Nach einer Rechtsform-Änderung haftet nur noch die deutsche Tochter des schwedischen Unternehmens für drei Meiler.
Die Mitteilung klingt unspektakulär, eine Lappalie, die nur Freundes des eher trockenen Gesellschaftsrechts in Wallung bringt. Doch die Änderung der Rechtsform des Berliner Energiekonzerns Vattenfall verbirgt ein Politikum. Formell soll aus der Vattenfall Europe AG, wie sie derzeit noch heißt, die Vattenfall GmbH werden. So weit, so mäßig interessant.
Brisanz steckt allerdings in diesem Satz der Konzernmitteilung: „Mit der Verschmelzung, die voraussichtlich im Herbst 2012 vollzogen wird, endet automatisch der im Jahr 2008 geschlossene Beherrschungsvertrag zwischen Vattenfall Europe AG und Vattenfall AB.“ Damit entzieht sich der schwedische Mutterkonzern Vattenfall AB der Haftung für die deutschen Atomkraftwerke Krümmel, Brunsbüttel und Brokdorf.
Somit müssen Schwedens Steuerzahler nicht mehr für die milliardenschweren Risiken einstehen, die der staatseigene Stromkonzern Vattenfall AB mit seinen Meilern eingegangen ist. Umgesetzt wird die neue Regelung durch eine Umfirmierung der in Berlin ansässigen Vattenfall Europe AG, dem drittgrößten Stromversorger Deutschlands. In Zukunft, so teilte das Unternehmen mit, werde die AG auf eine bereits bestehende „Vattenfall GmbH“ verschmolzen. Aus dem bisherigen Vorstandsvorsitzenden der Aktiengesellschaft, Tuomo Hatakka, wird dadurch ein „Vorsitzender der Geschäftsführung“ im umfirmierten Unternehmen.
Vattenfall begründete den Schritt in erster Linie mit Steuervorteilen. Die Umwandlung der Vattenfall Europe AG in eine „Gesellschaft mit beschränkter Haftung“ sei zudem Teil der bereits im Jahre 2010 begonnenen strategischen Neuausrichtung. „Vattenfall will schlankere und einfachere Strukturen schaffen und dadurch „Abläufe verbessern und Kosten senken“, sagte Øystein Løseth, Vorstandschef des schwedischen Mutterkonzerns.
Atomaufsicht fordert Aufklärung
Dennoch glauben Beobachter, dass der Wegfall der Haftungsrisiken für den schwedischen Steuerzahler ebenfalls ein wesentliches Motiv für diesen Schritt ist. Die Atomkraftwerke Krümmel und Brunsbüttel des Vattenfall-Konzerns standen jahrelang wegen technischer Probleme still. Sie verloren im Zuge des deutschen Atomausstiegs im vergangenen Jahr zudem ihre Betriebsgenehmigung.
Mit der Stilllegung ist das Haftungsrisiko zwar deutlich kleiner geworden. Allerdings lagern in den Meilern Brennelemente. Auch im Rückbau der Anlagen könnten Risiken schlummern. Vattenfall erklärte, im Zuge der Umfirmierung der Vattenfall AG in eine GmbH werde „das Stammkapital der Gesellschaft auf 500 Millionen Euro erhöht“, also im Vergleich zur Vattenfall Europe AG nahezu verdoppelt.
Das schleswig-holsteinische Umweltministerium erklärte als zuständige Atomaufsichtsbehörde, man werde sich die Vertragsänderungen und ihre Auswirkungen nun von Vattenfall „differenziert schriftlich darlegen lassen.“ In Regierungskreisen in Berlin hieß es, es müsse geklärt werden, ob die gesetzlich vorgeschriebene Gewährleistung und Vorsorge für Unfälle auch von der deutschen Vattenfall GmbH noch vollständig erbracht werde.
Nach dem deutschen Gesetz haftet bei nuklearen Unfällen zunächst die Betreibergesellschaft des betroffenen Atomkraftwerks. Reichen die Mittel nicht aus, wird der Konzern herangezogen, in diesem Fall also künftig die deutsche Vattenfall GmbH. Darüber hinaus gehende Schäden bis zu einem Umfang von 2,5 Milliarden Euro werden notfalls von der Solidargemeinschaft aller deutschen AKW-Betreiber getragen. Für alles, was über diese Schadenssumme hinausginge, haftet bislang der schwedische Staat. Durch die Umfirmierung wird dieses zusätzliche Haftungsverhältnis beendet.
Von der Verschmelzung der Vattenfall AG auf die GmbH sind in Deutschland rund 340 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der insgesamt rund 20.000 deutschen Beschäftigten betroffen. Ihre bestehenden Arbeitsverhältnisse gehen auf die Vattenfall GmbH über.
Die Rechte der Mitbestimmung werden durch die neue Struktur nicht berührt, betonte das schwedische Unternehmen in einer schriftlichen Mitteilung: „Der Konzerntarifvertrag und sämtliche Betriebs-, Gesamtbetriebs- und Konzernbetriebsvereinbarungen gelten fort.“ Auch für die rund 2,7 Millionen Kunden von Vattenfall in Deutschland ändert sich durch die neue Struktur nichts.
Der Konzern dementierte Verkaufsabsichten. Vattenfall will speziell in der Hauptstadt jede Menge Geld investieren. So sollen die Kraftwerke in Lichterfelde und Lichtenberg modernisiert beziehungsweise neu gebaut werden. Zudem hofft die Netztochter des Unternehmens darauf, auch in Zukunft das Berliner Stromnetz betreiben zu können.