidungsstückes etwa einen Euro – das umfasst den Prozess von der Anlieferung über die Begutachtung bis zum Aufladen auf den Lkw, der die Retouren ins Lager bringt. Die Transporte und eventuelle Reinigungen sind da aber nicht einkalkuliert.

Nur mit dem Barcode können Pakete zugeordnet werden

Wie aufwendig dieser Prozess tatsächlich ist, lässt sich bei der Hermes Fulfilment in Hamburg gut beobachten: Rund 250 Mitarbeiter sind pro Schicht im Einsatz. Sobald ein Lkw ankommt, werfen Mitarbeiter die Kartons auf die Förderbänder. Dann wird kontrolliert, ob die Tüten darin noch den Barcode von der Auslieferung tragen. Wenn ja, können die Pakete problemlos zugeordnet werden und flitzen weiter über die Förderbänder.

Fehlt der Code oder ist er beschädigt, landet die Lieferung bei der Sonderkontrolle. Dort steht ein Wägelchen mit zerknautschten Kartons und ramponierten Tüten. Das sind die besonders schwierigen Fälle. „Das sind Rückläufer, deren Herkunft nicht sofort zweifelsfrei zu ermitteln ist“, sagt An­dreas Kalliner. „Da fehlen Informationen. Aber wir haben Experten, die herausfinden, von welchen Kunden diese Waren kommen. Meistens jedenfalls.“

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Zwei Prozent der Rücksendungen müssen in die Reinigung

Hunderte von Tüten reißen die Mitarbeiter der Warenbeurteilung pro Schicht auf, breiten Hemden oder Kleider auf dem Tisch aus und kontrollieren, ob die Ware Schäden aufweist, getragen wirkt oder schmutzig ist. Eine Tüte nach der anderen. Stundenlang. Ist der Artikel in Ordnung, geht er zu einer der vier Verpackungsmaschinen, bekommt einen neuen Barcode, wird zur Neuware und sofort wieder für den Kunden bestellbar.

Zwei Prozent der Kleider müssen in die Reinigung. Weil ein Kaffeefleck auf der Bluse entdeckt wurde, der Pullover nach Schweiß riecht. Oder nach Waschpulver. „Viele denken: ,Ich wasch das jetzt.‘ Das geht natürlich gar nicht und fällt bei der Beurteilung sofort auf“, sagt Lisa Emmerich. Die junge Frau steht vor einem Berg aus Kleidern, kontrolliert gewissenhaft jedes Stück. Was bei ihr durchfällt, schafft es trotzdem noch zu 80 bis 85 Prozent zurück in den Verkauf – gereinigt, gebügelt und verpackt.

Die Umkleidekabine nach Hause holen

Was übrig bleibt, landet auf den Ramschtischen von Billigläden oder wird zur „zweiten Wahl“. Den Verdacht, dass man bei Hermes Fulfilment ein Auge zudrückt, um möglichst wenige Artikel aussortieren zu müssen, weist Andreas Kalliner weit von sich. „Der Kunde erhält ein neuwertiges Kleidungsstück, das eingehend geprüft wurde.“ Außerdem wisse man im Modehaus auf der Einkaufsstraße ja auch nicht, wer die Hose zuvor schon anprobiert hat.

Trotz des Aufwands lohnt sich das Modell – immerhin sparen die Versandhändler das Geld, das Geschäfte in der Stadt für Miete und Ladenbetrieb ausgeben. Außerdem dienen die Retouren der Kundenbindung. Oder wie der Online-Versandhändler Zalando es ausdrückt: „Kostenlose Retouren sind seit jeher Teil unseres Geschäftsmodells. Ziel ist es, die Umkleidekabine nach Hause zu holen, es unseren Kunden also zu ermöglichen, Kleidung unkompliziert zu Hause anzuprobieren.“ So sieht es auch Andreas Kalliner: „Wer als Online-Händler Retouren erschwert, läuft Gefahr, den Umsatz zu reduzieren.“