Berlin – . Von Portugal bis hin zu Polen schwindet das Vertrauen in die Demokratie und Wirtschaft dramatisch
„Vertrauen ist eine zarte Pflanze. Ist es zerstört, kommt es sobald nicht wieder.“ Trifft dieser Satz von Otto von Bismarck zu, stehen einige Länder in Europa vor einem langen Weg. Denn in den Euro-Krisenstaaten ist in den vergangenen Jahren viel Vertrauen verloren gegangen. Immer mehr Bürger trauen ihren Politikern immer weniger über den Weg. Dies geht aus einer Studie des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft Köln (IW Köln) hervor, die der Berliner Morgenpost vorliegt.
Europa schlittert nach der Schuldenmisere zusehends in eine politische Sinnkrise. Vor allem in Südeuropa hat seit der Jahrtausendwende ein dramatischer Vertrauensverlust in die staatlichen Institutionen eingesetzt. Aber auch in Ländern wie Frankreich, Großbritannien und Spanien glauben die Bürger immer weniger an das demokratische System und die liberale Wirtschaftsordnung. Zu diesem alarmierenden Befund kommt die Studie: „Es gibt einen Teufelskreis aus ökonomischer Krise und Misstrauen in die Politik“, sagt IW-Chef Michael Hüther.
Index für 20 Staaten
Die IW-Forscher haben für 20 europäische Länder einen Vertrauensindex erstellt. Sie haben erstmals gemessen, wie groß das Vertrauen der Bürger in ihr jeweiliges System ist. Daraus ist ein Vertrauensindex für 20 EU-Staaten entstanden. Die Wissenschaftler wollten ermitteln, wie stark die Zuversicht der Bürger in das jeweilige politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche System ihres Landes ist. Die Euro-Krisenländer Italien, Portugal und Griechenland stehen beim Vertrauensranking – das ist wenig überraschend – auf den letzten drei Plätzen. Was aber noch mehr Anlass zur Sorge gibt: Der Glaube an das politische System hat in Südeuropa seit der Jahrtausendwende stetig abgenommen.
Die Studie führt deutlich vor Augen: Wie sehr Bürger Staat, Wirtschaft und Gesellschaft vertrauen, hängt stark von der wirtschaftlichen Entwicklung ab. So ist der Glaube in das politische System keineswegs in allen EU-Ländern seit der Jahrtausendwende zurückgegangen. Im Norden Europas blieben die Werte auf hohem Niveau konstant. In Deutschland ging es nur nach der Finanzkrise kurz zurück. Im Jahr 2014 stieg das Vertrauen dank der guten Wirtschaftslage auf den höchsten Wert seit Messung überhaupt.
Doch auch die EU-Führungsnation Frankreich landet nur noch im Mittelfeld und erhält mit 48,3 von 100 Punkten einen schwachen Wert. „Mit dem Euro konnte eine Zeit lang das Vertrauensdefizit in einigen EU-Staaten kaschiert werden“, sagt Hüther. In Krisenzeiten bricht das Misstrauen nun wieder auf. „Zentral ist, ob auf ökonomische Krisen mit glaubwürdigen, wenngleich kurzfristig schmerzhaften Reformen reagiert wird“, erklärt Hüther weiter.
Deutschland erreicht im Ranking den siebten Platz. Auf Platz eins liegt Dänemark vor Schweden und Finnland. „Diese Länder zeichnet die richtige Mischung aus Vertrauen und Kontrolle aus“, sagt Studienautor Dominik Enste. „Nur wer das Vertrauen missbraucht, wird bestraft.“ Außerdem helfe es den Skandinaviern, dass sie über Jahrzehnte eine Vertrauenskultur zwischen Staat und Bürger aufgebaut haben. Herausragende Werte erreichen sie auch beim menschlichen Miteinander.
Das hingegen ist die größte Schwäche Deutschlands. Blickt man nur auf dieses Ranking, landet die Bundesrepublik auf Platz neun. Innerhalb der deutschen Gesellschaft sind Hilfsbereitschaft und Fairness gegenüber den Mitbürgern zwar recht gut ausgeprägt, im Vergleich zu anderen Ländern mangelt es aber an Vertrauen in die Mitmenschen.
Für die insgesamt gute Platzierung Deutschlands sorgen daher eher die gute wirtschaftliche Entwicklung der vergangenen Jahre und die geringe Korruption. Der Glaube in das Wirtschaftssystem ist zuletzt gestiegen, Deutschland liegt in diesem Einzelranking auf Platz vier.
Im Gesamtranking folgen hinter den drei skandinavischen Ländern die Niederlande und die Schweiz auf den Plätzen vier und fünf. Das Vereinigte Königreich liegt mit Platz sechs zwar vor Deutschland, doch auch hier grassiert immer mehr Staatsverdrossenheit. Ebenso wie in Frankreich.
Vertrauen zurückgewinnen
Der Grund dafür: Das Land hat sich seit 2004 wirtschaftlich sehr viel schlechter entwickelt als Deutschland. „Die geringe Chancengerechtigkeit verstärkt das Misstrauen zusätzlich“, sagt Studienautor Enste. Die Folgen sind schon heute zu beobachten. So fährt die rechtsextreme Front National seit Jahren gute Wahlergebnisse ein. Auch in anderen Ländern Europas sind extreme Bewegungen auf dem Vormarsch. In Spanien rechnet sich die linke Podemos für die Wahlen große Chancen aus. Lagen Spanien und Portugal zu Beginn des Jahrtausends hinsichtlich des Vertrauens in das Wirtschaftssystem noch auf gleicher Höhe oder sogar über dem Niveau Deutschlands, kommt Spanien aktuell nur noch auf den 15. Platz.
Die Faustformel für eine funktionierende Europäische Union ist nach den Recherchen des Instituts im Grunde relativ einfach – wenn auch in der Realität schwer zu erreichen: Je höher das Bruttoinlandsprodukt, desto stärker das Vertrauen in Demokratie und Marktwirtschaft.
So ist der Glaube in das politische System keineswegs in allen EU-Ländern seit der Jahrtausendwende zurückgegangen. Im Norden Europas blieben die Werte auf hohem Niveau konstant.
Das verlorene Vertrauen im Süden Europas zurückzugewinnen braucht Zeit. „Generell kann Vertrauen nur sehr langfristig aufgebaut werden“, sagt Enste. Beginnen sollten die Regierungen damit aber jetzt. „Die ökonomische Krise ist dafür der richtige Zeitpunkt.“ Denn wie schon eine große deutsche Bank in den 90er-Jahren warb: „Vertrauen ist der Anfang von allem.“