Berlin zieht, Hamburg auch. Während ihr Sog zunimmt, stecken die Kommunen im ländlichen Raum in einer Abwärtsspirale. Der Trend ist bekannt, die Dynamik ist aber selbst für Fachleute wie Harald Herrmann „überraschend“. Der Direktor des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) stellte am Donnerstag in Berlin eine Studie vor. Ergebnis: Die Städte entwickeln sich deutlich auseinander. Während die Bevölkerung in den Großstädten von 2008 bis 2013 um 2,8 Prozent gewachsen ist, ging sie in mittleren, kleinen Städten zurück. Die wichtigsten Fragen im Überblick:
Was ist das Kernproblem?
Nach einer aktuellen Prognose wird die Bevölkerungszahl bis 2035 auf 78,2 Millionen sinken, drei Prozent weniger als noch 2012. Zugleich wandern zumeist jüngere und gut ausgebildete Menschen in die Großstädte ab. Hier kann man studieren, besser einen Job finden. „Möglicherweise schwingt auch mit, dass es gerade wieder ein Hype auf Großstadtflair gibt“, analysiert die Autorin der Studie, Antonia Milbert.
Wer wächst?
Berlin (+4,33 Prozent) und Hamburg (+ 2,58) wachsen stark, ebenso Düsseldorf, Frankfurt a.M., München, Leipzig, Potsdam, Dresden, dazu Städte im Umland der Metropolen. So ist Teltow bei Berlin von 2008 bis 2013 um fast 15 Prozent gewachsen. Großen Sog üben auch Universitätsstädte wie Münster (+8,9) aus.
Wer läuft gegen den Trend?
Saarbrücken, dazu die Großstädte im Ruhrgebiet, die leicht verlieren: Duisburg, Essen, Oberhausen.
Wer schrumpft am stärksten?
Der ländliche Raum und – mit wenigen Ausnahmen – der Osten. Hoyerswerda, Bitterfeld-Wolfen und Eisenhüttenstadt verloren zwischen 2008 und 2013 ein Zehntel ihrer Einwohner.
Welche Lehren muss die Politik ziehen?
Der Deutsche Städtetag reagierte umgehend. Er sieht „in besonderer Weise Bund und Länder“ gefordert. Gleichwertige Lebensverhältnisse sind bisher erklärtes Staatsziel. Wer daran festhält, muss schrumpfende Regionen gezielt fördern. Herrmann befürwortet einen regionalen Lastenausgleich, fordert mehr Zusammenarbeit zwischen den Kommunen. Sie könnten Wohn- und Gewerbegebiete gemeinsam abbauen, Kosten und Erträge teilen. „Die Entwicklung muss in den Köpfen ankommen. Man sieht sich oft als Konkurrenz.“ Zugleich sagt er voraus, dass die Verteilungskämpfe größer werden und dass Deutschland „Anpassungsschmerzen“ spürt.
Was meint er damit?
Jahrzehntelang war Wachstum wie selbstverständlich. Nun schrumpfen wir und müssen mehr Zuwanderung anstreben, aber auch beherrschen (Integration), darüber hinaus die Strukturen verändern. Lernen kann man von dünn besiedelten Regionen wie Skandinavien, die innovativer und flexibler seien, wie BBSR-Referatsleiter Michael Zarth erläutert. Da kann es schon passieren, dass der Staat eine Tankstelle fördert, weil sie längst zum Treffpunkt und Versorgungsposten geworden ist, wo man auch einkauft, zur Post geht oder einen Internetpoint aufsucht. In schrumpfenden Regionen sollten die Pflege- und Altenheime auf Zentren konzentriert werden. Man muss das Angebot an Kitas, Schulen, Ärzten, Apotheken, Läden, Bankfilialen umbauen, zum Teil mobil und internetgestützt. „Geisterstädte“ wie in den USA wären die billigste Lösung, aber nicht erstrebenswert.
Haben die wachsenden Metropolen nur Grund zum Jubeln?
Mehr Einwohner haben viele Vorteile: Mehr Wirtschaftskraft und Wachstum, Kosten öffentlicher Investitionen rechnen sich besser. Ein Nachteil sind höhere Mieten. In Metropolen wie München liegt die Kaltmiete bei mehr als neun Euro pro Quadratmeter. Das Institut beziffert den jährlichen Bedarf an neuen Wohnungen mit circa 272.000 bis 2020, bis 2030 dann 230.000 Wohnungen.