Im Interview sprechen die Machter hinter dem Berliner Pianohersteller von Bechstein über Expansionspläne und eine Zeitenwende.
Der Berliner Pianohersteller Bechstein soll von der Börse und bekommt einen neuen Chef. Bis Ende August gilt für Aktieninhaber ein Angebot von der Investorengruppe Arnold Kuthe, die schon 60 Prozent hält. Hinter der Firma, der unter anderem der Wintergarten gehört, steckt der Berliner Unternehmer Stefan Freymuth (49). Er wird Karl Schulze (64) ablösen, der seit 1986 Bechstein führt. Hans Evert sprach mit beiden Unternehmern.
Morgenpost Online: Herr Freymuth, spätestens 2015 sollen Sie Herrn Schulze ablösen. Sie sind Immobilienunternehmer. Was reizt Sie an einem Klavierhersteller?
Stefan Freymuth: Die Branche reizt mich schon lange, weit bevor ich bei Bechstein als Investor eingestiegen bin. Da ist mein Interesse für Musik zu nennen. Natürlich habe ich auch als Kind Klavier gespielt – auf einem Bechstein. Mir gefällt, dass die Firma aus Berlin kommt. Es ist kein anonymes Investment, sondern es geht um Produkte, die man sinnlich erfahren kann. Und natürlich hat der Name eine ungeheure Strahlkraft.
Morgenpost Online: Herr Schulze, nach Börsengang, Besitzerwechseln, geht Bechstein nun an einen Berliner Unternehmer. Beruhigt Sie das?
Karl Schulze: Auf jeden Fall. Wir hatten uns ja vor wenigen Jahren an einen koreanischen Investor gebunden. Wir haben aber gemerkt, dass deutsche und koreanische Kultur in dem Fall nicht zusammenpassen. Wir wollten unsere Identität erhalten. Als die Koreaner vor drei Jahren Bechstein komplett übernehmen wollten, habe ich abgelehnt. Ich hatte gehofft, einen deutschen Investor und einen Nachfolger zu finden. Dieses Unternehmen ist zu klein, als dass es in einem großen Konzern bestehen könnte.
Morgenpost Online: Wie haben Sie beide sich gefunden?
Freymuth: Ich habe die Berichterstattung über Bechstein verfolgt. 2009 habe ich dann per Brief beim Vorstand angefragt, ob wir uns kennenlernen wollen. Karl Schulze hat eingewilligt. Wir trafen uns, haben uns ausgetauscht und gemerkt, dass es passt. Ich wollte das ja im Konsens hinkriegen, nicht als feindliche Übernahme.
Morgenpost Online: Anfangs wollten Sie nur ein Aktienpaket erwerben. Oder war da von Anfang an der Wunsch, Bechstein als Manager zu führen?
Freymuth: Nein, ich wollte es langsam angehen lassen, auch mit der Beteiligung. Doch dann wurde ich schnell Großaktionär, und dann haben wir uns verständigt, dass ich Karl Schulze nachfolgen soll.
Schulze: Wer Bechstein führt, muss eine Affinität zum Produkt, zur Marke und zum Standort Deutschland haben. Wir sind mehr als 160 Jahre alt. Das verlangt Kontinuität. Man muss Speck ansammeln für magere Zeiten und darf nicht auf schnelle Rendite aus sein. So jemanden zu finden, ist nicht ganz so einfach. Deshalb ist es für mich ein Glücksfall, dass Stefan Freymuth das machen will.
Morgenpost Online: Herr Schulze, Sie sind schon fast 30 Jahre Chef von Bechstein. Wie hat sich seitdem die Wahrnehmung der Marke verändert?
Schulze: Ich muss sagen: Wir haben uns gut behauptet gegen Konkurrenten. Von der Stückzahl sind wir die Nummer eins in Europa. Wir haben deutsche Handwerkskunst und deutsche Klangkultur erfolgreich international etabliert. Leider hält unser Produkt nahezu unendlich, aber wir werden jetzt nicht extra Motten und Holzwürmer einbauen, damit die Instrumente nach zehn Jahren kaputtgehen (lacht). Zum Glück sind unsere Produkte auch bei der jungen Generation gefragt – trotz der vielen Digitalpianos. Bei elektronischen Instrumenten ist doch der Ton immer gleich. Davon haben offenbar viele die Nase voll.
Morgenpost Online: Herr Schulze ist Klavierbauer. Sie kommen aus einem anderen Metier, Herr Freymuth. Wie viel müssen Sie noch lernen?
