Brüssel

Wie Europa den digitalen Alltag regelt

| Lesedauer: 5 Minuten
Kai-Hinrich Renner

EU-Kommissare schaffen Rahmen fürOnline-Shopping, Verbraucher- und Datenschutz – und den Kampf gegen Hass im Netz

Brüssel.  Kürzlich war Vera Jourova mal wieder in Prag. Auf der Straße wurde sie von einem älteren Herrn mit Hut angesprochen. Ob sie für Tschechien in der EU-Kommission sitze, wollte der Mann wissen. Die Politikerin bejahte das. Daraufhin sagt ihr der Herr, er habe auf Facebook den Satz gepostet: „Bei den Kommunisten war es noch am besten“. Diese Botschaft hätte das soziale Netzwerk aber wieder gelöscht. Ob sie ihm das erklären könne.

Die EU-Kommissarin erzählt diese Geschichte, um zu verdeutlichen, dass ihre Arbeit eine ganze Menge mit dem Alltagsleben der Europäer zu tun hat. Sie ist in der Kommission zuständig für die Themenfelder Justiz, Verbraucher und Gleichstellung. Und ob Zufall oder nicht: Sie war als Justiz-Kommissarin tatsächlich die richtige Ansprechpartnerin für die Frage des alten Herrn. „Ich teile zwar seine Ansichten nicht“, sagt sie“, „aber ich werde Facebook fragen, wie es dazu kommen konnte.“ Denn in Ordnung sei die Löschung nicht.

Jourova ist nur eine von drei EU-Kommissaren, die sich mit digitalen Fragen beschäftigen. Die anderen beiden sind die Bulgarin Mariya Gabriel, die digitale Wirtschaft und Gesellschaft verantwortet sowie der Este Andrus Ansip, der sich um den digitalen Binnenmarkt kümmert. Ohne Brüssel geht im digitalen Europa gar nichts mehr.

Die Tschechin Jourova ist auch für Datenschutz zuständig. „Da ist Deutschland weit vorne“, sagt sie. Doch derzeit kümmert sie sich vorrangig um die Bekämpfung von Hassbotschaften und Schlimmerem im Internet. Ende des Monats wird ihr Kabinett eine Empfehlung herausbringen, in der es darum geht, dass Betreiber von Internetportalen terroristische Mitteilungen entfernen müssen – und zwar eine Stunde, nachdem sie auf sie hingewiesen wurden. Zu solchen Terrorbotschaften zählen etwa Enthauptungsvideos. Bisher existiert diese Regel bereits für große Portale. Aber bislang gibt es dazu nur eine sogenannte Mitteilung. Eine Empfehlung ist hingegen im EU-Jargon die Vorstufe zu einer Verordnung, bei der dann Strafen drohen.

Im Kabinett von EU-Kommissarin Gabriel beschäftigt man sich auch mit Cyber-Security. Dazu gehören Haftungsfragen. Wer haftet, wenn Geräte, die mit dem Internet vernetzt sind, wegen ausbleibender Updates nicht nur ihren Geist aufgeben, sondern womöglich Unfälle verursachen?

Was etwa, wenn ein selbstfahrendes Auto deshalb außer Kontrolle gerät? In solchen Fällen kann der Fehler beim Hersteller liegen. Aber möglicherweise liegt er auch ganz woanders.

Wenn der Netzbetreiber wegen einer Störung das Update nicht gewährleisten konnte, wäre er es, der zur Verantwortung gezogen werden müsste. Die Sache ist komplex. „Nicht einmal jeder in der Kommission versteht, worum es bei diesen Fragen geht“, sagt ein Mitarbeiter der Kommissarin hinter vorgehaltener Hand.

Bei einem anderen Projekt ist man da schon wesentlich weiter. Auf die neue E-Commerce-Richtlinie, die in
seinem Kabinett verabschiedet wurde, ist EU-Kommissar Ansip sichtlich stolz. War es bis vor Kurzem nicht gerade
einfach, Waren und Dienstleistungen bei Portalen einzukaufen, die ihren Sitz im EU-Ausland haben, ist dies nun
weitgehend unproblematisch. Doch auch hier gibt es Ausnahmen. Kleine Portale können nicht gezwungen werden, ihre Waren auch ins Ausland zu
liefern. Zudem sind alle Produkte, die unter das Urheberrecht fallen, von der Richtlinie ausgenommen. Für sie wurde das sogenannte Geoblocking nicht aufgehoben.

Wer also lieber das bulgarische Musikportal von Spotify nutzen würde, weil es preisgünstiger ist als das deutsche, wird dies auch in Zukunft nicht können. Deutsche Leser können deutsche E-Books nach wie vor nur in Deutschland kaufen. Und wer im Urlaub auf Mallorca mit seinem deutschen Netflix-Abo sich die letzte Staffel von „House of Cards“ anschauen will, guckt weiterhin in die Röhre.

Man merkt Ansip an, dass es ihn ärgerte, diese Ausnahmen in seine E-Commerce-Richtlinie aufzunehmen. Allerdings soll sie in zwei Jahren noch
einmal überprüft werden. Insider in Brüssel rechnen damit, dass dann die Ausnahmen für Musik und E-Books gestrichen werden.

Bei audiovisuellen Inhalten könnte es hingegen beim Geoblocking bleiben. Die europäischen Film- und Fernsehproduzenten fürchten um ihre Existenz, sollte es wegfallen. Ihre Bündnispartner sind die großen Hollywoodstudios, für die es lukrativ ist, die Rechte an ihren Produktionen an jedes Land einzeln zu verkaufen.

Auch bei der Telekommunikation redet Brüssel ein gewichtiges Wort mit. Ein äußerst ehrgeiziges Projekt ist die Einführung des 5G-Standards im Mobilfunk, der den derzeit üblichen 4G-Standard ablösen soll. Für das Vorhaben, das 2020 starten soll, werden voraussichtlich 155 Milliarden Euro in die Hand genommen, davon allein zehn Milliarden in Deutschland. Der neue leistungsfähigere Standard soll es auch ermöglichen, selbstfahrende Autos zu steuern.

Das klingt nach Science-Fiction. Denn es gibt auch hierzulande in manchen ländlichen Regionen noch immer kein schnelles Internet. Das liegt laut Brüsseler Experten auch daran, dass in Deutschland in der Vergangenheit bei Auktionen neuer Frequenzen zu viel Wert auf hohe Erlöse gelegt wurde, was dazu führte, dass die Netzbetreiber kein Geld mehr für den flächendeckenden Breitbandausbau hatten. Hier liegt Deutschland nicht unbedingt vorn.