Freymuth: Der Respekt ist da, vor allem vor dem Können der Leute, beim Instrumentenbau wie beim Vertrieb. Dieses Wissen werde ich mir niemals aneignen können. Das ist aber auch nicht entscheidend. Ich muss künftig die richtigen strategischen Entscheidungen treffen. Wo wollen wir expandieren? Welche Produkte neben Klavieren und Flügeln können wir noch anbieten? Ganz sicher werde ich nicht dem Meister in der Werkstatt anweisen.
Schulze: Bechstein ist schon heute keine Ein-Mann-Show. Und die Zusammenarbeit zwischen Herrn Freymuth und mir wird auch nicht einfach beendet werden, wenn ich offiziell ausscheide.
Morgenpost Online: Was wollen Sie denn künftig machen?
Freymuth: Es gibt Märkte, insbesondere China, die kaum erschlossen sind. In diesem Zusammenhang geht es darum, ob wir noch stärker in den Markt für preiswertere Instrumente einsteigen wollen.
Schulze: Der Name Bechstein steht für hochwertige Instrumente, die in unserer Manufaktur in Seifhennersdorf gefertigt werden. Die Marke W. Hoffmann steht für die Mittelklasse und entsteht in unserem tschechischen Werk. Zudem werden wir die Marke Zimmermann neu beleben: zwar made in China, aber unter unserer Kontrolle. Dazu kommen Zusatzprodukte, die wir anbieten wollen.
Morgenpost Online: Was wird das sein?
Schulze: Wir bieten heute schon unser Variosystem an. Damit können Sie die Instrumente „stumm“ spielen und hören es nur über Kopfhörer oder Musikanlage. Wir überlegen nun, ob wir ein Bauteil anbieten werden, wo jemand beispielsweise seine Komposition gleich in Noten übersetzen lassen kann, die dann am Computer gespeichert werden. Zudem kann der Klavierspieler sich über dieses Modul andere Instrumente oder ein ganzes Orchester einspielen lassen.
Freymuth: Es geht aber nicht darum, zwanghaft irgendwelche Nischen zu besetzen. Die müssen sich ergeben, und es wird dann sehr genau geprüft.
Morgenpost Online: Viele große Marken, Leica etwa, sind fast vor die Hunde gegangen, weil sie Trends verschlafen haben. Wie groß ist die Gefahr bei Bechstein?
Freymuth: Die Gefahr sehe ich nicht. Das Unternehmen ist ja in guten Händen. Wir müssen hier nicht radikal das Ruder herumreißen. Aber natürlich ist es eine besondere Herausforderung und ein kreativer Druck. Er erinnert mich daran, dass ich nichts leichtfertig aufs Spiel setzen kann.
Morgenpost Online: Bechstein will ja vor allem in Asien wachsen. Wie soll das funktionieren?
Freymuth: In China werden wir als deutscher Hersteller mit offenen Armen empfangen. Allerdings haben wir bislang nur Produkte, die sich die meisten Chinesen nicht leisten können. Deshalb wollen wir mit preiswerteren Instrumenten einen Einstieg schaffen, um in einem zweiten Schritt für unsere Spitzeninstrumente einen größeren Markt zu schaffen.
Schulze: In China gibt es 80 Millionen Menschen, die Klavier spielen wollen. Bis dieser Bedarf gedeckt ist, wird es noch eine Weile dauern. Ebenso wird es noch eine Weile dauern, bis sich noch mehr unsere Marken Bechstein oder auch Hoffmann leisten können. Dennoch: Der Absatz in China verdoppelt sich derzeit von Jahr zu Jahr. 2011 waren es 200 Instrumente, dieses Jahr werden es 400 bis 500 sein. Indien hat derzeit noch gar keinen Klaviermarkt. Dort spielen Zupfinstrumente und die Flöte eine Rolle. Aber möglicherweise wird sich das dort auch entwickeln.
Morgenpost Online: Sie hoffen also auf den ersten indischen Starpianisten?
Schulze: Nicht zwingend. Am besten wäre es, wenn das Bildungssystem das Instrument mit aufnimmt. Ein Kind muss mit Musik und dem Instrument in Berührung kommen. Ein weiterer Schlüssel ist die deutsche Klassik. Wenn sich die Musik von Beethoven, Schubert, Bach und Co. durchsetzt, ist das gut für uns.